Pflanzen in Trockengebieten
Unterhalb eines Ariditätsindizes von 0,7 explodiert die phänotypische Vielfalt
Die Klimakrise bedroht die Artenvielfalt – soweit bekannt. Doch zumindest auf starke Trockenheit reagieren die überlebenden Pflanzenarten mit erstaunlich vielfältigen Anpassungen, wie eine globale Analyse zeigt. Auch Beweidung bewirkt in Trockengebieten diesen positiven Effekt.
Trockengebiete bedecken fast die Hälfte des irdischen Festlands und die dort lebenden Pflanzenarten versorgen mehr als zwei Milliarden Menschen mit ihren Ökosystemleistungen. Und doch ist wenig darüber bekannt, welche phänotypische Vielfalt diese Pflanzen aufweisen. Annahmen darüber, wie sich die Merkmalsvielfalt von Pflanzen infolge der Klimakrise verändern wird, basieren daher vor allem auf hinreichend feuchten Gebieten der gemäßigten Zonen. Bislang galten Trockengebiete als wenig divers – doch das Gegenteil scheint der Fall zu sein, wie jetzt eine globale Studie gezeigt hat.
Ariditätsindex von 0,7 als Schwellenwert
Ein wichtiges Maß für Trockengebiete ist der Ariditätsindex. Er beschreibt das Verhältnis von mittlerem jährlichem Niederschlag zur potenziellen Evapotranspiration – der Verdunstung durch Pflanzen. Unterhalb von 0,65 sprechen die Vereinten Nationen von einem Trockengebiet. Denn sinkt der Index unter 0,7, geht das meist mit drastischen Veränderungen der Ökosysteme einher: Die Artenvielfalt verringert sich ebenso wie der Anteil der mit Grün bedeckten Fläche. Degradation und Wüstenbildung sind die Folgen. Man könnte daher meinen, dass die phänotypische Vielfalt von Pflanzen sinkt, weil eine Selektion auf jene Merkmale erfolgt, die eine Anpassung an extreme Temperaturen, nährstoffarme Böden und Wasserknappheit ermöglichen. Tatsächlich weisen Trockengebiete aber eine bemerkenswerte Vielfalt von Pflanzenformen und -funktionen auf. Die Antwort auf dieses Paradoxon könnte darin liegen, dass es für Pflanzen mehrere mögliche Strategien gibt, um derselben Herausforderung zu begegnen.
Generell gilt jedoch, dass eine endliche Zahl Kombinationen existiert, die in einer bestimmten Umwelt das Überleben ermöglichen. Außerdem variieren die Merkmale einer Kombination meist miteinander. Das begrenzt letztlich die phänotypische Vielfalt. Häufig betrachten Forschende bei der phänotypischen Vielfalt vor allem die Morphologie der Pflanzen und den Kohlenstoffhaushalt der Blätter. Die vorliegende Studie hat zusätzlich einen Blick auf das Elementom der Pflanze gerichtet, die Zusammensetzung der chemischen Elemente in ihren Blättern. Deren Konzentration beeinflusst die Entwicklung der Pflanze und auch ihre Fähigkeit, auf Wasserknappheit und Schäden durch Pflanzenfresser (Herbivore) zu reagieren.
Fokus auf Zusammensetzung der chemischen Elemente
An 98 Standorten in 25 Ländern auf sechs Kontinenten hat das Forschungsteam jeweils drei bis vier Flächen mit einer Größe von ca. 2000 Quadratmetern untersucht. Diese Standorte repräsentierten Trockengebiete mit einem breiten Spektrum an Ariditätsindizes sowie unterschiedliche intensive Beweidungslevel. Insgesamt hat das Forschungsteam 301 Pflanzenarten hier nachweisen können. Auf jeder Fläche ermittelten die Fachleute die Konzentration von 14 chemischen Elementen (C, N, P, K, Mg, Ca, S, Zn, Na, Cu, Mn, Fe, Ba, Al) in den Blättern, die Abmessungen der Blätter und der Pflanze sowie die spezifische Blattfläche und die Trockenmasse der Blätter.
