Trends in der Wissenschaft
Evolution der Forschungsthemen
In den letzten Jahrzehnten sind wissenschaftliche Erkenntnisse und die Literatur dazu explosionsartig gewachsen. Doch welche Themen dominieren seit eh und je, welche sind neu aufgekommen oder in der Versenkung verschwunden? Das hat eine Studie exemplarisch am Beispiel der Pflanzenwissenschaften untersucht. Die Ergebnisse sind teils erwartbar, teils überraschend.
In der Wissenschaft stehen alle auf den Schultern von Riesen. Generationen von Forscher:innen haben bereits unglaubliche Mengen an Wissen angehäuft, auf dem alle anderen jetzt aufbauen können. In den letzten Jahrzehnten gab es einen exponentiellen Anstieg der wissenschaftlichen Veröffentlichungen. Da fällt es selbst Profis schwer, den Überblick über die kurzlebigen Trends und immerwährenden Themen zu behalten.
“Wissenschaftler wie wir sind typischerweise in einem bestimmten Teilbereich ausgebildet und keiner von uns verfügt über das vollständige Wissen eines Forschungsgebiets, in dem wir angeben, Experten zu sein“, sagt Shinhan Shiu, Professor an der Michigan State University mit einem Schwerpunkt auf Computational, Evolutionary and Predictive Biology. Gemeinsam mit seiner Frau Melissa Lehti-Shio, ebenfalls Professorin an der Michigan State, hat er deshalb untersucht, wie sich die Forschungsfelder im Bereich der Pflanzenwissenschaften in den vergangenen 70 Jahren verändert haben.
Sprachmodell analysiert Inhalt von Fachartikeln
Zuerst identifizierten die beiden mehr als 400.000 Fachartikel - umgangssprachlich auch als paper bezeichnet - in wissenschaftlichen Zeitschriften, die thematisch der Pflanzenforschung zuzuordnen sind. Mit Hilfe von großen Sprachmodellen analysierten sie den Inhalt der Veröffentlichungen und teilten sie in eines von 90 Themengebiete ein.
Jedes Themengebiet wurde nach vier bis fünf Begriffen benannt, die es am besten definierten.
So heißt das Thema mit den meisten Veröffentlichungen beispielsweise „QTL, Resistenz, Weizen, Marker, Eigenschaften“. Alle Themen lassen sich auf einem zweidimensionalen Diagramm darstellen. Je näher beieinander zwei Themen in diesem Diagramm liegen, umso verwandter sind sie.
Themen kommen und gehen
Das 2D-Diagramm kann auch aufzeigen, wie stark einzelne Themen zu einem bestimmten Zeitpunkt erforscht worden sind. Je dicker der Punkt, desto mehr Publikationen gab es in diesem Jahr zu dem Thema. Dadurch kann man bereits einige Details erkennen: Thema 44 (Licht, Blätter, Co, Synthese, Photosynthese) erlebte 1975 seine Blütezeit und ist seitdem weniger wichtig geworden. Thema 39 (Agrobacterium-basierte Transformation) hingegen wurde im Jahr 1985 erstmals wichtig genug, dass es als Punkt im Diagramm sichtbar wurde.
Mit einer weiteren Analyse konnte das Forscherehepaar ermitteln, wie Themen sich im Zeitverlauf entwickelt haben. „Wir zeigen, dass große Wechsel in Forschungsschwerpunkten stattgefunden haben und dass dies mit technologischen Fortschritten korreliert“, sagt Shinhan Shiu in einer E-Mail. „Außerdem hat sich in den vergangenen 50 Jahren die Nutzung von Modellpflanzen dramatisch verändert, in letzter Zeit sieht man einen starken Anstieg in der Anzahl der Arten, die untersucht werden.“
Technologische Fortschritte und „Publicity“
Während lange Zeit die Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) dominierte, werden zunehmend ganz andere Arten untersucht. Vermutlich liegt das daran, dass inzwischen für viele Arten vergleichsweise einfach ist, Omics-Technologien anzuwenden.
Manchmal führt auch öffentliche Aufmerksamkeit dazu, dass das Interesse an einem Thema steigt. Ein Beispiel ist die Forschung an Transposons, die von Barbara McClintock in den 1950ern durchgeführt worden ist. Damals war sie eine von wenigen, die sich damit beschäftigte. Doch als sie 1983 den Nobelpreis für ihre Forschung erhielt, stieg das Interesse anderer Forschungsgruppen an dem Thema drastisch an.
Indien und China holen auf
Auch der unterschiedlich starke Einfluss von geografischen Regionen lässt sich ermitteln. Bis zur Jahrtausendwende dominierten Nordamerika und Europa die Publikationslisten. Seitdem haben Indien und China aufgeholt. Publikationen aus diesen Ländern zeigen seitdem das stärkste Wachstum. „Sowohl Indien als auch China haben ein großes Interesse an Landwirtschaft und Pflanzenforschung ist ein großer Teil davon“, sagt Shinhan Shiu.
Diese Analyse zur Evolution von Forschungsthemen in der Pflanzenforschung soll nur der Anfang gewesen sein, sagt Shinhan Shiu. “Ich würde gerne den Einfluss von Finanzmitteln auf Forschungstrends untersuchen. Außerdem zeigt unsere Studie zwar die Veränderungen von Forschungsgebieten, aber sie kann noch nicht erklären, welche Schlüssel-Innovationen oder konzeptionellen Fortschritte die Treiber dahinter waren. Das möchte ich in Zukunft genauer bestimmen. Gern würde ich dabei auch die soziologischen Aspekte von Wissenschaft einbeziehen, also zum Beispiel Zitationsnetzwerke.“
Quelle:
Shiu S-H, Lehti-Shiu MD (2024) Assessing the evolution of research topics in a biological field using plant science as an example. PLoS Biol 22(5): e3002612 doi.org/10.1371/journal.pbio.3002612
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
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Titelbild: Wissenschaftler haben mit Hilfe von KI aufgezeigt, welche Themen im Bereich der Pflanzenforschung in den letzten Jahrzehnten Trend waren. (Bildquelle: © erstellt mit Abbildungen von Jackie DiLorenzo/Unsplash (plant photo) und Alexandra Koch/Pixabay (electronic brain illustration) / CC-BY 4.0, https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/)