Klein, aber oho!

Entschlüsselung des europäischen Kartoffel-Pan-Genoms

02.05.2025 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Europäische Kartoffelsorten besitzen nur einen kleinen Genpool (Bildquelle: © Von Freud - Eigenes Werk / Wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Europäische Kartoffelsorten besitzen nur einen kleinen Genpool (Bildquelle: © Von Freud - Eigenes Werk / Wikimedia, CC BY-SA 4.0)

Die Kartoffel ernährt weltweit mehr als eine Milliarde Menschen, doch ihr europäisches Genom ist erstaunlich klein. Forschende der LMU zeigten nun in "Nature": Trotz des begrenzten Genpools unterscheiden sich einzelne Chromosomenkopien so stark wie bei keiner anderen Kulturpflanze. Mit der Entschlüsselung des europäischen Kartoffel-Pan-Genoms könnten künftig neue Züchtungsstrategien entwickelt werden.

Schon vor 10.000 Jahren begannen indigene Völker in Südamerika mit der Domestikation der Kartoffel. Erst im 16. Jahrhundert gelangte die Pflanze nach Europa, wo sich nur wenige Linien unter den neuen klimatischen Bedingungen etablieren konnten.

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Kartoffeln wurden vor etwa 10.000 Jahren in Südamerika domestiziert und um 1570 nach Europa eingeführt. Mitte des 19. Jahrhunderts führte mangelnde Resistenz gegen Phytophthora infestans zur Irischen Hungersnot. Die moderne Kartoffelzüchtung begann um 1880 und basiert bis heute überwiegend auf Kreuzungen europäischer Sorten, ergänzt durch wenige Einkreuzungen von Wildarten.

Kartoffeln wurden vor etwa 10.000 Jahren in Südamerika domestiziert und um 1570 nach Europa eingeführt. Mitte des 19. Jahrhunderts führte mangelnde Resistenz gegen Phytophthora infestans zur Irischen Hungersnot. Die moderne Kartoffelzüchtung begann um 1880 und basiert bis heute überwiegend auf Kreuzungen europäischer Sorten, ergänzt durch wenige Einkreuzungen von Wildarten.

Bildquelle: © Sun, H., Tusso, S. et al. (2025), CC BY 4.0

Die Analyse von zehn historischen Sorten zeigte überraschend: 85 Prozent der genetischen Vielfalt heutiger europäischer Kartoffeln lassen sich auf diese alten Linien zurückführen. Der genetische Pool ist damit extrem limitiert — eine Folge mehrerer Flaschenhals-Effekte, verursacht durch Anpassungsschwierigkeiten, Pflanzenkrankheiten und katastrophale Ereignisse wie die Irische Kartoffelkrise im 19. Jahrhundert.

Besonders bemerkenswert: Trotz der geringen Zahl an unterschiedlichen Haplotypen entdeckten die Forschenden eine enorme genetische Variabilität innerhalb der Chromosomenkopien. Die Unterschiede zwischen einzelnen Chromosomen sind zwanzigmal größer als beim Menschen und übertreffen die Varianz, die bei anderen Kulturpflanzen beobachtet wurde.

Diese genetische Vielfalt geht vermutlich auf frühzeitige Kreuzungen mit wilden Kartoffelarten in Südamerika zurück, die bereits vor der Einfuhr nach Europa von indigenen Völkern vorgenommen wurden. Sie bietet heute eine wertvolle Ressource für die moderne Züchtung, um Resilienz und Ertragsstärke in neue Sorten einzubringen.

Der Haplotyp-Graph als neues Werkzeug

Besonders innovativ ist der von den Forschenden entwickelte Ansatz zur Genomanalyse: Statt mühsam neue, vollständige Genome zusammenzusetzen, können nun einfach gewonnene Sequenzdaten mit einem neu erstellten "Haplotyp-Graphen" abgeglichen werden.

