Nadelstiche für den Pflanzenschutz

Mikronadeln aus Seide bringen Biomoleküle wirksam und nebenwirkungsarm ins Pflanzengewebe

31.03.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Weg vom Gießkannenprinzip, das will die Landwirtschaft bei Nährstoffen ebenso wie bei Pflanzenschutzmitteln. Der präzise und wohldosierte Einsatz soll nicht nur Kosten sparen, sondern auch unerwünschte Auswirkungen auf die Umwelt verringern. Mikronadeln aus Seide könnten genau das ermöglichen.

Es ist nur ein kleiner Piks – wie oft haben Patient:innen das schon gehört? Diesmal ist die Patientin aber eine Pflanze und der Piks wirklich mikroskopisch klein: Ein internationales Forschungsteam hat Mikronadeln aus Seide entwickelt, wie sie bereits auch in der Humanmedizin eingesetzt werden. Damit haben die Forscher:innen Gibberellinsäure ins Pflanzengewebe injiziert. Und tatsächlich hat das als Wachstumsregulator fungierende Molekül seine Wirkung entfaltet, weit effektiver als wenn es auf die Pflanze aufgesprüht wird.

Große Verluste und Umweltbelastungen bei Sprühverfahren

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Die verwendeten Mikronadeln aus Seide auf einer Münze.

Die verwendeten Mikronadeln aus Seide auf einer Münze.

Bildquelle: © Singapore-MIT Alliance for Research and Technology (SMART)

Der Antrieb für dieses Experiment ist klar: Wenn Landwirt:innen Nährstoffe oder Pestizide auf dem Acker im Sprühverfahren verteilen, gehen mindestens 30 bis 40 Prozent schon beim Aufsprühen daneben. Bereits leichter Regen spült zwei Drittel des Wirkstoffs von der Pflanze. Sonne und andere Umwelteinflüsse zersetzen weitere Teile des Wirkstoffs. Nicht zuletzt bleibt ein Teil der Wirkstoffe an der Pflanzenhaut haften, ohne ins Gewebe einzudringen. All diese Verluste kosten Geld, und oftmals belasten die verloren gegangenen Stoffe Wasser oder Boden, verringern die Artenvielfalt oder bilden als Rückstände gesundheitliche Risiken für den Menschen.

Dass die Sprühmethode dennoch so beliebt ist, liegt an ihrer einfachen Anwendung – und an einem Mangel an guten Alternativen. Bislang hat die Forschung vor allem versucht, Nanomaterialien herzustellen, die das Aufsprühen effektiver machen. Wenig stabile Komponenten werden durch die Nanoteilchen besser vor Umwelteinflüssen geschützt, haften fester bei Regen, werden dosiert freigesetzt oder können gekoppelt an bestimmte Biomoleküle einfacher die Blatthaut passieren. Doch auch Nanoteilchen werden meist aufgesprüht und erreichen nur zu einem kleinen Teil ihr Ziel – bei einer Aufnahme über die Wurzeln oft bloß im Promillebereich.

Mikronadeln verteilen Wirkstoff erfolgreich in der Pflanze

Mikronadeln hingegen könnten praktisch ihre gesamte Wirkstoffbeladung an den Zielort bringen. Seide ist dafür ein idealer Werkstoff, denn sie ist mechanisch robust, ungiftig, zersetzt sich durch Pflanzensaft und gilt als essbar. Dennoch bleiben Fragen: Verteilt sich der Wirkstoff in der Pflanze oder wirkt er nur lokal? Wie folgenreich ist die Nadel, die zwar klein ist, aber dennoch das Gewebe verletzt?

