Systemisches Vorgehen als Schlüssel zum Erfolg

10.01.2011 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Die Agrarwirtschaft ist ein bedeutender Wirtschaftszweig in Europa. (Bildquelle: © iStockphoto.com/ Sascha Burkard)

Die Agrarwirtschaft ist ein bedeutender Wirtschaftszweig in Europa. (Bildquelle: © iStockphoto.com/ Sascha Burkard)

Prof. Dr. Hubert Wiggering, Sprecher der DAFA und Direktor des Leibniz-Zentrums für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) e.V. in Müncheberg sprach mit der Redaktion von Pflanzenforschung.de über den Stand und die Zukunftsperspektiven der Agrarwissenschaften in Deutschland.

Pflanzenforschung.de: Deutschland soll im internationalen Vergleich zu einem dynamischen Forschungs- und Innovationsstandort für bio-basierte Produkte, Energien, Verfahren und Dienstleistungen werden. Mit der Entwicklung neuartiger Produkte, Verfahren und Dienstleistungen aus nachwachsenden Rohstoffen soll die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft gestärkt und bei der Anzahl an Beschäftigten und Unternehmen eine internationale Spitzenposition unter vergleichbaren Industriestaaten eingenommen werden. Welche Bedeutung kommt dabei den Agrarwissenschaften in Deutschland zu?

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Prof. Dr. Hubert Wiggering.

Prof. Dr. Hubert Wiggering.

Bildquelle: © Michael Welling

Prof. Dr. Wiggering: Agrarwissenschaftler in Deutschland verfügen in vielen Teilfragen über hohe Expertise, die auch international anerkannt ist. Der Forschungs- und Innovationsstandort Deutschland kann sich dann exponieren, wenn es gelingt, diese Expertise zu bündeln. Denn die angesprochenen Fragen z.B. zu den Themen der globalen Energieversorgung oder der Welternährung lassen sich weder heute noch in Zukunft einfach beantworten. Wir brauchen dafür die gebündelte Kraft der Agrarwissenschaften. Jüngste Forschungsprogramme und Bestrebungen, die Fragmentierung der Expertisen im Agrarbereich zu überwinden – etwa durch die strategische Abstimmung und Zusammenarbeit der universitären und hochschulseitigen, der außeruniversitären sowie der Ressortforschung – schlagen gezielt diesen Weg ein.

Pflanzenforschung.de: Die Bundesregierung strebt in ihrer „Nationalen Forschungsstrategie - Bioökonomie 2030“ Verantwortung für die Welternährung sowie beim Klima-, Ressourcen- und Umweltschutz im Zusammenhang mit der Nutzung biologischer Ressourcen an. Wie können Agrarwissenschaftler diese ehrgeizigen Ziele verfolgen? Was kann die Agrarwirtschaft am Beginn der Wertschöpfungskette leisten?

Prof. Dr. Wiggering: Die Stellung der Agrarwirtschaft am Beginn von Produktionssystemen und Wertschöpfungsketten bedeutet zum Beispiel, dass neue Produktionssysteme entwickelt werden müssen, die auf eine nachhaltige Entwicklung abzielen. Etwa mit dem Blick auf den Ressourcenschutz, insbesondere aber auf eine multifunktionale Nutzung der Flächenressourcen. Dabei müssen nicht zwangsläufig Nutzungskonkurrenzen entstehen. Gerade eine abgestimmte Forschungsstrategie der Agrarwissenschaften kann dazu beitragen, dass die Lebensmittelproduktion, die energetische und die weitere stoffliche Nutzung von Biomasse in Einklang sind. Nutzungskonkurrenzen zur Wasserwirtschaft, zum Klimaschutz oder zum Naturschutz bis hin zur Freizeit- und touristischen Nutzung der Landschaft können so ausgeschlossen werden.

Die Agrarwirtschaft spielt aber nicht nur zu Beginn der Wertschöpfungskette eine entscheidende Rolle. Aufgabe der Wissenschaften ist es zu analysieren, inwieweit gerade bei der bio-basierten Produktion viele Teilveredlungen vor Ort bei den Landwirten erfolgen können. Teile der Wertschöpfungskette könnten so wieder in die ländlichen Räume rückverlagert werden. Dies wird derzeit im Rahmen der Bioraffinerien diskutiert. Es wird geprüft, wie Produkte vor Ort zu Plattformchemikalien zwischenveredelt und dann direkt zum Endverbraucher transportiert werden können. 

Pflanzenforschung.de: Bedeutet der Aufbau einer BioÖkonomie, wie die Bundesregierung dies in ihrer nationalen Forschungsstrategie „BioÖkonomie 2030“ betont ein Zurück zum bäuerlichen Staat? 

Prof. Dr. Wiggering: Keineswegs. Weder wenn Sie dabei an die romantisierenden Bilder einer bäuerlichen Idylle aus Kinderbüchern denken, noch an die harte Knochenarbeit der Bauern vor hundert Jahren. Vielmehr bedeutet die Strategie die Entwicklung neuartiger landwirtschaftlicher Produktionssysteme und Strukturen.

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Mit Bioraffinerien könnten bei der bio-basierten Produktion Teilveredelungen vor Ort bei den Landwirten erfolgen.

Mit Bioraffinerien könnten bei der bio-basierten Produktion Teilveredelungen vor Ort bei den Landwirten erfolgen.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ LianeM

Pflanzenforschung.de: In vielen Ländern, z.B. in den USA, wurden die Agrarwissenschaften nach deutschem Vorbild und oftmals unter Leitung deutscher Professoren aufgebaut. Ist dieses internationale Niveau auch heute noch kennzeichnend für die deutsche Agrarforschung? 

