Multi-Omics-Atlas für Reis
Forschende kombinieren Genaktivität und Chromatinstruktur auf Einzelzellebene
Reiskörner sehen unscheinbar aus, doch die Genregulation in den Zellen der Reispflanze ist enorm komplex. (Bildquelle: © CC0)
Erstmals liegt ein vollständiger Einzelzell-Atlas der Reispflanze vor. Er zeigt, wie Gene und Chromatin gemeinsam Wachstum, Wurzeln und Ertrag steuern. Die frei zugängliche Datensammlung eröffnet neue Perspektiven für Züchtung und Grundlagenforschung.
Für Milliarden Menschen ist Reis ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Doch während die Körner im Topf so schlicht wirken, sind die Pflanzen auf dem Feld hochkomplex: Jede von ihnen ist ein fein abgestimmtes Mosaik aus Zellen, die auf engstem Raum wachsen, sich spezialisieren und miteinander kommunizieren. Mit modernster Einzelzell-Technologie haben Forschende nun mehr als 116.000 Zellen erfasst und untersucht, welche Gene in jeder einzelnen aktiv sind und wie sich das Erbgut für bestimmte Prozesse öffnet oder verschließt. Das Ergebnis ist der erste Single-Cell-Multi-Omics-Atlas von Reis. Er zeigt, wie aus unscheinbaren Samenkörnern eine der wichtigsten Kulturpflanzen der Welt entsteht – und erlaubt es, Genaktivität und ihre Steuerung in bislang unerreichter Auflösung zu studieren. So eröffnen sich neue Wege, ertragreiche und widerstandsfähige Sorten zu züchten.
116.000 Einzelzellen ausgewertet
Vielfalt im Korn: Unterschiedliche Reissorten unterscheiden sich nicht nur in Form, Farbe und Größe der Körner – auch ihr genetisches Innenleben ist komplex.
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Für den neuen Atlas isolierten die Forschenden Zellkerne aus acht verschiedenen Organen, darunter Wurzeln, Blätter, Samen und Blütenstände, und analysierten über 116.000 Zellen. Im Fokus standen zwei molekulare Ebenen: die RNA-Expression – also welche Gene in einer Zelle aktiv sind – und die Chromatin-Zugänglichkeit. Denn ob ein Gen überhaupt abgelesen werden kann, hängt davon ab, wie locker oder dicht das Chromatin an dieser Stelle gepackt ist.
Das Team nutzte dafür eine auf Einzelzellkerne spezialisierte 10X-Genomics-Plattform, die Chromatinzugänglichkeit und RNA-Expression parallel erfasst. Durch die gleichzeitige Messung beider Parameter in derselben Zelle entfiel die aufwendige rechnerische Zusammenführung getrennter Datensätze, wie sie frühere Studien erforderten – eine Quelle möglicher Fehlinterpretationen.
Nach sorgfältiger Qualitätskontrolle – nur Zellen mit klaren Signalen wurden berücksichtigt – erstellten die Forschenden mithilfe aufwändiger Computeralgorithmen eine dreidimensionale Karte der Zelllandschaft. Mit der sogenannten UMAP-Visualisierung ließen sich 56 Cluster abgrenzen, die jeweils einem bestimmten Zelltyp oder Entwicklungszustand entsprechen. Für 54 dieser Cluster identifizierte das Team spezifische genetische Marker – also Gene, die nur in genau diesem Zelltyp stark aktiv sind und so dessen Identifizierung ermöglichen.
Übergangszustände der Differenzierung beobachtet
Die Ergebnisse gehen weit über eine reine Inventarliste hinaus. Weil Chromatinstruktur und Genaktivität gleichzeitig erfasst wurden, ließ sich präzise nachvollziehen, wie sich Zellen verändern. So entdeckte das Team Übergangszustände, etwa wenn sich Stammzellen im Blütenmeristem zu spezialisierten Blütenzellen entwickeln. Solche Momentaufnahmen von Zellen auf dem Weg in eine neue Identität sind besonders wertvoll, weil sie Hinweise auf die molekularen Schalter liefern, die Entwicklungsprozesse auslösen – bislang ein kaum zugänglicher Bereich der Pflanzenbiologie.