Gruppierten die Forscher ihre Proben entlang eines Trockenheitsgradienten, zeigte sich ein überraschendes Bild: Die Variabilität der untersuchten Merkmale nahm unterhalb eines Ariditätsindexes von etwa 0,7 deutlich zu. Die Pflanzen auf den trockensten Flächen zeigten eine phänotypische Variabilität, die um gut 88 Prozent höher lag als in Regionen oberhalb dieses Schwellenwerts. Dabei fanden sich vier von fünf Merkmalskombinationen auf weniger trockenen Flächen auch auf besonders trockenen Flächen wieder. Umgekehrt galt das nur für etwa jede zweite Merkmalskombination.
Unterschiedliche Strategien nehmen mit Trockenheit zu
Im Detail zeigte sich, dass bei einem Ariditätsindex von unter 0,7 sich die relativen Anteile der primären Makronährstoffe Stickstoff (N), Phosphor (P) und Kalium (K) von denen der sekundären Makronährstoffe Magnesium (Mg), Calcium (Ca) und Schwefel (S) in den Blättern entkoppelten. Außerdem wurden mehr gegensätzliche Anpassungsstrategien der Pflanzen nachgewiesen: Einige hohe Arten bildeten schnell wachsende Blätter und folgten Stressvermeidungsstrategien – gekennzeichnet durch hohe Werte für N, P und K sowie eine reduzierte Blatttrockenmasse. Andere kleine Arte setzten eher auf Stresstoleranz – gekennzeichnet durch niedrige Werte für N, P und K, jedoch eine höhere Blatttrockenmasse.
Interessanterweise war es nicht nur die in Trockengebieten oft sehr unterschiedliche Nährstoffverfügbarkeit im Boden, die die unterschiedlichen Nährstoffgehalte der Pflanzen und ihre individuellen Strategien begründete. Denn Bodenproben ergaben, dass sich die Zusammensetzung des pflanzlichen Elementoms von dem des Bodens unterhalb eines Ariditätsindexes von 0,7 entkoppelt. Mindestens ebenso sehr scheint die wachsende phänotypische Vielfalt besonders trockener Flächen mit deren geringer Begrünung zusammenzuhängen. Damit entfallen zahlreichen Interaktionen zwischen Pflanzen, nicht zuletzt der Konkurrenzdruck. Das könnte den Weg freimachen, unterschiedliche Wege für den Umgang mit der Trockenheit „auszuprobieren“.
Pflanzliches Einsamkeitssyndrom
Nicht nur Trockenheit, auch stärkere Beweidung erhöhte die phänotypische Vielfalt. Die Forscher:innen sehen darin einen weiteren Beleg für die Rolle der Begrünung, da grasende Tiere ähnlich wie starke Trockenheit die Pflanzendichte reduzieren. So zeigte sich auf nicht beweideten Flächen erst bei stärkeren Trockenheitswerten eine Entkoppelung der Co-Variation vieler Merkmale. Die Studie spricht von einem „pflanzlichen Einsamkeitssyndrom“: Je vereinzelter die Pflanzen wachsen, desto mehr einmalige Merkmalskombinationen weisen sie auf.
Neben einer möglichen Erklärung für das „Trockengebietsparadox“ zeigt die Studie auch, wozu die Analyse des Elementom von Pflanzen eingesetzt werden kann: zur Prognose, wie sich Trockenlandvegetation infolge des Klimawandels entwickeln wird.
Quelle:
Gross, N., et al. (2924): „Unforeseen plant phenotypic diversity in a dry and grazed world“. In: Nature, 632, 808–814 (2024). doi: 10.1038/s41586-024-07731-3.
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Titelbild: Trockensavanne in Tansania (Bildquelle: © ProfessorX, eigenes Werk / Wikimedia)