Interview: Professor Dr. Lothar Willmitzer

… würde gerne nochmal an Naturstoffen forschen

10.04.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Professor Dr. Lothar Willmitzer (Quelle: © MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie)

Professor Dr. Lothar Willmitzer (Quelle: © MPI für Molekulare Pflanzenphysiologie)

Lothar Willmitzer, Direktor des Max-Planck-Institutes für Molekulare Pflanzenphysiologie, gilt als Wegbereiter der molekularen Pflanzenphysiologie in Deutschland. Seine Arbeitsgruppe „Gene und kleine Moleküle“ erforscht Signalmoleküle und metabolische Netzwerke. Mit Pflanzenforschung.de spricht er über Wissenslücken in der Pflanzenforschung und über die Aufgaben der Grundlagenforschung in Deutschland.

Pflanzenforschung.de: Ihrer Karriere als Wissenschaftler begann in den 70er Jahren. Welche technischen Entwicklungen in der Pflanzenforschung hätten Sie damals noch gar nicht für möglich gehalten?

Professor Dr. Lothar Willmitzer: Wie sich die Techniken innerhalb der letzten Jahrzehnte entwickelt haben ist schon toll. Da könnte ich viele aufführen, aber ich nenne mal ein Beispiel: Die Genomsequenzierung. Vor 35 Jahren, als ich angefangen habe konnte man es einfach nicht für möglich halten, dass man komplette Genome in kurzer Zeit für relativ wenig Geld entschlüsseln kann. Früher brauchte man abstrakte Modelle, um sich Gene und Genaktivität zu erklären. Heute kann man das quasi sehen. Von so einer „molekularen Auflösung“ konnte man höchstens träumen, sie aber nicht vorhersagen.

Diese Entwicklung in der biologischen Forschung ist natürlich erst durch die modernen Informationstechnologien und die moderne Chemie möglich geworden.

Pflanzenforschung.de: Gab es eine bahnbrechende Entdeckung, bei der Sie gerne dabei gewesen wären?

Professor Dr. Lothar Willmitzer: Wenn ich ehrlich bin habe ich diese Entdeckung miterleben dürfen. Als ich Postdoc war, hatte ich das Glück bei der Entdeckung des Gentransfers durch Agrobakterien dabei zu sein. Die Idee für die Technik kam unter anderem von meinem damaligen Chef Josef Schell. Josef Schell, der im Jahr 2003 verstorben ist, war ein sehr visionärer Wissenschaftler. Wenn ich sagen sollte, welche Technologie mich am meisten beeindruckt hat, dann wäre es die Entwicklung dieser Methode gewesen.

Pflanzenforschung.de: Die technischen Möglichkeiten haben in den vergangenen Jahrzehnten eine rasante Entwicklung gemacht. Haben sich dadurch auch die Fragen verändert?

Professor Dr. Lothar Willmitzer: Die Fragen sind eigentlich ähnlich geblieben. Früher hat man sich auch schon gefragt, wie überlebt eine Pflanze in der Wüste. Dabei hat man allerdings nur wenige Parameter gemessen, z. B. überlebt die Pflanze in diesem Boden besser als in dem anderen? Dann musste es dieser Parameter sein. Heute weiß man, dass es tausende von Parametern gibt und dass die Antwort auf die Frage wesentlich komplexer ausfallen wird.

Pflanzenforschung.de: Wo gibt es ihrer Meinung nach immer noch die größten Wissenslücken in der Pflanzenforschung?

Professor Dr. Lothar Willmitzer:  Die größten Wissenslücken gibt es im Verständnis der Reaktion der Pflanze auf verschiedene Umweltveränderungen. Das kann man zwar alles beschreiben, aber diese polygene Eigenschaften molekular aufzuklären, das wird noch dauern.  

Sehr spannend finde ich persönlich auch den Heterosiseffekt, also warum bestimmte Züchtungskombinationen von Pflanzen leistungsstärkere Sorten hervorbringen als andere. Dieser Effekt ist extrem wichtig für die Pflanzenzucht, aber bis heute kaum verstanden.

