Kuriose Pflanzenwelt: Die Kletterpflanze Boquila trifoliolata
Hat diese Pflanze tatsächlich Augen?
Diese Kletterpflanze kann erstaunliches: Ihre Blätter ähneln dem Laub des Baumes, an dem sie emporwächst. Doch wie ist das möglich? Es gibt verschiedene Erklärungen bis hin zu der gewagten Hypothese, dass diese Pflanze „Blattaugen“ besitzt. Diese würden es ihr ermöglichen, die Form und Farbe benachbarter Blätter zu erkennen und zu imitieren. Darüber streitet die Wissenschaft.
Beheimatet ist Boquila trifoliolata in Südamerika, insbesondere im südlichen Chile und Argentinien, wo sie in schattigen, feuchten Regenwäldern wächst. Sie ist bekannt für ihre außergewöhnliche Fähigkeit zur Mimikry: Ihre Blätter ähneln denen ihres Kletterbaumes bzw. ihrer Wirtspflanze. Diese Blattanpassung gehen offenbar sehr schnell: Wächst die Pflanze zufällig an einem anderen Nachbarbaum vorbei, passt sie ihre Blätter umgehend auch diesem Vorbild an. Fotobeispiele dieser Mimikry sind in der Studie von White, J., und Yamashita, F. (2021) enthalten, die aus Copyright-Gründen nicht hier dargestellt werden können. Blätter von Boquila trifoliolata sind mit "V" markiert, mit "T" verschiedene Wirtsbäume.
Rätsel über Rätsel
Erst einmal die Frage: Wozu macht die Pflanze das überhaupt? Das ist bisher auch nicht ganz klar. Spekuliert wird, dass die Mimikry ein Schutz sein könnte, dass also die Pflanze von Pflanzenfresser wie Insekten oder Parasiten nicht mehr so einfach inmitten der Blätter ihrer Wirtspflanze wahrgenommen wird.
Eine andere unbewiesene Erklärungsmöglichkeit: Durch das Imitieren der Nachbarblätter könnte die Kletterpflanze ihre Blattform und Größe an die Lichtverhältnisse optimal anpassen und so ihre Photosyntheserate verbessern. Gemäß dem Motto: Wenn mein Wirtsbaum diese Blattform nutzt, dann muss das auch für mich gut sein.
„Riechen“, Baupläne kopieren oder doch was anderes?
Das nächste und noch größere Rätsel ist, wie die Pflanze die Nachbarblätter überhaupt imitieren kann. Die chilenischen Forscher Ernesto Gianoli und Fernando Carrasco-Urra haben das Phänomen entdeckt und 2014 eine Studie dazu veröffentlicht. Die beiden haben dabei zwei recht spekulative Theorien formuliert: Entweder kann Boquila trifoliolata flüchtige Stoffe der Pflanze detektieren, an der sie gerade emporklettert - sozusagen „riechen“. Diese Stoffe müssten dann aber auch Informationen über Form, Größe und Farbe der Blätter beinhalten – wie auch immer man sich das vorstellen möchte. Die andere vorgeschlagene Erklärungsmöglichkeit mutet noch kurioser an: ein horizontaler Gentransfer. Bakterien könnten die genetischen Baupläne der Wirtspflanzen aufnehmen, die Mikroorganismen als Aerosol in der Luft schließlich zu Boquila trifoliolat gelangen und dann die Baupläne auf die Kletterpflanze übertragen. Für beide Erklärungen fehlen die wissenschaftlichen Belege.
Sind Blatt-Augen das Geheimnis der Pflanze?
Seit 2021 gibt es noch eine weitere – mindestens genauso spektakuläre – Hypothese: Zwei Forscher haben bei ihren Experimenten zeigen können, dass Boquila trifoliolata auch dann ihre Blattform an die Wirtspflanze anpassen kann, wenn diese gar keine echte Pflanze ist. Bei ihren Experimenten nutzen sie ein Wirtspflanzenimitat aus Plastik. Und siehe da, auch an die Blattform der Kunststoffpflanze soll sich Boquila trifoliolata angepasst haben.
