Unterschätzte Moleküle

2‘,3‘-cAMP-Nukleotide regulieren Stressreaktionen

03.03.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Am Beispiel der Ackerschmalwand untersuchte ein internationales Forschungsteam die Bedeutung von 2‘,3‘,-cAMP. (Bildquelle: © iStock.com / pkujiahe)

Am Beispiel der Ackerschmalwand untersuchte ein internationales Forschungsteam die Bedeutung von 2‘,3‘,-cAMP. (Bildquelle: © iStock.com / pkujiahe)

Regulatorische Prozesse in Pflanzenzellen, zum Beispiel als Antwort auf Stresssituationen wie Verletzungen, Krankheiten oder Hitze, basieren auf Protein-Protein-Wechselwirkungen. So die in der Wissenschaft bislang gängige Vorstellung. Eine neue Studie zeigt: Es gibt eine Fülle wenig beachteter kleiner Molekülverbindungen, die hier ebenfalls involviert sind. Dazu gehören auch 2‘,3‘-cAMP-Nukleotide.

Stress – das ist ein Zustand, der sich körperlich auswirkt und den die meisten Menschen aus eigener Erfahrung kennen. Auch Pflanzen erleben Stress durch widrige Umweltbedingungen, Schädlingsbefall oder Krankheiten. Ein internationales Pflanzenforschungsteam unter Federführung des Max-Planck-Instituts für Molekulare Pflanzenphysiologie in Golm hat nun bei der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) eine bislang vernachlässigte Molekülgruppe analysiert, die maßgeblich an bestimmten Stressreaktionen beteiligt ist. Dabei handelt es sich um sogenanntes 2‘,3‘-zyklisches Adenosinmonophosphat (cAMP), kleine zyklische RNA-Moleküle.

Anreicherung bei Stress

Häufig konzentriert sich die Forschung darauf, wie Proteine miteinander in Wechselwirkung stehen, wenn die Fachleute regulatorische Prozesse einer Zelle analysieren. Doch neben Proteinen gibt es eine Vielzahl kleiner Molekülverbindungen, die ihrerseits mit Proteinen interagieren. Manchmal liegt in ihnen der Schlüssel dafür, die Prozesse richtig zu verstehen.

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Pflanzenzellen im Fokus: Das Forschungsteam hat untersucht, welche Prozesse sich in den Zellen durch 2‘,3‘-cAMP verändern.

Pflanzenzellen im Fokus: Das Forschungsteam hat untersucht, welche Prozesse sich in den Zellen durch 2‘,3‘-cAMP verändern.

Bildquelle: © iStock.com / barbol88

2‘,3‘-cAMP war zwar als Abbauprodukte der RNA bereits bekannt und auch dessen Beteiligung an Stressreaktionen in tierischen Zellen. Ebenso sind zyklische Nukleotide seit zwei Jahrzehnten als evolutionär konservierte Signalmoleküle beschrieben. Hinweise auf eine regulatorische Funktion von 2‘,3‘-cAMP in Pflanzenzellen gab es jedoch erstmalig im Jahr 2018.

Weil diese kleinen Moleküle sich bei Stress in Form von Verletzungen, Hitze oder Dunkelheit in der Zelle anreichern, hat das internationale Forschungsteam untersucht, welche Prozesse in der Zelle sich durch diese Nukleotide verändern. Dazu haben die Fachleute bromiertes 2‘,3‘-cAMP eingesetzt, das schneller von den Zellen aufgenommen wird als nicht-bromierte Verbindungen. Nachdem die Forscherinnen und Forscher die Zellen mit 2‘,3‘-cAMP behandelt hatten, haben sie Transkriptom, Proteom und Metabolom analysiert.

Abbau von Proteinen

Zunächst zeigte sich, dass das Br-2‘,3‘-cAMP seine maximale Konzentration in den Zellen nach ca. 30 Minuten erreichte, nach 60 Minuten wieder stark abfielt und nach 24 Stunden nicht mehr nachzuweisen war. Parallel zum Abbau erhöhte sich die Konzentration von Adenosin, was darauf hindeutet, dass das zyklische Adenosinmonophosphat zu Adenosin abgebaut wird. Allerdings war auch dieses nach 24 Stunden nur noch in Spuren nachzuweisen.

Von den insgesamt analysierten 142 Zellmetaboliten veränderte sich bei 80 die Konzentration infolge der Zugabe von Br-2‘,3‘-cAMP. Bei 68 Metaboliten stieg sie an. Ihre Zusammensetzung aus Aminosäuren und proteogenen Dipeptiden deutete darauf hin, dass sie durch den Abbau von Proteinen entstanden sind. Außerdem fanden sich weitere Hinweise darauf, dass sich RNA zersetzt hat – alles Merkmale von Stressbedingungen.

