Nicht rein zufällig

Studie zeigt Mechanismen hinter Mutationshäufigkeit auf

24.01.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Pflanzen schützen ihre wichtigsten Gene. Diese Entdeckung gelang dem Forschungsteam am Modellorganismus Arabidopsis thaliana. (Bildquelle: © Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen)

Pflanzen schützen ihre wichtigsten Gene. Diese Entdeckung gelang dem Forschungsteam am Modellorganismus Arabidopsis thaliana. (Bildquelle: © Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen)

Mutationen sind im Genom nicht so gleichmäßig verteilt, wie ein rein zufälliger Mechanismus erwarten ließe. Jetzt hat ein Forschungsteam gezeigt, dass vor allem epigenetische Merkmale dazu beitragen, essenzielle Gene vor Mutationen zu schützen – und dass dieses Prinzip aus einer natürlichen Selektion heraus entstanden sein könnte.

Epigenetische und physikalische Eigenschaften der DNA erklären mehr als 90 Prozent des genomweiten Mutationsmusters. Zu diesem Ergebnis gelangt die bislang größte bekannte Mutationsstudie an der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana. Manche dieser DNA-Merkmale standen schon länger im Verdacht, die Mutationsrate zu beeinflussen. Jetzt ist es wohl an der Zeit, mit einem alten Paradigma aufzuräumen: Mutationen sind demnach keineswegs nur ungerichtete Kräfte der Evolution.

Ungleiche Mutationsrate schon vor Selektionseinflüssen

Dass Mutationen nicht gleichmäßig verteilt sind, ist keine neue Beobachtung. Bislang ging die Wissenschaft jedoch davon aus, dass hier lediglich eine Selektion nach einer Mutation am Werk ist: Trifft eine schädliche Mutation ein Gen, das für das Überleben des Organismus wichtig oder gar essenziell ist, wird sie in der Regel nicht weiter vererbt. Denn der Organismus stirbt oder kann sich aus anderen Gründen nicht mehr erfolgreich fortpflanzen. In einer Population finden sich daher unterdurchschnittlich viele Mutationen in essenziellen Genen, meist sogenannte Haushaltsgene für den Grundstoffwechsel eines Organismus. Der neuen Studie zufolge spricht jedoch vieles dafür, dass diese essenziellen Gene tatsächlich weniger mutieren.

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Für die Studie wuchs der Modellorganismus Arabidopsis thaliana unter optimalen Bedingungen im Labor. Hier konnten sich alle Pflanzen, auch solche mit schädlichen Mutationen, vermehren.

Für die Studie wuchs der Modellorganismus Arabidopsis thaliana unter optimalen Bedingungen im Labor. Hier konnten sich alle Pflanzen, auch solche mit schädlichen Mutationen, vermehren.

Bildquelle: © Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen

Mehrere Mechanismen wurden in den vergangenen Jahren beschrieben, die wahrscheinlich die Mutationsrate in einem DNA-Abschnitt beeinflussen können. Dazu zählen die Nukleotidverteilung, epigenetische Faktoren sowie Einflüsse auf die DNA-Reparatur.

Um diese Mechanismen zu überprüfen, hat ein internationales Team um Detlef Weigel vom Max-Planck-Institut für Biologie in Tübingen 400 Linien der Ackerschmalwand auf neue Mutationen untersucht, bevor diese dem Einfluss der Selektion unterliegen konnten.

Diesen Modellorganismus wählte das Team wegen der umfassend verfügbaren Informationen zu Gensequenzen und epigenetischen Merkmalen. Für die Auswertung wurden nur solche Pflanzen herangezogen, für die die vorhandenen Daten besonders belastbar waren.

Epigenetische Faktoren steuern lokale Mutationsrate

In linearen Modellen brachten die Forscherinnen und Forscher die genetischen Regionen mit den dort vorherrschenden Merkmalen wie GC-Gehalt, Cytosin-Methylierung, Histon-Modifikationen und Chromatin-Zugänglichkeit in Zusammenhang.

