Wie Pflanzen ihr Wachstum anpassen
Ein Splicing-Protein steuert den Balanceakt zwischen Wachstum und Stressreaktion

Pflanzen passen sich durch alternatives Splicing an Umweltbedingungen an. Ein zentraler Regulator dafür ist das Protein At-RS31. (Bildquelle: Pflanzenforschung.de | erstellt mit DALL•E)
Pflanzen müssen ständig abwägen: Lohnt sich das Wachstum – oder ist es klüger, sich auf Trockenheit oder andere Stressfaktoren vorzubereiten? Forschende der Universität Bielefeld haben jetzt ein Protein identifiziert, das diesen molekularen Entscheidungsprozess steuert. Es wirkt tief in die Genregulation hinein und könnte künftig helfen, Nutzpflanzen widerstandsfähiger zu machen.
Anders als Tiere können Pflanzen nicht ausweichen, wenn sich ihre Umwelt ändert. Stattdessen passen sie ihre inneren Abläufe an – etwa, indem sie bestimmte Gene stärker oder schwächer aktivieren. Besonders raffiniert: Ein einzelnes Gen kann durch sogenanntes alternatives Splicing verschiedene Proteine hervorbringen – je nachdem, wie die RNA-Bausteine zurechtgeschnitten werden. Dieses Splicing steht im Zentrum einer aktuellen Studie der Universität Bielefeld, veröffentlicht im Fachjournal New Phytologist. Das Forscherteam zeigt darin, wie ein Splicing-Faktor namens At-RS31 weitreichende Entscheidungen in der Pflanzenzelle beeinflusst.

Dr. Martin Lewinski (links) und Dr. Tino Köster, beide aus der Arbeitsgruppe von Professorin Dr. Dorothee Staiger (Mitte) an der Universität Bielefeld, sind Erstautoren der nun im renommierten Fachjournal New Phytologist veröffentlichten Studie.
Bildquelle: © Lisa Janowski / Universität Bielefeld
At-RS31 – mehr als ein Helfer
Lange galt das Protein At-RS31 als technischer Helfer im Splicing-Prozess. Doch das Bielefelder Team um Dr. Tino Köster und Dr. Martin Lewinski konnte nun zeigen, dass es selbst als zentraler Regulator agiert. Mithilfe modernster Methoden wie iCLIP (individual-nucleotide resolution UV crosslinking and immunoprecipitation) und RNAcompete kartierten sie die Bindungsstellen von At-RS31 im Erbgut der Modellpflanze Arabidopsis thaliana. Das Ergebnis: At-RS31 bindet an mehr als 1400 Gene, viele davon mit Funktionen im Wachstumssignalweg TOR oder in der Stressantwort über das Hormon Abscisinsäure (ABA).
Flexibilität auf RNA-Ebene
At-RS31 erkennt bevorzugt bestimmte RNA-Motive – etwa CU-reiche Sequenzen und das sogenannte CAGA-Motiv. Je nach Situation bewirkt das Protein, dass bestimmte RNA-Abschnitte ausgeschnitten oder erhalten bleiben. Besonders häufig führt das zu Intron-Retention – ein Mechanismus, mit dem Pflanzen bei Stress rasch reagieren können, indem sie weniger funktionsfähige Proteine produzieren. Gleichzeitig beeinflusst At-RS31 das Splicing anderer Regulatoren – darunter verwandte Splicing-Faktoren – und etabliert damit eine hierarchische Steuerkaskade.

Alternatives Splicing: Aus einem einzigen Gen entstehen durch variierende Schnittmuster unterschiedliche mRNA-Varianten – eine zentrale Strategie, um Wachstum und Stressantwort bei Pflanzen fein abzustimmen.
Bildquelle: © Shang, X.; Cao, Y.; Ma, L. Alternative Splicing in Plant Genes: A Means of Regulating the Environmental Fitness of Plants. Int. J. Mol. Sci. 2017, CC BY 4.0
Gegensätze in Balance bringen
Die Studienergebnisse zeigen eindrucksvoll: At-RS31 ist ein molekularer Schalter zwischen Wachstum und Schutzreaktion. Bei günstigen Bedingungen aktiviert es Gene für Wachstum und Entwicklung. Unter Stressbedingungen – etwa Trockenheit – wird dagegen die Abwehr gestärkt, auch wenn das auf Kosten des Wachstums geht. In Pflanzen, die besonders viel At-RS31 produzieren, wurden fast 3.000 alternative Spleißereignisse identifiziert. Besonders markant war der Einfluss auf Exitrons – Genabschnitte innerhalb von Exons, die normalerweise codierend sind, aber bei Bedarf entfernt werden können.
Zukunftsperspektiven für die Pflanzenzucht
Neben den molekularbiologischen Erkenntnissen birgt die Studie ein wichtiges Anwendungspotenzial: Ein besseres Verständnis dieser Regulationsmechanismen könnte helfen, klimaangepasste Kulturpflanzen zu entwickeln. Pflanzen, die ihre Wachstums- und Schutzprogramme präziser steuern können, wären robuster gegenüber Dürre, Hitze oder anderen Belastungen – ohne dass sie dafür dauerhaft auf Ertrag verzichten müssten.
Quelle:
Koester, T. et al. (2025): „At-RS31 orchestrates hierarchical cross-regulation of splicing factors and integrates alternative splicing with TOR-ABA pathways“. In: New Phytologist (26.05.2025). doi: 10.1111/nph.70221.
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Süßer Schutz gegen Salzstress - Forschende entdecken neuen Genschalter bei Zuckerhirse
- Klimaanpassung - Die wichtigsten Fragen rund um abiotischen Stress
- Dürretoleranter Mais - Die Zahl der Seminalwurzeln beeinflusst, wie eine Pflanze mit Trockenstress zurechtkommt
- Mehr Toleranz gegen Staunässe - Stress-Signalweg bei niedrigem Sauerstoffgehalt entdeckt
Titelbild: Pflanzen passen sich durch alternatives Splicing an Umweltbedingungen an. Ein zentraler Regulator dafür ist das Protein At-RS31. (Bildquelle: Pflanzenforschung.de | erstellt mit DALL·E)