Mendelsche Vererbung austricksen

Gene-Drive für Pflanzen

30.07.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Viele Unkräuter entwickeln mit der Zeit eine Resistenz gegenüber Herbiziden. Gene Drive-Technologien könnten dieses Problem beheben. (Bildquelle: © Th G / Pixabay)

Viele Unkräuter entwickeln mit der Zeit eine Resistenz gegenüber Herbiziden. Gene Drive-Technologien könnten dieses Problem beheben. (Bildquelle: © Th G / Pixabay)

Dank eines Gene Drive-Systems kann ein Gen sich stärker in einer Population ausbreiten, als die Mendelschen Vererbungsregeln es erlauben würden. Nun wurde das Konzept erstmals in Pflanzen vorgestellt. Die Technologie könnte dabei helfen, die Landwirtschaft klimafreundlicher zu machen, Pflanzen besser an widrige Umweltbedingungen anzupassen oder ganze Ökosysteme vor dem Kollaps zu bewahren.

Herbizid-resistente Unkräuter sind für Landwirte ein echtes Problem. Im besten Fall reicht es aus, wenn sie für teures Geld mehr Herbizide spritzen, um den Unkräutern Herr zu werden. Im schlechtesten Fall sind die Unkräuter bereits resistent gegen alle bekannten Herbizide.

Doch eine neue Technologie könnte es ermöglichen, invasive Arten und Unkräuter in Zukunft aus Feldern oder Ökosystemen zu vertreiben. Die Rede ist vom Gene Drive.

Mit einem Gene Drive kann man die Regeln der Mendelschen Vererbungslehre umgehen. Normalerweise erben Nachkommen rein zufällig eine Genkopie von ihren Eltern. Der Gene Drive hebelt diese Zufälligkeit aus und sorgt dafür, dass ein erwünschtes Gen bevorzugt vererbt wird, obwohl es keinerlei Fitnessvorteil oder sogar Nachteile für den Organismus mit sich bringt. Damit kann man eins von zwei Zielen erreichen: Ein erwünschtes Gen kann sich in einer Population rasch ausbreiten oder eine Population kann unterdrückt werden, weil sie keine Nachkommen mehr bilden kann. Gleich zwei Fachartikel in Nature Plants stellen jetzt erstmals Gene Drive-Technologien für Pflanzen vor.

Gene Drive ist der „Düsenantrieb“ für Gene

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Bruce Hay: The next generation of gene drives (in englischer Sprache)

Videoquelle: © NAS Colloquia

Das Labor von Bruce Hay am California Institute of Technology entwickelte eine Technik namens ClvR (sprich: Cleaver – englisch für Spalter), die auf dem Mechanismus von Gift und Gegengift beruht. Die Genschere CRISPR/Cas9 fungiert als Gift, welches in der ausgewachsenen Pflanze ein Gen zerstört, dass für das Überleben der Gameten essenziell ist. Die Gameten, die über ClvR verfügen, besitzen jedoch eine unbeschädigte Version des gleichen Zielgens, das quasi als Gegengift dient. Das Resultat: Nur die Gameten überleben, die ClvR in sich tragen.

An ClvR lassen sich nun verschiedene Gene ankoppeln, die dann gemeinsam vererbt werden. Das könnten zum Beispiel Gene sein, die Herbizid-resistente Unkräuter wieder empfänglich für Herbizide machen oder die eine Resistenz gegen Krankheitserreger vermitteln. Dadurch wird eine Ausbreitung der gewünschten Gene in der Population forciert. Über fünf Generationen hinweg lag die Übertragungsrate bei 97 – 99 Prozent.