Prof. Dr. Wiggering: Die deutsche Agrarwissenschaft genießt auch heute noch einen international hervorragenden Ruf. Insgesamt gesehen haben sich die Rahmenbedingungen beim Aufbau von wissenschaftlichen Einrichtungen aber zunehmend verändert. Die Globalisierung hat in den ausgeprägt vernetzten wissenschaftlichen Vorgehensweisen Einzug gehalten und ganz neue Forschungsstrukturen geschaffen. 

Pflanzenforschung.de: Warum haben die Agrarwissenschaften ein Nachwuchsproblem und wie kann diesem begegnet werden? 

Prof. Dr. Wiggering: Die Menschen haben häufig ein verzerrtes Bild vor Augen, wenn sie „Agrarwissenschaften“ hören. Viel zu wenig wird realisiert, dass landwirtschaftliche Produktion heute moderne, hochtechnologische industrielle Vorgehensweisen erfordert. Wissenschaftler ebenso wie Landwirte müssen heute Fragen zu Klima, wasserwirtschaftlichen Herausforderungen und Naturschutz beantworten. Die Agrarwissenschaften und insbesondere die landwirtschaftlichen Produktionssysteme stehen vor ganz anderen Herausforderungen als landläufig wahrgenommen wird. Dies nach außen transparent zu machen und die Herausforderungen als attraktive Aufgaben für junge Menschen und wissenschaftlichen Nachwuchs darzustellen, ist ein Aspekt der dafa-Arbeit.

Pflanzenforschung.de: Die DAFA zielt auch auf die Bündelung und gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Technologien ab. Wäre ein Modell nach dem Vorbild der Niederlande, also die Konzentration aller notwendigen kritischen Massen (technologisch, ökonomisch, intellektuell) auf einen Standort, ein für Deutschland praktikables Modell? 

Prof. Dr. Wiggering: Es ist selten ratsam, derartige Ansätze aus anderen Ländern eins zu eins zu übernehmen. Wir stellen die Erfahrungen aus solchen Ansätzen genau auf den Prüfstand und übernehmen dann das, was im stärker föderal ausgeprägten deutschen Kontext Sinn macht. So finden wir für uns einen adäquaten Weg, wie wir uns strategisch gebündelt in die internationalen Entwicklungen einbringen. 

Pflanzenforschung.de: Die Agrarwirtschaft hat sich in Europa von einem die Wirtschaft dominierenden Wirtschaftszweig zu einem bestimmte Kennzahlen wie Beschäftigtenzahlen oder Anteil am BSP zu einem eher marginalen Bereich gewandelt. Immer wieder werden die Bedeutung der Branche und damit einher gehend auch die Bedeutung der Agrarforschung betont. Wie ist dies zu verstehen und können Sie diese indirekte Bedeutung mit einigen Zahlen unterlegen? 

Prof. Dr. Wiggering: Der Agrarsektor wird gerne reduziert auf den engeren Kontext der landwirtschaftlichen Produktion vor Ort betrachtet. Die Entwicklung von ländlichen Räumen und Kulturlandschaften, die steuernden Wirkungen bezüglich des Wasserhaushaltes und vor allem die jeweiligen Produktionssysteme – all das sind Fragen, die ebenfalls eine Rolle spielen, in der öffentlichen Wahrnehmung aber häufig unterschlagen werden. Ganz zu schweigen von den agrarwissenschaftlichen Beiträgen zu neuesten Innovationen etwa im Bereich der Nanotechnologien.

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"Die deutsche Agrarwissenschaft genießt auch heute noch einen international hervorragenden Ruf", sagt Prof. Dr. Wiggering.

Bildquelle: © iStockphoto.com/ Klaas Lingbeek- van Kranen

Es ergäben sich bezüglich der Beschäftigungssituation als auch in Bezug auf das BSP komplett andere Zahlen, wenn man bisher nicht genutzte Möglichkeiten zur Verlängerung der Wertschöpfungskette sowie die volkswirtschaftliche Bedeutung von Ressourcenschutz  im Bereich Wasserwirtschaft oder Biodiversität, von landschaftsbezogenem Tourismus oder aber bzgl. der Energiewirtschaft mit in die Rechnung einbezöge. Ganz zu schweigen, wenn der Ernährungssektor mit betrachtet wird.

Pflanzenforschung.de: Können Sie unseren Lesern Ihre persönlich gesetzten drei Schwerpunkte einer besserabgestimmten und gebündelten Agrarforschung benennen? 

Prof. Dr. Wiggering: 1.: Die Agrarwissenschaften und die Agrarforschung sollten nach außen ein geschlossenes Bild abgeben. Ich sehe ihre Aufgabe darin, richtungsweisende Entwicklungen und Innovationen klar aufzuzeigen und strategisch zu exponieren - sowohl in der breiten Öffentlichkeit als auch innerhalb der Wissenschaftsgemeinde. 

2.: Die Agrarforschung muss in einer mehr systemischen Weise die anstehenden Herausforderungen annehmen. Darin liegt der Schlüssel, egal, ob es um Produktionssysteme, den Klimawandel, die vielfältigen Fragen der Wasserwirtschaft oder der Biodiversität in intensiv genutzten Landschaften geht. 

3.: Wir müssen die Agrarwissenschaften wieder attraktiv für den Nachwuchs machen.

Pflanzenforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch!


Einen Beitrag zur Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) finden Sie hier.