Die neue Studie gibt darauf vielversprechende Antworten. Zunächst arbeitete das Forschungsteam an der Modellpflanze Arabidopsis thaliana. Dabei wählten sie eine spätblühende Mutante, damit die Pflanze genügend Blattfläche haben würde, um Injektion und Sprühapplikation zu vergleichen. Denn als Wirkstoff sollte mit der Gibberellinsäure (GA3) – ein Phytohormon -  eine Verbindung verabreicht werden, die das vegetative Wachstum beendet, die Blütenbildung behindert und frühes Schossen einleitet. Außerdem bilden Pflanzen unter dem Einfluss dieses Pflanzenhormons weniger Blattrosetten und mehr Tragblätter. Weiterhin nahmen die Forschenden an, dass das relativ kleine Molekül ins Xylem diffundieren kann und so in der ganzen Pflanze verteilt wird. Die verwendeten Seidenmikronadeln hatten die Form eines Hörnchens mit einer Länge von etwa 531 Mikrometern und einem Durchmesser von etwa 226 Mikrometern. Ihr Inneres war komplett mit GA3 befüllt.

Erfolgreich bei Ein- wie Zweikeimblättrigen

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Zunächst erprobten die Forscher:innen die Mikroseidennadeln an Arabidopsis thaliana.

Zunächst erprobten die Forscher:innen die Mikroseidennadeln an Arabidopsis thaliana.

Bildquelle: © Safflle / Wikimedia; CC-BY-SA-3

In einem ersten Experiment zeigte sich, dass die Spritzen mit GA3 zum gleichen Phänotyp führten wie auf die Blätter gesprühtes GA3. Die Mikronadeln samt Ladung wurden dabei bereits innerhalb von zehn Minuten nach Injektion von den Zellen um mehr als die Hälfte abgebaut. Zwar zeigten sich winzige Narben und einzelne abgestorbene Zellen an der Einstichstelle, aber das Transkriptom des betroffenen Gewebes zeigte schon nach weniger als 24 Stunden keine wundbezogene Veränderung mehr. In einer zweiten Versuchsrunde variierten die Forscher:innen die Anzahl und Orte der Injektionen. Allerdings genügte bereits eine einzige Injektion des Nadelarrays mit 2x11 Nadeln, um die gleiche Wirkung zu erreichen wie Mehrfachinjektionen. Daher sei die Methode „hoch effektiv und minimalinvasiv“, so die Forscher:innen.

Abschließend untersuchte das Team, ob diese Methode auch bei anderen Pflanzenarten funktioniert. Die Größe der Nadeln wurde an die jeweilige Anatomie der Versuchspflanzen angepasst. Sowohl bei Gemüse (Tomaten, Blattsalat und Spinat) als auch bei Getreiden und einer Ölpflanze (Reis, Mais, Gerste und Soja) war die Methode effektiv.

Praxispotenzial erst durch Feldroboter voll nutzbar

Somit können Seidenmikronadeln bei Einkeimblättrigen wie Zweikeimblättrigen genutzt werden, um Agrochemikalien zu applizieren, und das sogar ohne präzise die Transportgefäße treffen zu müssen. Allerdings hat die Methode Beschränkungen: Sie ist offensichtlich nicht für Substanzen geeignet, die auf die Blattoberfläche aufgetragen werden müssen wie UV-Schutz und manche Insektizide. Außerdem ist sie aufgrund des verabreichten Volumens auf Substanzen beschränkt, die in geringer Dosis ihre Wirkung entfalten. Nicht zuletzt ist die Verabreichung aufwendig und heute noch auf Laborversuche beschränkt. Doch mit autonomen Feldrobotern mit Bilderkennung könnte sich diese Applikationsmethode in absehbarer Zeit auch auf dem Feld bewähren.


Quelle:
Cao, Y., et al. (2022): Drug Delivery in Plants Using Silk Microneedles. In: Advanced Materials, 2023, 35, 2205794. doi: 10.1002/adma.202205794.

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Werden Pflanzenschutzmittel im Sprühverfahren aufgebracht, geht ein großer Teil des Wirkstoffs an der Pflanze vorbei. (Bildquelle: © Erich Westendarp / Pixabay)