„Halbzwerge“ mit hohen Erträgen
Projekt RYE-HUB: Roggen in die Landwirtschaft von morgen führen
Roggen mit genetisch verkürztem Halm: Die Prototypen erreichen etwa die Wuchshöhe von normalstrohiger Triticale (im Vordergrund links und rechts) und bleiben deutlich kürzer als der normalstrohige Roggen im Hintergrund. (Bildquelle: © JKI / Hackauf)
Mit moderner Genomforschung und innovativen Züchtungsmethoden will RYE-HUB das volle Potenzial des Roggens erschließen – für mehr Ertragssicherheit, Klimaschutz und nachhaltige Landwirtschaft.
Vor allem auf Feldern in Norddeutschland wiegen sich die hohen Halme im Wind. Das Anbaugebiet des Roggens (Secale cereale) (Secale cereale) erstreckt sich von dort nach Osten: über Polen, die Ukraine, Weißrussland, Skandinavien, das Baltikum bis ins nördliche Russland. Roggen macht mit 3,3 Prozent nur einen kleinen Anteil der europäischen Getreideernte aus. In Regionen wie Deutschland, Polen oder dem Baltikum hat er jedoch eine sichtbare Bedeutung.
Nach Starkniederschlägen zeigt sich die ausgeprägte Standfestigkeit von Halbzwergrögen im Vergleich zu normalstrohigen Sorten im Vordergrund – ein anschaulicher Beleg für die Kernfunktion dieser Zuchtform.
Bildquelle: © JKI / Hackauf
Dabei ist Roggen genügsamer als Weizen. Sein ausgeprägtes Wurzelsystem findet selbst in kargen, sandigen Böden ausreichend Nährstoffe. Dadurch ist Roggen weniger auf Stickstoffdünger angewiesen. Sein Anbau ist daher besonders klimaschonend: Im Vergleich zu Weizen verursacht der Roggenanbau rund 20 Prozent weniger Treibhausgas-Emissionen – vor allem also Kohlendioxid, Methan und Distickstoffmonoxid. Er ist damit eine echte Handlungsoption, um die Pariser Klimaziele im Agrarsektor zu erreichen. Ohne eine Stärkung seiner Wettbewerbsfähigkeit und Marktakzeptanz wird es deutlich schwerer, diese Ziele einzulösen.
Roggen ist zudem der einzige Fremdbefruchter unter den kleinkörnigen Getreiden und generiert so in jeder Generation automatisch genetische Vielfalt. Dadurch besitzt er eine unvergleichlich hohe Anpassungsfähigkeit an sich wandelnde Umweltbedingungen.
Doch es gibt eine Herausforderung: Während die Erträge von Populationssorten auf fruchtbaren Böden oft hinter Weizen oder Gerste zurückbleiben, zeigt Hybridroggen insbesondere auf leichteren, trockenen Standorten eine deutliche Konkurrenzfähigkeit. Bei Weizen wurden bereits in den 1960er Jahren erste Halbzwerge gezüchtet. Sie sind standfester und ertragreicher. Kurzstrohigkeit ist seit jeher ein zentrales Zuchtziel auch beim Roggen – dokumentiert etwa in Sortennamen wie Petkuser Kurzstroh oder Carstens Kurzstroh. Ein komplett neuer Sortentyp fehlt bislang allerdings – daran arbeiten die Züchter inzwischen intensive.
„Wir haben erste Experimental-Hybriden erstellen können, aber die haben noch nicht das gewünschte Leistungsoptimum erreicht“, berichtet Dr. Dörthe Siekmann von der Hybro Saatzucht GmbH & Co. KG, die die Projektkoordination übernommen hat. Das Vorhaben wurde am Julius Kühn-Institut konzipiert und wird dort wissenschaftlich mitgestaltet. Dieser Rückstand soll nun aufgeholt werden. Zwei Roggenzüchter und mehrere Forschungsinstitute arbeiten gemeinsam daran, die Roggenzüchtung ins „genomische Zeitalter“ zu holen.
Die Projektpartner und das übergeordnete Ziel
Wissenschaftliche Partner:
- Julius-Kühn-Institut: Dr. Albrecht Serfling
- Julius-Kühn-Institut: Dr. Bernd Hackauf
- Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK): Prof. Dr. Nils Stein
- Forschungszentrum Jülich GmbH: Dr. Fabio Fiorani
Industriepartner:
- HYBRO Saatzucht GmbH & Co. KG: Dr. Dörthe Siekmann
- Nordic Seed Germany GmbH: Prof. Dr. Ahmed Jahoor
- ScreenSYS GmbH: PD Dr. Ralf Welsch
Das experimentelle Vorgehen
Die einzelnen Akteure aus Industrie und Forschung widmen sich mit ihrer jeweiligen Expertise unterschiedlichen Aspekte der Roggenforschung.
