Projekt SHAPE in der dritten Phase

Ein „Brücken-Pangenom“ für die Züchtung

13.02.2025 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Selbst aus der Luft erkennt man, dass die einzelnen Gerstenkultivare sich in ihrem Phänotyp teils deutlich unterscheiden. (Bildquelle: ©IPK Gatersleben)

Selbst aus der Luft erkennt man, dass die einzelnen Gerstenkultivare sich in ihrem Phänotyp teils deutlich unterscheiden. (Bildquelle: ©IPK Gatersleben)

Welche genetische Diversität steckt in den mitteleuropäischen Gerstenlinien? Diese Frage ist das Herzstück der dritten Phase des SHAPE-Projekts. Ein sogenanntes Brücken-Pangenom soll sie beantworten und damit für die Züchtung hoch relevantes Wissen generieren.

Vor acht Jahren begann die erste Phase des SHAPE-Projekts. Das Ziel: Die weltweite genomische Diversität der Gerste zu erfassen. Etwa zeitgleich wurde das erste Gerstengenom publiziert. „Wir waren uns aber aufgrund von Arbeiten in anderen Spezies im Klaren darüber, das eine Referenzsequenz nicht ausreicht, um die genomische Diversität einer Art wirklich umfassend zu beschreiben“, sagt Nils Stein, Professor am Leibniz-Institut für Kulturpflanzenforschung und Leiter der dort beheimateten Genbank.

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Mit Hilfe der Long-Read-Sequenzierung lassen sich auch strukturelle Variationen im Genom erkennen, wie zum Beispiel Deletionen oder Verdoppelungen.

Mit Hilfe der Long-Read-Sequenzierung lassen sich auch strukturelle Variationen im Genom erkennen, wie zum Beispiel Deletionen oder Verdoppelungen.

Bildquelle: L.Tiller / IPK Leibnitz-Institut

Große Fortschritte bei den Sequenzierungstechnologien ermöglichen es inzwischen, Genome immer schneller und kostengünstiger vollständig zu sequenzieren. Dank der Long-Read-Technologie lässt sich dabei auch die sogenannte strukturelle Variabilität erfassen,  also Unterschiede in der Anordnung, Duplikation oder Deletion von Genomabschnitten in unterschiedlichen Gerstengenomen. Nach und nach wurden insgesamt 76 Genome von Kultur- und Wildgersten aus der ganzen Welt sequenziert. Ergänzt durch Short-Read-Daten von 1315 weiteren Genotypen entstand somit ein umfassendes Pangenom.

„Dieses Pangenom ist ein Meilenstein für Forschung und Entwicklung in Gerste. Ein Großteil der erfassten Genomdiversität ist für Züchterinnen und Züchter in Deutschland jedoch nur bedingt von Relevanz, weil Gerste seit der Domestikation von ihrem ursprünglichen Habitat im fruchtbaren Halbmond um die ganze Erde verteilt wurde und sich an die jeweiligen lokalen Umwelt- und Bodenbedingungen angepasst hat“, erklärt Nils Stein. „Die Diversität, die wir mit diesen Sequenzen beschrieben haben, war oftmals sehr weit entfernt von der Diversität, welche europäische Züchter tatsächlich nutzen.“

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Das in der Genbank eingelagerte Saatgut verliert mit der Zeit an Qualität. Um die genetischen Ressourcen langfristig zu sichern, muss es daher von Zeit zu Zeit angebaut und frische Samen geerntet werden.

Das in der Genbank eingelagerte Saatgut verliert mit der Zeit an Qualität. Um die genetischen Ressourcen langfristig zu sichern, muss es daher von Zeit zu Zeit angebaut und frische Samen geerntet werden.

Bildquelle: © A.Baehring / IPK Gatersleben

Und das macht sich negativ bemerkbar, wenn ein hiesiger Züchter seine etablierte Elitesorte mit einem exotischen Genotyp kreuzt. Dann überträgt sich nicht nur eine gewünschte positive Eigenschaft, sondern auch viele unerwünschte Eigenschaften sind durch die Durchmischung der Genome in den Nachkommen enthalten. Die Zuchtbetriebe müssen daher anschließend in einem zeitaufwändigen Prozess mit zahlreichen Rückkreuzungen versuchen, den genetischen Hintergrund der Elitesorte wieder herzustellen. Das kann leicht zehn bis zwanzig Jahre dauern. „Deswegen sind Züchter oftmals eher an subtiler Diversität interessiert, die sie relativ einfach einkreuzen können“, erklärt Stein.

In der dritten Phase des SHAPE-Projekts soll daher die Brücke von der Grundlagenforschung zur praktischen Anwendung geschlagen werden. Das sogenannte „Brücken-Pangenom“ legt einen stärkeren Fokus auf mitteleuropäische Gerstelinien.

Die Projektpartner und das übergeordnete Ziel

Wissenschaftliche Partner:

  • Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK): Prof. Dr. Nils Stein (Projektkoordinator), Dr. Martin Mascher, Dr. Uwe Scholz, Prof. Dr. Jochen C. Reif
  • Helmholtz Zentrum München: Dr. Manuel Spannagl

Industriepartner:

Das experimentelle Vorgehen

Das Brücken-Pangenom

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Ein Einblick in den Schatz der Genbank. Hier lagert Saatgut aus allen Teilen der Welt. Oft gibt es jedoch noch zu wenige Informationen über den Phäno- oder Genotyp der eingelagerten Akzessionen.

Ein Einblick in den Schatz der Genbank. Hier lagert Saatgut aus allen Teilen der Welt. Oft gibt es jedoch noch zu wenige Informationen über den Phäno- oder Genotyp der eingelagerten Akzessionen.

Bildquelle: © J.Himpe / IPK Leibnitz-Institut

Geplant war, 20 mitteleuropäische Gerstenlinien zu sequenzieren, die im letzten Jahrhundert häufig für Kreuzungen genutzt wurden und daher eine große Relevanz besitzen. „Durch die rasante Weiterentwicklung der Technik konnten wir sie aber schneller als erwartet vollständig sequenzieren. Daher entschieden wir uns, zusätzlich 40 weitere diverse Genotypen aus anderen Weltregionen zu analysieren“, berichtet Nils Stein.

Damit nicht genug: Noch weitere 50 Genome werden zurzeit mit einer etwas geringeren Auflösung mittels Long-Read-Sequencing untersucht. „Da wir es als essenziell ansehen, die genomische Diversität von Gerste so umfassend wie möglich zu erfassen, haben wir neben den Projektmitteln auch noch institutseigene Ressourcen eingesetzt, um so insgesamt über 100 Genome sequenzieren zu können“, so Stein.

Neue Resistenzgene gegen Pilzerkrankungen

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Die Gerste auf diesem Bild ist von Mehltau befallen. Bisher ist nur ein Resistenzgen gegen diese Pilzkrankheit bekannt. Im Projekt SHAPE3 sollen neue Resistenzloci oder neue Varianten des bekannten mlo-Gens gefunden werden, damit das Pathogen keine Chance hat, durch Mutationen die Verteidigungslinie der Pflanze zu durchbrechen.

Die Gerste auf diesem Bild ist von Mehltau befallen. Bisher ist nur ein Resistenzgen gegen diese Pilzkrankheit bekannt. Im Projekt SHAPE3 sollen neue Resistenzloci oder neue Varianten des bekannten mlo-Gens gefunden werden, damit das Pathogen keine Chance hat, durch Mutationen die Verteidigungslinie der Pflanze zu durchbrechen.

Bildquelle: © Clemson University - USDA Cooperative Extension Slide Series, Bugwood.org/ Wikimedia.org/ CC BY 3.0 us

Das Projekt will gleich auch noch herausfinden, ob sich in den neu sequenzierten Genotypen vielleicht bisher nicht genutzte Resistenzgene gegen Pilzerkrankungen verbergen. Ein bereits bekanntes Resistenzgen ist beispielsweise mlo, das Gerstenpflanzen gegen Mehltau schützt. Es wäre für Züchter jedoch sehr hilfreich, wenn es noch weitere Resistenzgene gegen diese Pilzerkrankung gäbe. Denn wenn mehrere Gene gleichzeitig den Mehltau in Schach halten, könnte der Erreger die Verteidigung der Pflanze kaum noch umgehen.

Die am Projekt beteiligten Züchter haben dafür krankheitsanfällige Elitesorten mit resistenten Genotypen aus genetischen Ressourcen gekreuzt. Gemäß der Mendelschen Vererbungsregeln spalten sich die Nachkommen in ihrer Eigenschaft für Pilzresistenz auf: einige sind resistent, andere anfällig. Das jeweilige Aufspaltungsmuster gibt Aufschluss darüber, ob ein Merkmal dominant oder rezessiv vererbt wird, ob ein Gen beteiligt ist oder mehrere. „Die Züchtungsfirmen erheben die phänotypischen Daten im Feld, wir analysieren anschließend den Genotyp“, erklärt Stein die Arbeitsteilung. Die Erwartung ist, dass durch diese Experimente neue Resistenzloci gefunden werden oder zumindest neue Varianten schon bekannter Gene, die ein breiteres Resistenzspektrum vermitteln.

Zellorganellen und ihr Einfluss auf den Phänotyp

SHAPE beschäftigte sich auch mit dem Einfluss der Organellen-Genome auf den Phänotyp von Pflanzen. Aus Vorarbeiten war bereits bekannt, dass auch Chloroplasten-Genome an der individuellen Anpassung an Umweltbedingungen beteiligt sind.

In Phase 1 und 2 des Projekts wurden daher Pflanzen mit neuen Kombinationen aus Kern- und Chloroplastengenom erzeugt. Bei den Feldversuchen, die in diesem Jahr erstmals stattfanden, ließen sich jedoch bisher keine wesentlichen morphologischen Unterschiede an den Pflanzen feststellen. „Es ist jedoch noch zu früh die Hoffnung aufzugeben, dass wir für dieses Teilprojekt noch innovative Ergebnisse finden“, resümiert Stein.

Ausblick

SHAPE III läuft noch bis Januar 2026. Bis dahin werden fast 200 vollständig sequenzierte Genome vorliegen. Neben dem Brücken-Pangenom, das besonders für Züchter in Mitteleuropa von Bedeutung ist, werden dann auch neue Daten für Gerstetypen in anderen Weltregionen zur Verfügung stehen.

„Wir kommen damit wirklich nah an ein Stadium, in dem wir sagen können, wir kennen die wesentliche strukturelle genomische Diversität einer Kulturart“, sagt Nils Stein. „Diese umfassende Informationsressource wird Züchtern und der Grundlagenforschung frei zur Verfügung stehen.“


Publikationen aus dem Projekt:

Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:

Titelbild: Selbst aus der Luft erkennt man, dass die einzelnen Gerstenkultivare sich in ihrem Phänotyp teils deutlich unterscheiden. (Bildquelle: © IPK Gatersleben)