Schon gewusst? Schutzgebiete für Insekten oft an falscher Stelle

Hohe Artenvielfalt gibt es auf Flächen mit niedriger Vegetation

10.12.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Ein Netzwerk aus 75 Insekten-Fallen erfasst Insekten aus ganz Deutschland – so wie diese Tagfalter aus der Familie der Bläulinge. (Bildquelle: © Senckenberg)

Ein Netzwerk aus 75 Insekten-Fallen erfasst Insekten aus ganz Deutschland – so wie diese Tagfalter aus der Familie der Bläulinge. (Bildquelle: © Senckenberg)

Wissenschaftler:innen der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung haben herausgefunden, dass die Insektenvielfalt in Deutschland stärker durch Änderungen in der Landnutzung als durch Wetter- oder Klimaveränderungen beeinflusst wird. Besonders bemerkenswert: Gebiete mit niedrig wachsender Vegetation sind oft artenreicher als Wälder – werden aber häufig in Schutzprogrammen vernachlässigt.

Warum Insekten so wichtig sind

Insekten sind für die Bestäubung von Nutzpflanzen, den Abbau organischer Stoffe und als Nahrungsquelle für viele Tiere unverzichtbar. Ihr Rückgang bedroht nicht nur Ökosysteme, sondern auch unsere Lebensgrundlagen. Um den Ursachen des Insektensterbens auf den Grund zu gehen, hat das Senckenberg-Team ein Langzeitmonitoring etabliert, das unterschiedliche Lebensräume wie Städte, Wälder und landwirtschaftlich genutzte Flächen untersucht.

Alarmierende Erkenntnisse aus der Forschung

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Sand-Trockenrasen im Sandgebiet bei Darmstadt. Die Artenvielfalt bei Insekten ist auf solchen Flächen mit niedrig wachsender Vegetation besonders hoch.

Sand-Trockenrasen im Sandgebiet bei Darmstadt. Die Artenvielfalt bei Insekten ist auf solchen Flächen mit niedrig wachsender Vegetation besonders hoch.

Bildquelle: © Thomas Huntke, eigenes Werk / Wikimedia, CC BY-SA 3.0

Die Ergebnisse sind alarmierend: Insektenreiche Lebensräume, vor allem solche mit abwechslungsreicher Vegetation, werden oft nicht ausreichend geschützt. Das Forschungsnetzwerk zeigte zudem, dass eine höhere Heterogenität in der Bodenbedeckung die Insektenbiomasse um bis zu 56 Prozent und die Artenvielfalt um bis zu 58 Prozent steigern kann. Dennoch konzentrieren sich viele Schutzmaßnahmen auf bewaldete Gebiete, was den Schutz anderer artenreicher Habitate erschwert.

Mehr als 8.000 in Deutschland unbekannte Arten entdeckt

Im Rahmen der Studie konnten 31.846 Insektenarten aus mehr als 2.000 Proben identifiziert werden, darunter rund 8.000 Arten, die bislang aus Deutschland unbekannt waren – ein Meilenstein, der zeigt, wie wenig wir in Deutschland über unsere artenreichste Tiergruppe wissen.

Die Studienergebnisse sind auch im Kontext aktueller Umweltrichtlinien wie dem EU Nature Restoration Law von Bedeutung. Um die Insektenvielfalt zu sichern, müssen unbewaldete Flächen mit hoher Habitatvielfalt stärker in Schutzprogramme einbezogen werden. Dies ist entscheidend, um das Ziel zu erreichen, bis 2030 30 Prozent der Flächen als geschützte Gebiete auszuweisen.

Metabarcoding: Eine Revolution in der Insektenforschung

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Eine Malaise-Falle: Diese Zelt-ähnliche Vorrichtung dient zur Sammlung von fliegenden Insekten für wissenschaftliche Studien zur Artenvielfalt und Ökologie.

Eine Malaise-Falle: Diese Zelt-ähnliche Vorrichtung dient zur Sammlung von fliegenden Insekten für wissenschaftliche Studien zur Artenvielfalt und Ökologie.

Bildquelle: © DKrieger / Wikimedia, CC BY-SA 4.0

Das Forschungsteam nutzte für die Insektenbestimmung das sogenannte DNA-Metabarcoding-Verfahren. Diese Methode ermöglicht eine umfassende Untersuchung von Insektengemeinschaften, selbst bei Millionen von Arten, die teils unbekannt oder schwer zu identifizieren sind. Insekten sind die artenreichste Tiergruppe der Erde, doch ihre immense Vielfalt und Verbreitung stellen die Forschung vor große Herausforderungen. Traditionelle Methoden erfordern viel Zeit, Kosten und Fachwissen, um Insekten über große räumliche und zeitliche Skalen hinweg zu analysieren.

Metabarcoding bietet hier eine vielversprechende Lösung. Durch das Sequenzieren eines gemischten DNA-Pools können Arten schnell, kostengünstig und hochauflösend über DNA-Referenzbibliotheken identifiziert werden, ohne dass einzelne Exemplare untersucht werden müssen. Dieses Verfahren ermöglicht nicht nur die Erkennung tausender Arten innerhalb weniger Wochen, sondern auch die Identifikation schwer unterscheidbarer oder invasiver Arten. Zudem können bisher unbekannte Arten durch sogenannte operationale taxonomische Einheiten (OTUs) definiert werden. Metabarcoding hat sich so als Schlüsselinstrument zur Überwachung der globalen Insektenbiodiversität etabliert und hilft, die zugrunde liegenden Prozesse in Ökosystemen besser zu verstehen.


Quelle:
Sinclair, J. S. et al. (2024): Effects of land cover and protected areas on flying insect diversity. In: Conv. Biology (4. Dezember 2024). doi: 10.1111/cobi.14425

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Titelbild: Ein Netzwerk aus 75 Insekten-Fallen erfasst Insekten aus ganz Deutschland – so wie diese Tagfalter aus der Familie der Bläulinge. (Bildquelle: © Senckenberg)