Ein Haplotyp-Graph ist eine Art genetische Landkarte, die verschiedene Varianten eines Genoms als Netzstruktur darstellt und Beziehungen zwischen den Sequenzen sichtbar macht. Er ermöglicht es, neu sequenzierte Sorten schnell mit bekannten genetischen Mustern abzugleichen, ohne jedes Mal ein vollständiges Genom rekonstruieren zu müssen (Pseudo-Genome). Dieses Verfahren spart nicht nur Zeit und Kosten, sondern erhöht auch die Genauigkeit der genetischen Charakterisierung erheblich.

Der entwickelte Graph enthält alle wichtigen genetischen Varianten des europäischen Kartoffel-Pan-Genoms und bildet somit die Grundlage für systematische Vergleiche und die Erkennung neuer Kombinationen von Merkmalen. Das Verfahren demonstrierten die Forschenden an der beliebten Sorte "Russet Burbank", die seit 1908 die Basis für Pommes frites bildet.

Zwar sind die aktuellen Pseudo-Genome nicht fehlerfrei, aber die Genauigkeit soll sich durch die Integration weiterer Genome verbessern. Mit solchen künftigen Erweiterungen könnte der Ansatz helfen, die über 2.000 in Europa registrierten Kartoffelsorten schnell und präzise zu analysieren und so die vorhandene Vielfalt gezielt für die Pflanzenzucht nutzbar zu machen.

R-Gene und strukturelle Variationen

Neben der allgemeinen Sequenzanalyse konzentrierten sich die Forschenden auf strukturelle Varianten wie Insertionen, Deletionen und Translokationen innerhalb der Chromosomenkopien. Besonders auffällig waren Regionen, die Krankheitsresistenzgene tragen — sogenannte R-Gene —, die nur in einzelnen Haplotypen vorhanden sind, während andere genetische Abschnitte bemerkenswert stabil blieben. Auch Unterschiede in der Anzahl von Genkopien, insbesondere bei Genen, die den Stärkegehalt beeinflussen, wurden sichtbar.

Züchtung wird nun einfacher

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Genomeditierung: Joram erklärt die Genschwere CRISPR/Cas9 - ausgezeichnet im Fast Forward Science Webvideo-Wettbewerb.

Videoquelle: © erforschtCRISPR / Youtube.com

Die neuen Erkenntnisse liefern wichtige Grundlagen für die Pflanzenzüchtung und könnten helfen, die Widerstandsfähigkeit der Kartoffel gegenüber Klimastress erheblich zu stärken.

Auch Genome Editing kann nun künftig gezielter eingesetzt werden, um neue Resilienzmerkmale wie Trockenheits- oder Salzresistenz einzuführen. Das Pan-Genom bietet dafür die Basis, gezielt bestimmte Haplotypen und Resistenzgene zu bearbeiten. Besonders spannend: Durch präzise Eingriffe in einzelne Chromosomenkopien lassen sich neue Eigenschaften einführen, ohne andere wichtige Merkmale zu beeinträchtigen.

Für eine nahezu vollständige Erfassung der genetischen Vielfalt der kultivierten Kartoffel wären noch 24 zusätzliche Genome nötig, um 95 Prozent und 145 Genome, um 99 Prozent der Variation abzudecken. Eine gezielte Auswahl genetisch interessanter Sorten könnte diesen Aufwand deutlich reduzieren. Aufgrund der geringen genetischen Vielfalt erscheint es somit möglich, ein vollständiges Pan-Genom der europäischen Kartoffel in den nächsten Jahren zu erstellen.

"Das Wissen über Genomsequenzen ist die Grundlage für viele Ansätze in der Züchtung, angefangen in der traditionellen Züchtung bis hin zu den neuen Methoden der Genommodifikation", sagt Projektleiter Professor Korbinian Schneeberger. "In Zukunft werden wir nicht mehr ohne diese Information arbeiten müssen."


Quelle:
Sun, H., Tusso, S. et al. (2025): The phased pan-genome of tetraploid European potato. In: Nature 2025. doi: s41586-025-08843-0

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Titelbild: Europäische Kartoffelsorten besitzen nur einen kleinen Genpool (Bildquelle: © Von Freud - Eigenes Werk / Wikimedia, CC BY-SA 4.0)