„Johanniskraut-Chemie“ besser verstehen
Biotechnologische Herstellung pharmazeutisch nützlicher Inhaltsstoffe rückt einen Schritt näher
Das Echte Johanniskraut wird seit Jahrtausenden als Heilpflanze verwendet, weil es zahlreiche pharmazeutisch interessante Moleküle produziert. Jetzt ist es gelungen, zwei Enzyme in einer verwandten Art zu identifizieren, die an einer Schlüsselstelle dieser Biosynthesen sitzen.
Seit Menschheitsgedenken verwenden wir Pflanzen, um Krankheiten, Wunden oder andere Beschwerden zu lindern. Heute ist in vielen Fällen auch bekannt, welche Pflanzenstoffe es jeweils sind, deren Wirkung wir schätzen. Damit ist es oftmals möglich, speziell diese Wirkstoffe in gereinigter Form einzusetzen, ohne etwaige Nebenwirkungen durch andere Inhaltsstoffe der Pflanze zu riskieren. Allerdings ist es häufig so, dass eine Pflanze eine gewünschte Substanz nur in geringer Konzentration bildet. Das macht die Extraktion und Aufreinigung schwierig. Eine klassische chemische Synthese hingegen scheitert häufig an der Komplexität der Moleküle.
Das Echte Johanniskraut ist dafür ein Beispiel. Extrakte dieser Pflanze werden bei leichten und mittelschweren Depressionen eingesetzt. Der zugrunde liegende Wirkstoff ist Hyperforin. Weitere Inhaltsstoffe wirken eventuell etwa gegen Krebs oder Infektionen. Um Hyperforin einfacher gewinnen zu können, müsste erst einmal seine Biosynthese bekannt sein. Damit wäre es dann möglich, diesen Prozess biotechnologisch in Mikroorganismen oder durch isolierte Enzyme nachzubilden – Verfahren, die Ausbeuten in industriell relevantem Maßstab ermöglichten.
Suche nach wahrscheinlichen Enzymkandidaten im Transkriptom
Eine Studie unter Leitung der Universität Braunschweig rückt dieses Ziel nun etwas näher. Die Forscher:innen haben im verwandten Johanniskraut Hypericum sampsonii zwei wichtige Enzyme identifiziert. Diese sind daran beteiligt, aus einer Vorstufe zwei zentrale Zwischenprodukte zu bilden, aus denen wiederum weitere komplexe, medizinisch relevante Inhaltsstoffe gebildet werden können. Bei den Zwischenprodukten handelt es sich um Bicyclo[3.3.1]nonane vom Typ A (7-epi-Nemoroson) sowie B (7-epi-Clusianon). Beide sind bis heute biochemisch schwer zu modifizieren. Biokatalytische Prozesse wären deshalb ein großer Fortschritt für die Pharmakologie.
Zunächst erstellten die Forscher:innen deshalb eine Transkriptomdatenbank für H. sampsonii. Weil es Hinweise darauf gab, dass die gesuchten Enzyme zur Gruppe der aromatischen Prenyltransferasen gehören könnten, suchte das Team zunächst nach homologen Enzymen zu HsPT8px. HsPT8px ist eine von zwei bereits charakterisieren aromatischen Prenyltransferasen in H. sampsonii. Von den dreizehn Treffern wiesen zwei eine Struktur auf, die mit der Koordination von Metallionen-Cofaktoren assoziiert ist und deshalb das Interesse der Forscher:innen weckte. Klonierungen der entsprechenden cDNA in Hefe bestätigten, dass die beiden Enzyme die gesuchte Reaktion katalysieren.
Analyse der Enzymstruktur durch KI und Mutationsexperimente
Um die Eigenschaften der besagten Enzyme besser zu verstehen, kombinierte das Forschungsteam Computerberechnungen sowie Mutationsstudien. In den Computersimulationen suchten die Forscher:innen nach möglichen Modellen, die erklären können, wie die beiden Enzymreaktionen ablaufen. Demnach fügen die Enzyme dem Vorstufenmolekül fünf Kohlenstoffatome hinzu und führen zwei Ringüberbrückungen ein.
Weiterhin gelang es den Forscher:innen, diejenigen Aminosäuren im aktiven Zentrum der Enzyme zu identifizieren, die dafür sorgen, dass die Substratbindung an die gemeinsame Vorstufe regiospezifisch erfolgt – bei Typ A aufrecht und bei Typ B genau andersherum. Dazu tauschen die Fachleute einzelne oder mehrere Aminosäuren des Enzyms aus, bis klar war, dass es neun Aminosäuren sind, die die jeweilige Position des Substrats in der Bindungstasche stabilisieren. Sieben davon treten in direkte Interaktion mit dem Substrat und bestimmen die Spezifität, zwei weitere beeinflussen eher die Gesamtperformance des Enzyms. Tauschte das Team die so identifizierten Aminosäuren zwischen den beiden Enzymen aus, erzeugten diese das jeweils andere Produkt.
Weiteres vielversprechendes Enzym durch Sequenzhomologie gefunden
In einem abschließenden Schritt suchten die Forscher:innen nach Sequenzhomologien in anderen Johanniskräutern, von denen es ca. 500 Arten gibt. In Hypericum perforatum fanden sie ein homologes Enzym. Das ist insbesondere deshalb von Bedeutung, weil H. perforatum im Gegensatz zu H. sampsonii Hyperforin aus Substraten erzeugt, die eine aliphatische anstelle einer aromatischen Acylgruppe aufweisen. Damit eröffnet es den Weg zu anderen, potenziell pharmakologisch interessanten Verbindungen. Dennoch gilt für alle drei Enzyme: Sie katalysieren zwar einen zentralen Schritt der Biosynthese zahlreicher medizinisch relevanter Moleküle, doch wie es von dort jeweils weiter geht, muss nun noch in weiteren Studien geklärt werden.
Quelle:
Ernst, L. et al. (2024): “Regiodivergent biosynthesis of bridged bicyclononanes”. In: Nature Communications, 15:4525 (28. Mai 2024). doi: 10.1038/s41467-024-48879-w.
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Titelbild: Extrakte des Echten Johanniskrauts dienen der Behandlung von Depressionen. Verwendet werden die blühenden Zweigspitzen (Bildquelle: © Ludger Beerhues/TU Braunschweig).