Dabei bestätigten sich frühere Beobachtungen, dass ein hoher GC-Gehalt ebenso wie die Histonmethylierung H3K4me1 mit einer geringeren Mutationshäufigkeit assoziiert sind. Methylierte Cytosine hingegen korrelieren mit einer deutlich höheren Mutationsrate – ebenso wie hoch zugängliche Chromatinregionen, in denen bestimmte DNA-Reparaturmechanismen eingeschränkt sind. Diese Muster fanden sich unabhängig von der Art der Mutation, also gleichermaßen für Punktmutationen, Insertionen und Deletionen. Auch zwischen Samen- und Somazellen zeigten sich diesbezüglich keine Unterschiede.

Ebenfalls ergab die Studie, dass die Mutationsrate innerhalb von Genen 58 Prozent geringer war als in den angrenzenden Zwischenräumen. Mehr als 90 Prozent dieser Varianz ließ sich durch die genannten epigenetischen Einflüsse erklären.

Die Abwesenheit von Introns hingegen erhöhte die Mutationsrate innerhalb eines Gens. Damit dürfte diese Verzerrung der Mutationswahrscheinlichkeit eine größere Bedeutung für die Sequenzevolution haben als die spätere Selektion, folgern die Fachleute. Bestätigung dafür sehen sie darin, dass seltene Allele durch eine niedrigere Mutationsrate noch seltener werden, wie es in der Studie zu beobachten war. Wäre eine Selektion nach einer Mutation vorrangig entscheidend, würden sich seltene Allele eher anreichern.

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Mutationen im Genom sind nicht gleichmäßig verteilt. Stattdessen zeigt die Studie, dass es Abschnitte mit wenigen und welche mit vielen Mutationen gibt.

Mutationen im Genom sind nicht gleichmäßig verteilt. Stattdessen zeigt die Studie, dass es Abschnitte mit wenigen und welche mit vielen Mutationen gibt.

Bildquelle: © swiftsciencewriting / Pixabay

Essenzielle Gene werden vor Mutationen geschützt

Wie erwartet bestätigte sich, dass essenzielle Gene mit konservierter Funktion eine besonders niedrige, konkret um 37 Prozent verringerte, Mutationsrate aufweisen – und das bereits bevor nachfolgend Selektionsmechanismen zum Zuge gekommen wären.

Stattdessen fanden sich bei solchen Genen besonders viele epigenetische Merkmale, die mit niedrigen Mutationsraten in Verbindung gebracht werden können. Diese Beobachtung traf sowohl auf die kodierenden Abschnitte als auch auf Introns dieser Gene zu.

„Zusammengefasst wirkt die Verzerrung der Mutationswahrscheinlichkeit in Arabidopsis schädlicher Variation entgegen, indem sie die Mutationsrate in Genen mit genetischen oder epigenetischen Konservierungsmechanismen verringert“, schreibt das Studienteam.

Die Fachleute folgern aus ihren Beobachtungen, dass die Verzerrung der Mutationswahrscheinlichkeit anpassungsfähig ist und durch eine Verbindung zwischen Mutationsrate und Epigenom reguliert wird. Das bekomme zusätzliche Plausibilität dadurch, dass DNA-Reparaturmechanismen durch epigenetische Merkmale rekrutiert werden können.

Indem die Pflanze bevorzugt essenzielle Gene vor Mutationen gut schützt, erhöht sie die Chance, dass anstelle der mit hoher Sicherheit schädlichen Mutationen Veränderungen an weniger schützenswerten Stellen im Genom sich als evolutionär vorteilhaft erweisen könnten. Die ungleiche Verteilung von Mutationen im Genom könnte somit infolge natürlicher Selektion entstanden sein. Darüber hinaus wäre durch den Zusammenhang zwischen Mutationsrate und Epigenom denkbar, dass akute Umweltfaktoren die Verteilung der Mutationshäufigkeit mitbeeinflussen können.


Quelle:
Monroe, J.G. et al. (2022): Mutation bias reflects natural selection in Arabidopsis thaliana. In: Nature, (online: 12. Januar 2022), doi: 10.1038/s41586-021-04269-6.

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Titelbild: Pflanzen schützen ihre wichtigsten Gene. Diese Entdeckung gelang dem Forschungsteam am Modellorganismus Arabidopsis thaliana. (Bildquelle: © Max-Planck-Institut für Biologie Tübingen)