Halbzwerge für höheren Ertrag
Der Getreideschwarzrost (Puccinia graminis), auch Schwarzrost genannt, ist ein Pilz aus der Familie der Rostpilze (Pucciniales). Er befällt Getreidearten wie Weizen, Gerste, Hafer und Roggen. Hier zu sehen: eine befallene Weizenpflanze.
Bildquelle: © Wikipedia, gemeinfrei
„Zurzeit ist Roggen das Getreide, das auf dem längsten Halm steht“, sagt Siekmann. Das bringt Nachteile: Die Pflanze investiert beim Höhenwachstum Ressourcen, die dann für die Kornbildung fehlen, und ist dadurch weniger standfest. Besonders bei Starkregen, der infolge des Klimawandels zunimmt, lagern die langstrohigen Pflanzen häufiger, was die Ernte erschwert.
Derzeit setzen Landwirte chemische Wachstumsregler ein, die die Synthese von Gibberellin – ein Pflanzenhormon verantwortlich für das Längenwachstum – hemmen. Doch der richtige Zeitpunkt ist schwer zu treffen: „Der optimale Zeitpunkt für den Einsatz von Wachstumsreglern ist schwer vorherzusagen, was den Landwirten in der Praxis große Herausforderungen bereitet. Wird kurz vor einer Dürre gespritzt, drohen Ertragseinbußen“, erklärt Siekmann. Ziel ist daher, genetisch bedingte Halbzwerge zu entwickeln. Daran arbeiten die HYBRO Saatzucht und Nordic Seed Germany.
Entwicklung einer multiparentalen Kartierungspopulation JOSY (JKI Open-Source Rye)
Welches Gen für welches Merkmal verantwortlich ist, weiß man beim Roggen bisher nur ansatzweise. Deshalb wird die sequenzierte Elitezuchtlinie Lo7 mit 60 hochdiversen europäischen Roggenakzessionen gekreuzt. Mithilfe von Assoziationskartierungen können dann genetische und phänotypische Merkmale verknüpft werden.
„Wir wollen die genetischen Grundlagen der Halmverkürzung besser verstehen und den Katalog funktionell charakterisierter Gene im Genom substanziell erweitern“, erklärt Züchtungsforscher Dr. Bernd Hackauf vom JKI. Dazu gehören auch Resistenzgene, z. B. gegen Rostpilze, die Dr. Albrecht Serfling vom JKI untersucht.
Genombasierte Hybridzüchtung
Neben Halbzwergen steht auch die Hybridzüchtung im Fokus. Sie eröffnet die Möglichkeit, genetische Halmverkürzung züchterisch nutzbar zu machen und zugleich die DUS-Voraussetzungen bei der Sortenzulassung zu erfüllen. Im Unterschied zum Weizen gelingt es beim Roggen, die genetische Halmverkürzung mit dem biologischen Phänomen der Heterosis zu kombinieren – ein Ansatz, der bei unserem bedeutendsten Getreide bislang nur mit mäßigem Erfolg realisiert werden kann. Ziel sind Roggensorten mit hoher Standfestigkeit, verbesserter Dürretoleranz, effizienter Ressourcennutzung (Wasser/Nährstoffe) und guter Kornqualität.
„Die Züchtungserfolge beim Weizen haben Jahrzehnte gedauert. Bei Roggen soll es dank moderner genomischer Techniken schneller gehen“, betont Siekmann. Neue Genom-Editierungs-Techniken wie CRISPR sind im Roggen bislang nicht etabliert. RYE-HUB will hier Grundlagen schaffen, um mit solchen Methoden die biologische und züchterische Relevanz von Merkmalsgenen in der Referenzgenomsequenz experimentell nachzuweisen.
Analyse des Wurzelsystems
Die Anlage GrowScreen-Rhizo 3 ermöglicht die gleichzeitige, nicht-invasive Erfassung von Wurzel- und Sprosswachstum sowie der Pflanzenarchitektur in erdgefüllten Rhizotronen.
Bildquelle: © Forschungszentrum Jülich
Roggen wächst auch auf kargen Standorten gut – dank seines weit verzweigten Wurzelsystems. Die Wurzelhaare einer einzigen Pflanze erreichen schätzungsweise 11.000 Kilometer Länge. Doch die einzige Studie dazu ist fast 100 Jahre alt. „Wir wissen quasi nichts über die Diversität des Wurzelsystems in modernen Roggensorten“, erklärt Siekmann.
