Konvergente Evolution

Eine stachelige Angelegenheit

06.09.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Stacheln bildeten sich bei nicht näher verwandten Arten von Gefäßpflanzen unabhängig voneinander: eine sogenannte konvergente Evolution (hier der Stamm des Kapokbaumes (Ceiba pentandra). (Bildquelle: © Amanda Grobe, eigenes Werk / Wikipedia, CC BY-SA 2.5) 

Stacheln bildeten sich bei nicht näher verwandten Arten von Gefäßpflanzen unabhängig voneinander: eine sogenannte konvergente Evolution (hier der Stamm des Kapokbaumes (Ceiba pentandra). (Bildquelle: © Amanda Grobe, eigenes Werk / Wikipedia, CC BY-SA 2.5) 

Stacheln sind ein Erfolgsrezept, das sich bei vielen Pflanzen unabhängig voneinander entwickelt hat. Doch die genetischen Veränderungen dahinter sind immer die gleichen. Mit diesem Wissen ließen sich vielleicht störrische Stacheln von Zier- oder Nutzpflanzen einfach wegzüchten.

Rosen bezaubern Blumenfreunde auf der ganzen Welt. Doch Hobbygärtner und Floristen müssen vorsichtig sein, weil die Pflanzen über und über mit spitzen Stacheln besetzt sind. Einmal unaufmerksam gewesen und – autsch – wurde man gepikst. Die Stacheln, im Volksmund irrtümlich auch als Dornen bezeichnet, schützen die Pflanze vor Fressfeinden, helfen beim Klettern oder vermindern die Verdunstung von Wasser.

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Stacheln (hier bei einer Rose) sind Ausstülpungen der Epidermis einer Pflanze. Dornen hingegen sind umgebildete Pflanzenorgane (z.B. Blätter).

Stacheln (hier bei einer Rose) sind Ausstülpungen der Epidermis einer Pflanze. Dornen hingegen sind umgebildete Pflanzenorgane (z.B. Blätter).

Bildquelle: © Denis Barthel, eigenes Werk / Wikipedia, CC BY-SA 3.0

Und nicht nur Rosen verfügen über dieses potente Allzweckwaffe. Stacheln sind bei Gefäßpflanzen in Millionen von Jahren mindestens 28-mal unabhängig voneinander entstanden. So zum Beispiel bei der Familie der Nachtschattengewächse (Solanum), zu der auch Tomaten, Kartoffeln und Auberginen gehören. Diese wird als konvergente Evolution bezeichnet.

Wenig Wissen über Stacheln

Doch hatte die Evolution bei allen Arten die gleichen „Stachel-Gene“ aktiviert oder gab es Unterschiede in der genetischen Ausstattung und den entsprechenden Stoffwechselwegen? Diese Frage stellte sich auch der Wissenschaftler James Satterlee vom Cold Spring Harbor Laboratory in den USA. Mit seinem Arbeitsgruppenleiter Professor Zacharly Lippman schlenderte er über die Versuchsfelder an der Universität, wo er eine große Zahl an Nachtschattengewächsen anbaut.

„Mir ist aufgefallen, dass viele der Pflanzen sehr markante Stacheln hatten. Also haben wir uns gefragt: Was wissen wir darüber? Was ist der Grund für diese Anpassung? Es stellte sich heraus, dass wir fast gar nichts darüber wissen“, sagt Satterlee. Dabei ist das keine nerdige Frage, wie er betont. „Die Frage dreht sich wirklich um das Leben im Allgemeinen, die Evolution von Eigenschaften. Wie entstehen sie? Wie werden sie verändert? Welche Mechanismen stecken dahinter?“

Konvergente Evolution nutzt gleiche Gene

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Links eine Rose, bei der durch virus-induziertes Gene Silencing die Ausbildung der Stacheln abgeschwächt wurde. Rechts eine Wildtyp-Rose mit voll ausgebildeten Stacheln.

Links eine Rose, bei der durch virus-induziertes Gene Silencing die Ausbildung der Stacheln abgeschwächt wurde. Rechts eine Wildtyp-Rose mit voll ausgebildeten Stacheln.

Bildquelle: © Mohamed Bendahmane/INRAE, CNRS, Université de Lyon, Frankreich

Das Team aus New York holte sich Unterstützung aus anderen Ländern und begann damit, systematisch die Genome von Nachtschattengewächsen zu analysieren. Es war bereits bekannt, dass bei Auberginen ein Ort auf dem Chromosom 6 mit dem Namen prickleless (pl) – auf Deutsch also „stachellos“ – mit dem stachelfreien Phänotyp korrelierte. Durch weitere Analysen fanden die Forschenden heraus, dass innerhalb dieses Genorts ein Gen aus der Familie LONELY GUY (LOG) für die Stacheln verantwortlich war. War das Gen durch eine Mutation beschädigt, bildeten die Pflanzen weniger markante oder gar keine Stacheln mehr.

Das LOG-Gen enthält die Information für ein Enzym aus dem Cytokinin-Stoffwechselweg. Das Pflanzenhormon Cytokinin spielt eine wichtige Rolle bei der Zellteilung und -differenzierung. Die meisten Samenpflanzen enthalten heutzutage jedoch nicht mehr nur eine, sondern zehn oder zwölf Kopien der LOG-Gene. Diese Vervielfältigung bildet die Grundlage für die sogenannte evolutionäre Co-Option: eine der LOG-Kopien wurde für die ursprüngliche Aufgabe nicht gebraucht und konnte so verändert werden, dass sie spezifisch die Ausbildung von Stacheln einleitet.

Deaktivierung mit Genschere möglich

In einem weiteren Experiment zeigte das Forschungs-Team, dass mit Hilfe von Genomeditierung das LOG-Stachel-Gen inaktiviert werden kann. Zwei normalerweise stachelige Pflanzen aus Australien, der Wald-Nachtschatten (Solanum prinophyllum) und die Wüsten-Rosine (Solanum cleistogamum), wurden mit Hilfe der Genschere von ihren Stacheln befreit. Ansonsten blieb das Aussehen der Pflanzen gleich. „Das deutet darauf hin, dass LOG-Targeting eine effektive Strategie ist, um bei wilden oder teilweise domestizierten stacheligen Pflanzen mit Früchten deren Ernte zu verbessern“, schreiben die Autoren in ihrem Paper.

Einer der Kollaborateure, Mohammed Bendahmane vom Französischen Nationalinstitut für Landwirtschaft, Lebensmittel und Umwelt (INRAE) in Frankreich, konnte sogar bei Rosen mit Hilfe von virus-induzierter Gen-Stilllegung die Ausbildung von Stacheln drastisch reduzieren. Bisher müssen die Stacheln von Rosen per Hand entfernt werden – eine mühselige und zeitaufwändige Arbeit. Fortschritte bei der Genomeditierung könnten eines Tages dazu führen, dass die beliebtesten Schnittblumen der Welt zukünftig auch ohne Stacheln wachsen.


Quelle:
James W. Satterlee et al.: Convergent evolution of plant prickles by repeated gene co-option over deep time. Science 385, eado1663 (2024). DOI:10.1126/science.ado1663  

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Titelbild: Stacheln bildeten sich bei nicht näher verwandten Arten von Gefäßpflanzen unabhängig voneinander: eine sogenannte konvergente Evolution (hier der Stamm des Kapokbaumes (Ceiba pentandra). (Bildquelle: © Amanda Grobe, eigenes Werk / Wikipedia, CC BY-SA 2.5)