Pflanzenforschung.de: Wenn sie Pflanzenforschung in Deutschland hören, woran denken Sie? Was zeichnet die Pflanzenforschung in Deutschland aus?

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Moderne Chemie und Bioinformatik haben die Pflanzenforschung revolutioniert. Durch sie können Forscher komplexe Stoffwechselprozesse und die Genaktivität von Pflanzen als „Schnappschuss“ in den unterschiedlichen Entwicklungsstadien erfassen. Die Erforschung dieser molekularen Netzwerke ist ein Forschungsschwerpunkt des Max-Planck-Institutes für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm.

Moderne Chemie und Bioinformatik haben die Pflanzenforschung revolutioniert. Durch sie können Forscher komplexe Stoffwechselprozesse und die Genaktivität von Pflanzen als „Schnappschuss“ in den unterschiedlichen Entwicklungsstadien erfassen. Die Erforschung dieser molekularen Netzwerke ist ein Forschungsschwerpunkt des Max-Planck-Institutes für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm.

Bildquelle: © Omics.org

Professor Dr. Lothar Willmitzer: Grundsätzlich ist die Pflanzenforschung in Deutschland sehr gut aufgestellt, also unter den Top fünf Nationen der Welt. Das hat denke ich, sowohl etwas mit der ausgeprägten Forschungstradition in Deutschland zu tun, als auch damit, dass die Biochemie in Deutschland sehr stark ist. Pflanzenforschung ist von der wirtschaftlichen Bedeutung für Deutschland eigentlich marginal. Landwirtschaft macht nur 3 % vom Bruttosozialprodukt aus. Das rechtfertigt also keine starke Pflanzenforschung.

Wichtiger ist wohl eher das Wissenschaftsargument. Deutschland sieht sich als Wissenschaftsnation. Die meisten Leute wissen, dass der Lebensstandard in Deutschland ein anderer wäre, wenn wir nicht so gute Autos bauen würden oder so gute Chemie machen würden. Wissenschaft ist ein Teil unserer Landeskultur.

Pflanzenforschung.de: Werden Pflanzen als Modell der Grundlagenforschung manchmal stiefmütterlich behandelt? Beispielsweise im Vergleich zum Tiermodell?

Professor Dr. Lothar Willmitzer: Dass Pflanzenforschung stiefmütterlicher behandelt wird, als andere Disziplinen würde ich nicht sagen. Man sollte natürlich versuchen, dass zu verstehen und das zu erfragen, was in Pflanzen wirklich wichtig ist und was man in anderen Modellen nicht verstehen kann. Und da gibt es genügend Fragen.

Aber natürlich ist der Mensch oder jedes Tiermodell aus unserer Wahrnehmung heraus immer „more sexy“. Wichtige Phänomene wie beispielsweise RNAi wurden in Pflanzen entdeckt. Trotzdem ging der Nobelpreis dafür nicht an einen Pflanzenforscher. Da muss man als Pflanzenforscher dann wohl durch.

Pflanzenforschung.de: Die Erkenntnisse der Grundlagenforschung sollen vor allem in der Zucht verbesserter Sorten, zur Erzeugung von Bioenergie, neuen Materialien und zu Versorgung mit Pharmazeutika einfließen. In welchen Anwendungsgebieten sehen Sie momentan die besten Entwicklungspotenziale? Was sind die wichtigsten Aufgaben für die Zukunft?

Professor Dr. Lothar Willmitzer: Was können Sie mit Pflanzen machen? Man kann sie essen und verfüttern.

