Insektensterben
Neue Methode zeigt das wahre Ausmaß

In homogenen Lebensräumen wie Äckern lassen sich Insektengemeinschaften deutlich schneller vollständig erfassen als in artenreichen, naturnahen Gebieten. Die neue Methode der Würzburger Forschenden gleicht diese Erfassungsunterschiede aus und ermöglicht e
Mit innovativen Analyseverfahren deckt ein Würzburger Forschungsteam auf, dass nicht nur die Zahl der Insektenarten schrumpft, sondern auch deren evolutionäre Vielfalt stark leidet. Diese neuen Erkenntnisse legen offen, dass bisherige Studien das wahre Ausmaß des Insektensterbens oft unterschätzt haben – mit weitreichenden Folgen für den Naturschutz.
Dass intensive Landwirtschaft Insekten Lebensraum und Vielfalt raubt, ist keine neue Erkenntnis. Doch das wahre Ausmaß dieses Rückgangs könnte bislang deutlich unterschätzt worden sein. Forschende der Julius-Maximilians-Universität Würzburg haben mit einer neu entwickelten Analysemethode überraschend gravierende Effekte der Landnutzung aufgedeckt – und liefern zugleich ein Werkzeug, mit dem sich die biologische Vielfalt künftig präziser messen lässt.
Mehr als Arten zählen: Evolutionäre Vielfalt schrumpft dramatisch

Malaise-Fallen zur Erfassung fliegender Insekten: Die Zeltfalle lenkt Insekten beim bodennahen Flug ins Innere, wo sie dem Licht folgend in einen Fangbehälter gelangen. Entwickelt wurde dieses Prinzip 1937 vom schwedischen Entomologen René Malaise.
Bildquelle: © DKrieger / Wikipedia, CC BY-SA 4.0
Kernstück der Studie ist eine umfassende Analyse von Insektenproben aus ganz Bayern. Untersucht wurden über 400 Insektenfamilien, die mit modernen DNA-Metabarcoding-Verfahren bestimmt wurden. Diese Methode erlaubt es, sämtliche Arten einer Probe anhand ihres Erbguts zu identifizieren. Doch die Würzburger Forschenden gingen einen Schritt weiter: Mit einem speziell entwickelten Workflow konnten sie erstmals sowohl die klassische Artenvielfalt als auch die evolutionäre Verwandtschaftsvielfalt – die sogenannte phylogenetische Diversität – systematisch erfassen.
Das Ergebnis: In landwirtschaftlich genutzten Flächen wurde im Vergleich zu naturnahen Wäldern ein Rückgang der Artenvielfalt von bis zu 44 Prozent festgestellt. Noch alarmierender ist der Verlust an phylogenetischer Diversität, der je nach Lebensraum zwischen 13 und 29 Prozent geringer ausfällt als in naturnahen Flächen. Das bedeutet: Es verschwinden nicht nur Arten, sondern auch ganze Linien der evolutionären Stammbäume – ein Verlust, der weitreichende Folgen für die Stabilität von Ökosystemen haben kann.
Warum frühere Studien den Rückgang unterschätzten
Ein Grund, warum der Einfluss der Landwirtschaft bislang oft zu milde eingeschätzt wurde, liegt in der Methodik: In Agrarlandschaften ist es vergleichsweise einfach, einen Großteil der vorhandenen Arten zu erfassen, da die Insektengemeinschaften dort bereits stark vereinfacht sind. In artenreichen, naturnahen Lebensräumen hingegen werden viele seltene Arten durch herkömmliche Erhebungsmethoden übersehen. Ohne eine entsprechende Standardisierung verzerren solche Unterschiede die Vergleichbarkeit.
Die neue Methode berücksichtigt diese Verzerrungen systematisch, indem sie die sogenannte „Sample Coverage“ – also den Erfassungsgrad – standardisiert. So wird sichtbar, was vorher verborgen blieb: dass der Verlust an Vielfalt durch Landwirtschaft noch massiver ist als gedacht.
Seltene Arten besonders betroffen – mit Folgen für das ganze Ökosystem

Blühstreifen sind eine Maßnahme, um die Artenvielfalt in landwirtschaftlichen Räumen zu stabilisieren.
Bildquelle: © Conmoto / Wikipedia, CC BY-SA 3.0
Eine weitere Erkenntnis: Während dominante und häufige Arten in agrarischen Flächen vor allem an Anzahl verlieren, trifft der Verlust der phylogenetischen Vielfalt besonders die seltenen Arten. Diese repräsentieren oft eigenständige Entwicklungszweige und tragen entscheidend zur funktionalen Vielfalt von Ökosystemen bei. Ihr Verschwinden bedeutet daher auch einen Verlust an ökologischer Stabilität und Anpassungsfähigkeit.
Die Reduktion der phylogenetischen Vielfalt deutet darauf hin, dass die ökologischen Netzwerke geschwächt werden. Das kann langfristig die Resilienz von Ökosystemen gegenüber Störungen wie Klimawandel oder Schädlingsbefall gefährden.
Landwirtschaft als Haupttreiber des Insektensterbens
Die Studie belegt eindrücklich, dass die Intensität der Landnutzung der entscheidende Faktor für den Rückgang der Insektenvielfalt in Mitteleuropa ist. Urbanisierte Flächen zeigen zwar ebenfalls negative Effekte, doch ihre komplexeren Strukturen bieten offenbar mehr Rückzugsräume als die monotone Agrarlandschaft.
Für den Naturschutz bedeutet das: Maßnahmen zum Erhalt der Insektenvielfalt müssen gezielt bei der Gestaltung und Nutzung landwirtschaftlicher Flächen ansetzen. Blühstreifen, weniger Pestizide, vielfältige Fruchtfolgen und der Erhalt naturnaher Restflächen sind wichtige Stellschrauben.
Ein Werkzeug für bessere Biodiversitätsanalysen
„Die Studie unterstreicht die Dringlichkeit einer biodiversitäts-sensiblen Landnutzung, denn eine zurückgehende Insektenvielfalt hat potenziell gravierende Folgen für die Gesundheit und Stabilität von Ökosystemen“, so Mareike Kortmann. Neben den alarmierenden Ergebnissen liefert die Studie einen methodischen Durchbruch. Der neue Workflow ermöglicht es, große Mengen an Metabarcoding-Daten nicht nur taxonomisch, sondern eben auch evolutionär zu bewerten – eine bislang kaum umsetzbare Aufgabe. Dadurch können künftig auch andere Regionen und Lebensräume differenzierter untersucht werden.
Die Forschenden sind überzeugt: Nur wer Vielfalt in all ihren Dimensionen misst, kann wirksame Schutzstrategien entwickeln.
Quelle:
Kortmann, M. et al. (2025): A short cut to sample coverage standardization in meta-barcoding data provides new insights into land use effects on insect diversity. In: Proc. R. Soc. B. (7. Mai 2025). doi: 10.1098/rspb.2024.2927
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Titelbild: In homogenen Lebensräumen wie Äckern lassen sich Insektengemeinschaften deutlich schneller vollständig erfassen als in artenreichen, naturnahen Gebieten. Die neue Methode der Würzburger Forschenden gleicht diese Erfassungsunterschiede aus und ermöglicht erstmals wirklich vergleichbare Analysen. (Bildquelle: © Sophia Hochrein / Universität Würzburg)