Insektizide: Vergiftungen effektiv behandeln

22.01.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Organophosphate werden zur Bekämpfung von Schadinsekten eingesetzt. (Quelle: © iStockphoto.com/fatihhoca)

Organophosphate werden zur Bekämpfung von Schadinsekten eingesetzt. (Quelle: © iStockphoto.com/fatihhoca)

Einem internationalen Forscherteam ist es gelungen, ein menschliches Enzym so zu modifizieren, dass es spezielle chemische Nervengifte (Organophosphate) im Blut neutralisieren und somit Vergiftungen vorbeugen könnte. Einige Organophosphate werden als Insektizide gegen Schädlinge eingesetzt. Falsch angewendet können sie jedoch bei Menschen zu Vergiftungen führen.

Egal ob im Biolandbau oder in der konventionellen Landwirtschaft, Pflanzenschutzmittel sind zur Ertragssicherung und damit für die Produktivität unentbehrlich. Synthetisch hergestellte Pflanzenschutzmittel werden in der Regel kritischer wahrgenommen als biologische. Vor allem Mittel zur Bekämpfung von Insekten oder anderen Fraßschädlingen können bei unsachgemäßer Anwendung eine schädigende Wirkung auf die menschliche Gesundheit haben. Die Wichtigkeit eines sachgemäßen Umgangs betonend, berichten wir hier über einen innovativen Ansatz zum Schutz gegen ein potenzielles Nervengift, welches auch als Insektizid Verwendung findet.  

Organophosphate sind synthetisch hergestellte chemische Stoffe, die als Insektizide in der Landwirtschaft und im Gartenbau genutzt werden. Sie hemmen das Enzym Acetylcholinesterase und schädigen damit die Reizübertragung im Nervensystem der Schadinsekten.

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Organophosphate wurden aufgrund ihrer toxischen Eigenschaften als chemische Waffe entdeckt.

Organophosphate wurden aufgrund ihrer toxischen Eigenschaften als chemische Waffe entdeckt.

Bildquelle: © iStockphoto.com/pablo del rio sotelo

Einsatz als chemische Waffen

Diese Stoffe können allerdings auch für den Menschen schädigend wirken. Dadurch erlangten Organophosphate negative Berühmtheit: Sie wurden im zweiten Weltkrieg als chemische Waffen entwickelt, wobei sie hier nicht zum Einsatz kamen. 

Seit der Entdeckung produzierte man die Chemikalien und lagerte sie ein. Leider wurden die chemischen Substanzen auch mehrmals als Waffe eingesetzt. Beispielsweise der chemische Kampfstoff Sarin, der im Jahr 1995 von der japanischen Aum-Sekte bei einem U-Bahn-Anschlag in Tokio verwendet wurde. Dabei starben 12 Menschen und mehrere Tausend wurden verletzt.

Die Nervengifte werden inhaliert oder gelangen über die Haut in die Blutbahn. Dort überstimulieren sie die Nerven und führen so zu starken Krämpfen und im schlimmsten Fall zum Tod des Betroffenen.

Seit dem „Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen“ im Jahr 1997 sind chemische Kampfstoffe wie VX, Sarin, Soman und Tabun verboten.

Organophosphate werden als Insektizide eingesetzt  

Für Organophosphate gibt es aufgrund ihrer toxischen Eigenschaften strenge Richtlinien, aber in der Regel werden sie in der Umwelt leicht abgebaut. Wenige Organophosphate sind daher als Insektizide in der EU und auch in Deutschland (Vgl. BVL, 2012) zugelassen, darunter Chlorpyrifos. Dieses Insektizid sorgte 2012 für Schlagzeilen, da Forscher Hinweise dafür fanden, dass Chlorpyrifos eine schädigende Wirkung auf das Gehirn Neugeborener haben kann (Vgl. Rauh et al., 2012). In Deutschland ist der Wirkstoff in zwei Produkten für den Haus- und Gartengebrauch noch bis Ende 2015 zugelassen. 

Auch das Insektizid Dimethoat ist in Deutschland und der EU erlaubt und sorgte 2012 für Aufmerksamkeit, als die belgische Lebensmittelüberwachungsbehörde FASNK einen Rückruf für Sellerie bekanntgab. Das Gemüse war übermäßig mit den Insektiziden Dimethoat und Lambda-Cyhalotrin belastet. 

Gefahr hauptsächlich in Entwicklungsländern

Dennoch bleibt die Vergiftungsgefahr vor allem ein Problem in Entwicklungs- und Schwellenländern. Hier sterben jährlich Menschen unabsichtlich - z.B. durch unzureichendes Wissen bei der Anwendung, durch Unfälle oder gar Attacken mit einem terroristischen Hintergrund - oder absichtlich bei Suizidversuchen durch Organophosphate (die WHO ging 2008 von ca. 200.000 Menschen aus). Schätzungen zufolge sind ca. ein Drittel aller Selbstmorde auf eine absichtliche Vergiftung mit Pestiziden zurückzuführen (Vgl. Gunnell et al., 2007).

Medizinische Behandlungen werden erforscht

Forscher suchen daher nach Mitteln, um Vergiftungen effektiv vorzubeugen und zu behandeln. Ein internationales Forscherteam fand nun einen Weg, um eine menschliches Protein so zu verändern, dass es als eine Art Schwamm das Nervengift in der Blutbahn aufsaugen kann. Solche Moleküle bezeichnet man auch als Bioscavenger.

Bioscavenger wirken in der Blutbahn und fangen im vorliegenden Fall die Organophosphate ab, bevor sie das Enzym Acetylcholinesterase erreichen. Damit wird dieses nicht gehemmt und das Nervensystem nicht angegriffen. So lassen sich folglich neurologische Schäden durch den Kontakt mit dem toxischen Stoffe vermeiden.

Produktion des modifizierten Enzyms

Um dieses Enzym herzustellen, veränderte das Forscherteam das menschliches Enzym BChE (Butyrylcholinesterase), welches als natürlicher Bioscavenger agiert. Das Problem ist jedoch, dass die Behandlung von Vergiftungen mit diesem Enzym sehr kostenintensiv wäre. Der Grund: Man benötigt große Mengen an Blutplasma, um eine geringe Dosis des Bioscavengers zu erzeugen. Daher ist eine breite Anwendung derzeit nicht wirtschaftlich.

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Chemische Hilfsmitteln werden genutzt, um Zierpflanzen im Haus, auf dem Balkon oder im Garten vor Schadinsekten zu schützen. Auf den Stoff Dimethoat wird beispielsweise bei einem Befall mit Blattläusen zurückgegriffen.

Chemische Hilfsmitteln werden genutzt, um Zierpflanzen im Haus, auf dem Balkon oder im Garten vor Schadinsekten zu schützen. Auf den Stoff Dimethoat wird beispielsweise bei einem Befall mit Blattläusen zurückgegriffen.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Anette Linnea Rasmussen

Um dieses Problem zu lösen nutzten die Forscher biotechnologische Verfahren und produzierten rekombinante Proteine in Säugetierzellen (hier: in Hamsterzellen). Durch diese Technik lassen sich auch große Mengen des Enzyms schnell und kostengünstig erzeugen. Viele therapeutische Proteine werden heute auf diesem Weg produzieren. Die Forscher setzten dazu menschliche Gene, die das Enzym BChE kodieren, in die Hamsterzellkulturen ein und veränderten das Enzym danach, sodass ein größeres Makromolekül entstand. Die Größe ist dabei für die Stabilität im Blut entscheidend.

In vivo Experiment belegen die Wirkung

Die Wissenschaftler testeten das modifizierte Enzym in einem Experiment an lebenden Mäusen (in vivo). Zuvor hatten sie in Experimenten außerhalb lebender Organismen (in vitro) bereits nachweisen können, dass die rekombinaten Enzyme in der Blutbahn stabil blieben und eine hohe Bindungsrate mit VR-Molekülen hatten.

Die Wissenschaftler teilten die Mäuse in zwei Gruppen auf: Eine Gruppe erhielt menschliches Plasma, welches BChE enthielt, die andere Gruppe erhielt die rekombinate Variante des Enzyms. Allen wurde daraufhin das Nervengift VR verabreicht, welches geringfügig giftiger ist, als der chemische Kampfstoff VX.

Im Experiment schützten die Enzyme die Mäuse vor der schädlichen Wirkung des Giftes: Die Mäuse überlebten sogar bei einer normalerweise tödlichen Dosis. Zudem hatten sie keine dauerhaften Nebenwirkungen. Das modifizierte Enzym war demnach ein wirksamer Bioscavenger.

Langfristiges Ziel: Medikament

Die Ergebnisse zeigten, dass das Enzym in den Mäusen wirksam war. Nun können die Daten dazu genutzt werden, ein Medikament zu entwickeln, welches auch beim Menschen angewendet werden kann. Langfristiges Ziel ist es daher, ein Biopharmazeutikum zur Prophylaxe, lang wirkenden Vorbehandlung und als effektive Gegenmaßnahme für menschliche Organophosphat-Vergiftungen marktfähig zu machen. Allerdings ist es bis dahin noch ein langer Weg. Erst muss noch der umfassende Zulassungsprozess durchlaufen und das Enzym in Experimenten mit menschlichen Versuchspersonen überprüft werden. 


Quelle:
Ilyushina, D. G. et al. (2013): Chemical polysialylation of human recombinant butyrylcholinesterase delivers a long-acting bioscavenger for nerve agents in vivo. In: PNAS, (online 7. Januar 2013), doi: 10.1073/pnas.1211118110.

 

Weiterführende Informationen:
Liste der zugelassenen Pflanzenschutzmittel in Deutschland (BVL; Stand: Oktober 2012)
EPPO - Information über zugelassene Pflanzenschutzmittel in Europa

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