Dann gibt es den Bereich der Energie. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass die Verbrennung von Pflanzen immer noch den höchsten Energieeintrag bringt. Man hat dabei zwar ein Abgasproblem, aber zumindest technologisch ist das nicht sonderlich schwierig. Ob man die Bioethanol-/Biobutanolproduktion, so fördern sollte, wie es derzeit in den USA getan wird, da wäre ich eher zurückhaltend. In Deutschland ist die Biogasproduktion aus Pflanzen über methangasbildende Bakterien sehr weit entwickelt. Das ist sowohl von der Energiebilanz als auch ökologisch, zumindest in Bezug auf die Kreislaufwirtschaft, positiv zu bewerten. Das einzige Problem dort ist das die Anlagen oft nicht ganz dicht sind. Bei kleinen Anlagen kann klimaschädigendes Methan in die Atmosphäre entweichen.

Als dritte Möglichkeiten können Sie aus Pflanzen Stoffe extrahieren und beispielsweise Werkstoffe oder Medikamente herstellen. Hier sehe ich einen sehr großen Forschungsbedarf, denn neben Pilzen sind Pflanzen die besten Chemiker auf diesem Planeten. Über 50 % aller Wirkstoffe, die in Arzneimittel verwendet werden, sind von Naturstoffen der Pflanzen abgeleitet. Viele niedermolekulare Stoffe sind allerdings noch nicht bekannt. Diesen Reichtum an komplexen Molekülen zu verstehen, ist nach wie vor eine ganz wichtige Forschung. Außerdem gibt es noch den Bereich der Commodities, also Zellulose, Öle und Stärke. Hier könnte man sich überlegen, wie man diesen Bereich im Sinne einer Art „grünen“ Chemie weiter ausbauen könnte. Da ist noch wenig gemacht worden, während man diesen Bereich für die Entwicklung von Nahrungs- und Futtermittel schon sehr gut nutzt.

Pflanzenforschung.de: Steht die Grundlagenforschung auch unter Druck, Anwendungsforschung machen zu müssen?

Professor Dr. Lothar Willmitzer: Nein, das kann man so nicht sagen. In Deutschland kann man sehr gut Grundlagenforschung machen. Die Mittel, die eine Universität hat, kann sie selbstbestimmt einsetzen. Auch die Förderung der DFG sind ganz klar Grundlagenforschungs-orientiert. Das trifft auch auf die Max-Planck-Gesellschaft zu, die nicht zweckorientiert, sondern eher Neugier-getrieben forscht. Fördermittel der EU oder des BMBF haben natürlich eine andere gesellschaftliche Funktion und müssen anwendungsorientiert fördern. Ich denke das ist eine gute Mischung. Dass Programme über die Mittelvergabe strukturieren, halte ich für legitim.

Man sollte auch nicht davon ausgehen, dass die Industrie die Grundlagenforschung immer ermahnt, nach möglichen Anwendungen zu suchen. Ganz im Gegenteil, da heißt es eher: Macht das was ihr am besten könnt, nämlich Grundlagenforschung. Wir schauen uns an, ob etwas Interessantes für uns dabei ist und gehen dann mit euch zusammen. Grundlagenforschung ist für die Industrie viel zu teuer und risikoreich.

Pflanzenforschung.de: Sind Anwendungs- und Grundlagenforschung in Deutschland ausreichend miteinander vernetzt?

Professor Dr. Lothar Willmitzer: Durch Programme wie beispielsweise GABI ist das sehr gut gewährleistet. Auch die Forscher der Universitäten haben mittlerweile ein gutes Bewusstsein für die möglichen Anwendungsgebiete der Pflanzenforschung. Die Berührungsscheu, die es vielleicht noch vor zwanzig Jahren gab, existiert so nicht mehr.

Pflanzenforschung.de: Wenn man Ihnen noch eine zusätzliche Arbeitsgruppe finanzieren würde, woran würden Sie forschen?

Professor Dr. Lothar Willmitzer:  An Naturstoffen. Jeder denkt, dass Naturstoffchemie ein langweiliges, abgekochtes Thema ist, dass man schlecht publizieren kann. Das sehe ich anders. Das Anwendungspotential ist sehr hoch und Gene zu identifizieren, mit denen die Pflanze komplexe Moleküle herstellt ist denke ich, nach wie vor ein Bereich, der sehr aktuell ist.

 Pflanzenforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch.