Globaler Agrarhandel beschleunigt Artensterben

Biodiversitätsverluste dreimal höher als vermutet

16.12.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Brandrodung am Rio Xingu (Brasilien): Landnutzungsänderungen gefährden die Artenvielfalt vor allem in den Tropen. (Bildquelle: © Julian Herzog, gemeinfrei / Wikipedia)

Brandrodung am Rio Xingu (Brasilien): Landnutzungsänderungen gefährden die Artenvielfalt vor allem in den Tropen. (Bildquelle: © Julian Herzog, gemeinfrei / Wikipedia)

Ein internationales Forscherteam unter Leitung der Technischen Universität München (TUM) und der ETH Zürich hat eine Studie zu den Folgen des globalen Agrarhandels für die Biodiversität in tropischen Regionen vorgelegt. Die Ergebnisse zeigen, dass internationale Handelsströme eine wesentlich größere Rolle bei der Zerstörung von Lebensräumen spielen als bisher angenommen.

Die Untersuchung, die im Fachjournal Nature Sustainability veröffentlicht wurde, beleuchtet den Einfluss des globalen Handels auf Landnutzungsänderungen zwischen 1995 und 2022. Dabei fanden die Forschenden heraus, dass über 90 Prozent der durch Landnutzung verursachten Biodiversitätsverluste in tropischen Regionen auf Agrarexporte zurückzuführen sind – weit mehr als die zuvor geschätzten 20 bis 30 Prozent.

Hotspots dieses Verlustes sind Brasilien, Indonesien, Mexiko und Madagaskar. Dort hat die Umwandlung von natürlichen Lebensräumen in landwirtschaftlich genutzte Flächen dazu geführt, dass bis zu 50 Prozent des globalen Artenverlusts hier stattfand. In Brasilien und Madagaskar dienen diese Flächen vor allem als Weideland, in Indonesien zum Anbau von Ölsaaten wie Palmöl sowie Reis. In Mexiko dominiert der Anbau von Gemüse, Früchten und Nüssen.

Internationale Nachfrage als Treiber

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Prof. Dr. Livia Cabernard: Die Erstautorin der Studie ist Professorin für Sustainability Assessment of Food and Agricultural Systems an der Technischen Universität München (TUM).

Prof. Dr. Livia Cabernard: Die Erstautorin der Studie ist Professorin für Sustainability Assessment of Food and Agricultural Systems an der Technischen Universität München (TUM).

Bildquelle: © Astrid Eckert / TUM

Die Nachfrage aus wirtschaftlich starken Regionen wie China (26 Prozent der Exporte), den USA (16 Prozent), dem Mittleren Osten (13 Prozent) und Europa (8 Prozent) treibt diese Entwicklung maßgeblich voran. Während in diesen Importregionen der Druck auf die heimische Biodiversität durch Renaturierung und geringeren Flächenverbrauch abgenommen hat, hat die Verlagerung der Agrarproduktion in tropische Regionen die Belastung dort dramatisch erhöht. „Dies ist ein alarmierender Befund, da die Bedrohung für die globale Artenvielfalt auf einem Quadratmeter in tropischen Regionen um ein Hundertfaches höher ist als in den importierenden Ländern“, erklärt Livia Cabernard, Professorin an der TUM und leitende Autorin der Studie.

Methodische Neuerungen und Ergebnisse

Die Studie untersuchte die Entwicklung von Landnutzungsänderungen auf Basis von Satellitendaten und ökonomischen Modellen. Ein besonderer Fokus lag dabei auf der langfristigen Betrachtung: Selbst nach Aufgabe landwirtschaftlicher Flächen bleiben Biodiversitätsverluste bestehen, da viele Arten unwiederbringlich ausgestorben sind und Ökosysteme sich nur langsam erholen.

Seit 1995 haben Landnutzungsänderungen weltweit zu einem Anstieg der globalen Artenverlustrate um 1,4 Prozent geführt. Diese Zahl liegt 50-mal über der von der Wissenschaft empfohlenen Grenze. Besonders betroffen sind tropische Regionen: Lateinamerika und die Karibik tragen 36 Prozent, Südostasien und der Pazifik 38 Prozent und Afrika 23 Prozent zu den globalen Biodiversitätsverlusten bei.

Auswirkungen und politische Handlungsempfehlungen

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Urwald musste diesem Acker weichen: Maisfeld im Bundesstaat São Paulo.

Urwald musste diesem Acker weichen: Maisfeld im Bundesstaat São Paulo.

Bildquelle: © José Reynaldo da Fonseca, eigenes Werk / Wikipedia, CC BY 2.5

Die Ergebnisse machen deutlich, dass die Verlagerung von Umweltbelastungen durch den internationalen Handel gravierende globale Folgen hat. Während inländische Schutzmaßnahmen in Europa oder Nordamerika als Fortschritt erscheinen, entsteht gleichzeitig ein massiver Biodiversitätsverlust in den tropischen Produktionsregionen.

Um diesem Problem entgegenzuwirken, empfehlen die Forschenden eine Kombination aus politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen. Transparente Lieferketten, die den ökologischen Schaden von Produkten widerspiegeln, sowie eine Stärkung der lokalen Landwirtschaft in den Importländern könnten entscheidende Hebel sein. Zudem sei es essenziell, Biodiversität in tropischen Regionen aktiv zu schützen und nachhaltig zu bewirtschaften.

Ein Weckruf für die globale Wirtschaft

Die Studie verdeutlicht, dass Biodiversitätsverlust nicht nur ein lokales, sondern ein globales Problem ist, das eng mit der Weltwirtschaft verknüpft ist. Der Schutz der Artenvielfalt erfordert ein Umdenken auf allen Ebenen: von Verbraucherinnen und Verbrauchern, die bewusste Kaufentscheidungen treffen, über Unternehmen, die Verantwortung für ihre Lieferketten übernehmen, bis hin zu Regierungen, die klare Rahmenbedingungen für nachhaltigen Handel setzen.


Quelle:
Cabernard L. et al. (2024): Biodiversity impacts of recent land-use change driven by increases in agri-food imports. In: Nature Sustainability 7 (20. September 2024). doi: 10.1038/s41893-024-01433-4

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Titelbild: Brandrodung am Rio Xingu (Brasilien): Landnutzungsänderungen gefährden die Artenvielfalt vor allem in den Tropen. (Bildquelle: © Julian Herzog, gemeinfrei / Wikipedia)