Gezielter Kollaps von Populationen möglich

Das System ließe sich auch dazu nutzen, eine Population zum Kollabieren zu bringen, indem es in hoher Zahl sterile weibliche Pflanzen erzeugt. „Das ClvR-System bietet ein Spezies-spezifisches Werkzeug, um die Genetik von Pflanzenpopulationen so zu beeinflussen, um globale Herausforderungen zu meistern, wie Ernährungssicherheit oder die Resilienz von Ökosystemen, die von invasiven Arten und Klimawandel bedroht werden“, sagt Bruce Hay, Professor für Biologie und Biologisches Engineering.

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Amaranthus palmeri gehört zu den Fuchsschwanzgewächsen und kann z.B. ganze Sojabohnenfelder überwuchern. Die invasive Pflanze ist in vielen Gebieten vollkommen resistent gegen alle modernen Herbizide.

Amaranthus palmeri gehört zu den Fuchsschwanzgewächsen und kann z.B. ganze Sojabohnenfelder überwuchern. Die invasive Pflanze ist in vielen Gebieten vollkommen resistent gegen alle modernen Herbizide.

Bildquelle: © Pompilid, eigenes Werk / Wikipedia, CC BY-SA 3.0

Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Wenfeng Qian von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften hat ebenfalls einen Gene Drive bei Pflanzen entwickelt, der jedoch ausschließlich auf die männliche Keimbahn abzielt. Sein Name: CAIN – kurz für CRISPR-Assisted Inheritance utilizing NPG1.

Als „Gift“ dient eine guideRNA-Cas9-Kassette, die das NPG1-Gen zerstört. Dadurch wird die Keimung der Pollen verhindert. Eine CRISPR-resistente Kopie von NPG1 wirkt als Gegengift und „rettet“ die Pollen. Auch hier lässt sich an das „Gegengift“ wieder ein beliebiges, erwünschtes Gen ankoppeln.

Die Übertragungsrate über zwei aufeinanderfolgende Generationen lag bei 88 – 99 Prozent. Modellrechnungen zeigen, dass mit diesem Gene Drive die Häufigkeit eines erwünschten Gens in einer Population über 17 Fremdbefruchtungs-Generationen hinweg von 1 Prozent auf 99 Prozent ansteigen kann.

Erfolge bisher nur bei diploiden Pflanzen

In beiden Experimenten wurde die diploide Pflanze Arabidopsis thaliana (Ackerschmalwand) verwendet. Wie gut sich die Ergebnisse auf andere, agronomisch wichtige Pflanzen mit mehr Chromosomensätzen wie Weizen übertragen lassen, muss sich noch zeigen. Doch das Potential, dass im Gene Drive steckt, ist enorm. Nicht nur ließen sich Herbizid-resistente Unkräuter wieder empfänglich für Pflanzenschutzmittel machen. Es wäre auch denkbar, dass man invasive Arten mit Hilfe des Gene Drives dezimiert.

Bis Gene Drive jedoch in der Praxis angewendet werden kann, ist noch einiges an Forschung nötig. Denn wie immer gehen mit großen Möglichkeiten auch große Risiken einher. So muss sichergestellt werden, dass die gewünschten Gene sich nur zeitlich und räumlich kontrolliert ausbreiten, und nicht beispielsweise auf andere Arten übergehen oder sich in anderen Ökosystemen ausbreiten, wo ihre Aktivität unerwünscht oder sogar schädlich ist.


Quellen:

  • Oberhofer, G., Johnson, M.L., Ivy, T. et al. Cleave and Rescue gamete killers create conditions for gene drive in plants. Nat. Plants 10, 936–953 (2024). doi.org/10.1038/s41477-024-01701-3
  • Liu, Y., Jiao, B., Champer, J. et al. Overriding Mendelian inheritance in Arabidopsis with a CRISPR toxin–antidote gene drive that impairs pollen germination. Nat. Plants 10, 910–922 (2024). doi.org/10.1038/s41477-024-01692-1

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Titelbild: Viele Unkräuter entwickeln mit der Zeit eine Resistenz gegenüber Herbiziden. Gene Drive-Technologien könnten dieses Problem beheben. (Bildquelle: © Th G / Pixabay)