Dr. Fabio Fiorani vom Forschungszentrum Jülich analysiert das Wurzelsystem mit dem Rhizotron „GrowScreen-Rhizo3“, in dem Wurzeln in flachen, durchsichtigen Kästen wachsen und täglich fotografiert werden. Verglichen werden moderne Hybride, Populationsroggen sowie Halbzwerge und deren normalstrohige Geschwister, um den Einfluss der Halmverkürzung auf das Wurzelsystem zu untersuchen.
Roggen-Pangenom soll Vielfalt abbilden
Aktuell existieren vom Roggen nur zwei vollständige Genomsequenzen: eine chinesische und eine europäische Linie. Diese spiegeln jedoch bei weitem nicht die genetische Vielfalt der Pflanze wider.
Das soll sich nun ändern – durch die Erfassung des sogenannten Pangenoms. Ein Pangenom umfasst nicht nur das Erbgut einer Referenzlinie, sondern idealerweise alle Gene, die innerhalb einer Art vorkommen – einschließlich jener, die nur in bestimmten Populationen oder Varietäten zu finden sind. So lässt sich die gesamte genetische Vielfalt einer Kulturpflanze systematisch abbilden und für die Züchtung nutzbar machen.
Für das Pangenom des Roggens sollen nun dreißig Roggenlinien sequenziert werden – darunter zwei Elitezuchtlinien der Industriepartner sowie 28 Akzessionen aus der Genbank des IPK Gatersleben. Diese Auswahl von Roggenlinien repräsentiert die genetische Vielfalt dieser Pflanzenart in ganz Europa: vom mediterranen Becken im Süden bis nach Skandinavien im Norden, vom Atlantischen Ozean im Westen bis zum Ural im Osten. Federführend für diesen Teil des Projekts ist Prof. Dr. Nils Stein vom IPK Gatersleben.
Entwicklung der DH-Technologie für Roggen
Der Projektpartner ScreenSYS unter der Leitung von Dr. Ralf Welsch entwickelt die Doppel-Haploiden-Technik (DH-Technologie) für Roggen. Dieses Verfahren ist in Weizen, Gerste und Mais seit langem etabliert. Für den Roggen wäre seine Einführung ein zuchtmethodischer Meilenstein, da sich reinerbige Pflanzenlinien in nur einer Generation erzeugen lassen. Damit entfällt die aufwendige mehrjährige Inzuchtphase klassischer Züchtung, und gewünschte Merkmale wie Ertrag, Standfestigkeit oder Krankheitsresistenz können deutlich schneller fixiert und in neue Sorten überführt werden.
Ausblick
Das Projekt besitzt eine hohe Praxisrelevanz, nicht zuletzt durch die aktive Beteiligung zweier Züchtungsfirmen. Mit den umfassenden genomischen Analysen entsteht eine einzigartige Wissensbasis, die es ermöglicht, leistungsstarke und klimafreundliche Roggensorten schneller in die Praxis zu bringen. So kann Roggen seine Stärken – Robustheit, Ressourceneffizienz und geringe Emissionen – noch besser ausspielen und zu einem wichtigen Baustein für die nachhaltige Landwirtschaft der Zukunft werden.
„Unsere Forschung macht die reiche genetische Vielfalt des Roggens für die Züchtung nutzbar, damit künftig Sorten entstehen, die den Anforderungen von Landwirtschaft, Klima, Markt und Verbrauchern gleichermaßen gerecht werden“, fasst Dörthe Siekmann zusammen. „Erfolg haben wir dann, wenn Landwirte hohe und stabile Erträge erzielen können. So kann Roggen auch künftig einen wichtigen Beitrag zu nachhaltigen Anbausystemen leisten und seine Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu anderen Getreidearten verbessern.“
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Schon gewusst? Der Mensch machte den Roggen genetisch „unflexibel“ – Wie er trotzdem an den Klimawandel angepasst werden könnte
- Tiefer Blick ins Roggengenom – Im Nischen-Getreide steckt ein großes agronomisches Potenzial
- Roggen im genomischen Zeitalter – Neue Möglichkeiten für ein traditionelles Getreide
Titelbild: Roggen mit genetisch verkürztem Halm: Die Prototypen erreichen etwa die Wuchshöhe von normalstrohiger Triticale (im Vordergrund links und rechts) und bleiben deutlich kürzer als der normalstrohige Roggen im Hintergrund. (Bildquelle: © JKI / Hackauf)