Damit fallen flüchtige Signalstoffe oder übertragenes Erbgut als Informationsquellen für die Blattimitationen der Kletterpflanze aus. Daher kommen diese Wissenschaftler zu dem Schluss, dass die Kletterpflanze mit primitiven „Augen“ (Ocelli) die Blattformen der Wirtspflanze erkennen und nachahmen können. Die Hypothese stützt sich auf Spekulationen, die seit mehr als 100 Jahren in einigen wissenschaftlichen Arbeiten immer wieder einmal aufgeworfen werden: Die Zellen der oberen Epidermis einiger Pflanzen hätten eine plankonvexe oder konvexe Form, die wie eine Linse wirkt und die Fokussierung von Licht auf lichtempfindliche subepidermale Zellen ermöglicht (z. B. Haberlandt, 1905; Darwin, 1907; Baluška & Mancuso, 2016; Mancuso & Baluška, 2017).
Nachgewiesen: Pflanzen können Lichtquellen orten
Augen im eigentlichen Sinn hat aber bisher noch niemand bei Pflanzen eindeutig nachweisen können. Bekannt ist lediglich ein anderes Phänomen: Phototropismus. Pflanzen bzw. Teile von Pflanzen wie die Blätter oder Stängel können sich anhand von Lichtquellen ausrichten. Erst kürzlich ist dabei auch festgestellt worden, dass bestimmte optische Eigenschaften des Pflanzengewebes dabei unterstützen: In der Ackerschmalwand erzeugen Luftkanäle zwischen den Zellen des Keimstängels ein gerichtetes Lichtsignal zur Regulierung des Hypokotyl-Phototropismus (Nawakar, G. M. et al., 2023). Auch bei dem Cyanobakterium Synechocystis und der Grünalge Chlamydomonas reinhardtii konnte gezeigt werden, dass deren Zellen wie Mikrolinsen wirken, um die Richtung von Lichtquellen zu erkennen und gezielt anzusteuern.
Augentheorie höchst umstritten
Doch mit Augen lassen sich solche Strukturen nicht vergleichen. Das Erkennen der Richtung eines Lichtsignales ist nicht zu vergleichen mit der Wahrnehmung der Geometrie einer Lichtquelle. Das ermöglichen nur echte Augen, die mittels Linsen oder einer Lochblende ein detailliertes Abbild eines Objektes auf ein komplexes lichtempfindliches Gewebe (bei uns Menschen und vielen Tieren die Netzhaut) projizieren. Auch bleibt die Frage offen, wie Boquila trifoliolata – hätten ihre Blätter tatsächlich das geeignete optische Werkzeug – die komplexen visuellen Informationen verarbeiten kann, um die Wuchsformen benachbarter Blätter der Wirtspflanzen zu imitieren.
Um diese Fragen ist eine heftige wissenschaftliche Debatte entbrannt. Es geht dabei auch darum, ob die Studie mit der Wirtspflanze aus Plastik überhaupt geeignete Kontrollen und statistische Methoden genutzt hat. Es bleibt also spannend bei der Frage, mit welchen Mitteln die Kletterpflanze die Kunst der Mimikry beherrscht. Lassen wir uns überraschen.
Quellen:
- White, J., und Yamashita, F. (2021): Boquila trifoliolata mimics leaves of an artificial plastic host plant. In: Plant Signaling & Behavior, 17(1). doi: 10.1080/15592324.2021.1977530
- Gianoli, E. und Carrasco-Urra, F. (2014): Leaf Mimicry in a Climbing Plant Protects against Herbivory. In: Current Biology, Volume 24, Issue 9 (2024). doi: 10.1016/j.cub.2014.03.010
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Wie können Pflanzen „sehen“? - Neue Erkenntnisse zur Struktur und Funktionsweise von pflanzlichen Phytochromen
- Phototropismus: der Sonne entgegen - Wie Pflanzen ihre Wuchsrichtung ändern
- Was angeknabberte Fossilien verraten - Schlafbewegungen von Pflanzen gibt es seit mindestens 250 Millionen Jahren
Titelbild: Haben Pflanzen Augen? Experimente mit einer Kletterpflanze lassen das vermuten. Doch das ist noch sehr spekulativ und nicht bewiesen (Symbolbild, Bildquelle: © pflanzenforschung.de, erstellt mit DALL·E).