Einfluss auf Gene der Stressreaktionen

Um aufzuklären, welche der beobachteten Effekte auf Br-2‘,3‘-cAMP und welche auf das entstehende Adenosin zurückzuführen sind, untersuchte das Forschungsteam das Transkriptom nach Behandlungen mit jeweils einer der beiden Verbindungen. Adenosin veränderte die Expression von 2.322 Genen nach 30 Minuten und von 2.798 Genen nach sechs Stunden. Br-2‘,3‘-cAMP beeinflusste 953 Gene nach 30 Minuten und 2.959 Gene nach sechs Stunden. 439 dieser Gene waren zu beiden Zeitpunkten in ihrer Regulation verändert.

Zwischen den Genen, deren Expression jeweils durch die eine oder die andere Verbindung beeinflusst wurden, gab es nur wenige Überschneidungen. Die dabei hochregulierten Gene zählten zur Gruppe der Cytokin-aktivierten Signalwege, der Hormonantwort und der Reaktion auf Salzstress. Heruntergeregelt wurden durch beide Verbindungen Gene, die mit der Reaktion auf Hitzestress, Sauerstoffstress und Umweltanpassungen assoziiert sind.

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Schematische Darstellung der Auswirkungen einer 2‘,3‘-cAMP-Behandlung auf A. thaliana auf der Ebene der Transkriptomik, Proteomik und Metabolomik: 2‘, 3‘-cAMP ruft die gleichen Veränderungen in der Pflanze hervorruft wie abiotischer Stress.

Schematische Darstellung der Auswirkungen einer 2‘,3‘-cAMP-Behandlung auf A. thaliana auf der Ebene der Transkriptomik, Proteomik und Metabolomik: 2‘, 3‘-cAMP ruft die gleichen Veränderungen in der Pflanze hervorruft wie abiotischer Stress.

Bildquelle: © Dr. Monika Chodasiewicz

Mal Antagonist, mal Synergist

cAMP-spezifisch hochreguliert waren Gene der Oxylipin-Biosynthese, des Jasmonsäure-Signalwegs sowie der Reaktion auf Verletzungen. Heruntergeregelt wurden Gene der Chloroplastenorganisation und der Proteinfaltung, darunter Gene, die an der Reaktion auf Hitzestress beteiligt sind.

Adenosin verstärkte die Aktivität von Genen der Syncytium-Bildung, der Zellwandmodifikation und des Gibberellin-Signalwegs. Verringert waren hier unter anderem die Aktivitäten der Gene der Immunreaktion, der Abwehrreaktion und der Reaktion auf Sauerstoffmangel. 65 Gene, die durch Br-2‘,3‘-cAMP hochreguliert wurden, wurden durch Adenosin herunterreguliert. Die meisten dieser Gene hängen mit Stressreaktionen, der Reaktion auf Verletzungen oder dem Jasmonsäure-Signalweg zusammen. 2‘,3‘-cAMP und Adenosin könnten demnach Antagonisten bei der Stressreaktion sein, aber bezüglich des Cytokin-aktivierten Signalwegs und der Hitzereaktion synergistisch wirken.

Bei weiteren Analysen stellten die Forscher:innen fest, dass 472 Proteine nach der Behandlung mit Br-2‘,3‘-cAMP in veränderter Konzentration vorlagen. Die häufiger gewordenen Proteine fielen nach der PANTHER-Klassifikation in die Kategorien Aminosäuren, Glukosinolate, Nukleotide, Pigmentbiosynthese, Photosynthese und Auxintransport – d. h. sie interagierten mit Molekülen aus diesen Bereichen oder waren unmittelbar selbst entsprechend aktiv. Seltener geworden waren Proteine, die eine Rolle bei Proteinfaltung, Energiestoffwechsel, Hitzeantwort und Translation haben. Damit bestätigt die Studie auch auf Proteombasis, was schon das Transkriptom nahegelegt hat: 2‘,3‘-cAMP ist an mehreren Stressreaktionen beteiligt.

Erhöhte Beweglichkeit der P-Bodies

Darüber hinaus fand die Studie weitere Belege dafür, dass 2‘,3‘-cAMP an der Entstehung von Stressgranulaten beteiligt ist. Diese Granulate interagieren mit membranlosen Organellen, die als P-Bodies bezeichnet werden. Dies hat wiederum Auswirkungen auf Speicherung, Abbau und Translation von mRNA. Jetzt zeigte sich auch, dass die Stressgranulate die Beweglichkeit der P-Bodies in Stresssituationen erhöhen.

Die Studien-Ergebnisse zeigen die bislang verkannte Rolle dieser kleinen Molekülverbindungen bei regulatorischen Prozessen. Daher rät das Forscherteam, sich verstärkt mit diesen Substanzgruppen auseinanderzusetzen – im Rahmen von Grundlagen- und Züchtungsforschung.  Schließlich könnten sich hier wertvolle Ansatzpunkte ergeben, um die Stresstoleranz von Pflanzen zu erhöhen.


Quelle:
Chodasiewicz, M. et al. (2022): 2‘,3‘-cAMP treatment mimics the stress molecular response in Arabidopsis thaliana. In: Plant Physiology, (19. Januar 2022), doi: 10.1093/plphys/kiac013.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Am Beispiel der Ackerschmalwand untersuchte ein internationales Forschungsteam die Bedeutung von 2‘,3‘,-cAMP. (Bildquelle: © iStock.com / pkujiahe)