Zentrale regulatorische Gene identifiziert
Um diese Schaltstellen aufzuspüren, berechneten die Forschenden Genregulationsnetzwerke für jede Zellgruppe. Dabei zeigte sich, welche Gene als Knotenpunkte viele andere kontrollieren. Einer dieser zentralen Regulatoren ist RSR1, ein Gen, das bislang vor allem mit der Stärkesynthese in Verbindung gebracht wurde. Experimente mit gezielten CRISPR-Cas9-Mutationen bestätigten jedoch, dass RSR1 eine Schlüsselrolle bei der Ausbildung der Wurzelarchitektur spielt. Pflanzen ohne funktionsfähiges RSR1 entwickelten längere Wurzeln und größere Zellen in der Wurzelrinde – ein klarer Hinweis darauf, dass dieses Gen über die reine Stärkeproduktion hinaus die Gestalt des Wurzelsystems beeinflusst.
Ein weiteres Beispiel ist OsF3H, das die Aufnahme und Verarbeitung von Kohlenstoff und Stickstoff miteinander verknüpft. In Mutanten, denen dieses Gen fehlte, waren Blätter und Wurzeln deutlich kürzer, die Photosyntheseleistung sank, und es sammelten sich reaktive Sauerstoffverbindungen an, die das Photosystem schädigen können.
Auch OsLTPL120 rückte in den Fokus: Pflanzen mit einer minimalen Veränderung in diesem Gen wuchsen höher, bildeten mehr Seitentriebe und steigerten den Kornertrag – obwohl ihre Rispen und Körner etwas kleiner blieben. Solche Befunde zeigen, dass der Atlas nicht nur Strukturen beschreibt, sondern auch hilft, Gene zu identifizieren, die für Ertrag, Nährstoffeffizienz und Stressresistenz entscheidend sind.
Assoziationsstudien und Artenvergleiche
Forschende haben einen Einzelzell-Multi-omics-Atlas für Reis erstellt
Bildquelle: © CC0
Besonders innovativ ist die Verbindung dieser Einzelzellanalysen mit groß angelegten genomweiten Assoziationsstudien (GWAS), die genetische Varianten vieler Reissorten mit bestimmten Eigenschaften wie Geschmack, Ertrag oder Widerstandskraft gegen Krankheiten in Beziehung setzen. Indem die Forschenden diese GWAS-Daten mit den zelltypspezifischen Informationen verknüpften, konnten sie präzise bestimmen, in welchen Zellen Gene aktiv sind, die für solche agronomisch wichtigen Merkmale verantwortlich sind. Das erleichtert es erheblich, Zielgene für die Züchtung auszuwählen – etwa für eine höhere Kornqualität, verbesserte Trockentoleranz oder ein leistungsfähigeres Wurzelsystem.
Der Atlas liefert außerdem neue Erkenntnisse zur Evolution von Pflanzenzellen. In Vergleichen mit Datensätzen aus Mais, Arabidopsis, Sorghum und Setaria zeigte sich, dass manche genetischen Programme über Arten hinweg erstaunlich stabil sind, während zentrale Stoffwechselwege, etwa im Kohlenstoff- und Stickstoffhaushalt, bei ein- und zweikeimblättrigen Pflanzen deutliche Unterschiede aufweisen. Diese Kombination aus konservierten und divergenten Mustern belegt, wie wichtig es ist, verschiedene Nutzpflanzen jeweils im Detail zu erforschen, anstatt Erkenntnisse von einem Modellorganismus blind auf andere Arten zu übertragen.
Frei zugängliches Webportal
Alle Daten und die neu entwickelten Algorithmen für die automatisierte Zelltyp-Annotation stehen über ein Webportal frei zur Verfügung. Damit ist der Atlas nicht nur ein Nachschlagewerk für die molekulare Zellbiologie des Reises, sondern auch ein praktisches Werkzeug für Züchtungsforschung und synthetische Biologie. Forschende können gezielt nach Zelltypen, Genen oder regulatorischen Netzwerken suchen, eigene Hypothesen testen – und so die Entwicklung neuer, widerstandsfähigerer Reissorten beschleunigen.
Quelle:
Wang, X., Huang, H., Jiang, S. et al. (2025): A single-cell multi-omics atlas of rice. In: Nature, 644, 722–730 (9. Juli 2025). doi: 10.1038/s41586-025-09251-0.
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Titelbild:Reiskörner sehen unscheinbar aus, doch die Genregulation in den Zellen der Reispflanze ist enorm komplex. (Bildquelle: © CC0)