Zentromer-Drive teilt Chromosomen absichtlich ungleich auf
Die geheimnisvolle Genetik der Hundsrose

Die Hundsrose (Rosa canina) verfügt über fünf Chromosomensätze und hat eine ganz besondere Art der Vererbung erfunden. (Bildquelle: © Volker Wissmann)
Hundsrosen besitzen eine ungewöhnliche Chromosomenzahl – fünf statt einer geraden Anzahl von Chromosomensätzen. Das sollte eigentlich zu Problemen bei der Meiose führen und die Pflanzen unfruchtbar machen. Doch dank eines raffinierten Mechanismus gelingt ihnen die Fortpflanzung trotzdem. Die neuen Erkenntnisse über diese sogenannte Canina-Meiose eröffnen auch neue Perspektiven für die gezielte Züchtung polyploider Kulturpflanzen.
Aus den Früchten der Hundsrose (Rosa canina) lässt sich so einiges zubereiten: fruchtiger Hagebuttentee, herb-süßer Brotaufstrich oder, natürlich, Juckpulver. Forschende sind aus einem ganz anderen Grund von der Pflanze fasziniert. „Die Pflanze ist aber nicht nur hübsch anzusehen und für allerlei Zwecke verwendbar, sondern hat auch eine besondere Form der Fortpflanzung entwickelt“, erklärt Prof. Dr. Christiane Ritz, iDiv-Member vom Senckenberg Museum für Naturkunde in Görlitz.

Hagebutten - die Früchte der Hundsrosen - sind Ausgangsstoff für Tee, Marmelade oder das verhasste Juckpulver.
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Hagebutten besitzen fünf Chromosomensätze, sind also pentaploid. Zur Erinnerung: Menschen und fast alle Tiere haben in ihren Körperzellen einen diploiden Chromosomensatz. Eine Hälfte stammt von der Mutter, die andere vom Vater. Während der Meiose – bei der Ei- und Spermienzellen entstehen – ordnen sich die Chromosomen paarweise in der Mitte des Zellkerns an und werden gleichmäßig auf die Tochterzellen aufgeteilt. Bei zwei Chromosomensätzen ist das einfach. Doch bei ungeraden Zahlen ist die sogenannte Reduktionsteilung während der Meiose ein Problem. Eigentlich sollten Hundsrosen daher unfruchtbar sein - sie sind es aber nicht.
Sexuelle und klonale Vermehrung kombiniert
Forschende sind schon lange fasziniert davon, wie den Pflanzen die korrekte Aufteilung der Chromosomen gelingt. Vor mehr als einhundert Jahren wurde bereits postuliert, dass im gleichen Zellkern zwei unterschiedliche Mechanismen parallel ablaufen: Zwei Kopien eines Subgenoms ordnen sich paarweise in der Mittelebene an und werden auf die Tochterzellen aufgeteilt. Sie heißen Bivalente und finden sich später in Ei- und Pollenzellen.
Die anderen drei Chromosomensätze, auch als Univalente bezeichnet, werden ausschließlich in die Eizelle übertragen. „Auf diese Weise kombiniert die Pflanze sexuelle mit klonaler Vermehrung“, erläutert Dr. André Marques vom Max-Planck-Institut für Pflanzenzüchtungsforschung in Köln. Weil dieser Mechanismus so einzigartig für die Hundsrosen ist, wird er auch als Canina-Meiose bezeichnet. Doch bisher war unklar, wie den Pflanzen diese besondere Aufteilung der Chromosomen gelingt.
Unterschiede in den Zentromeren

Kartoffeln zählen zu den vielen Kulturpflanzen mit mehr als zwei Chromosomensätzen. Neue Erkenntnisse aus der Forschung an Hundsrosen könnten helfen, die Fruchtbarkeit solcher polyploider Arten gezielt zu verbessern.
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Eine neue Studie bringt jetzt Licht ins Dunkel. Neben den Arbeitsgruppen von Dr. Marques und Prof. Ritz war auch Dr. Aleš Kovařík vom Institut für Biophysik der Tschechischen Akademie der Wissenschaften beteiligt. Die Forschenden analysierten dafür die Genome von drei verschiedenen pentaploiden Hundsrosenarten. Sie fanden große Unterschiede in den Zentromeren - also den DNA-Abschnitten, an denen während der Zellteilung die Spindelfasern ansetzen.
Die univalenten Chromosomen besitzen auffällig große Zentromere, die viele Wiederholungen der sogenannten CANR4-Sequenz aufweisen. Diese größeren Zentromere binden das Protein CENH3 stärker, was wiederum wichtig für die Anbindung der Spindelfasern ist. Im Gegensatz dazu sind die Zentromere der bivalenten Chromosomen kleiner und enthalten viele Wiederholungen der ATHILA-Sequenz. „Durch die Veränderung der Größe und Stärke ihrer Zentromere können diese Pflanzen buchstäblich beeinflussen, welche Chromosomen vererbt werden“, erklärt André Marques. Aufnahmen mit Fluoreszenzmikroskopen ermöglichten es den Forschenden, den Aufenthaltsort der Chromosomen während der gesamten Zellteilung zu beobachten.
Bivalente Subgenome sind unabhängig voneinander entstanden
Die bivalenten Chromosomen, die an der Pollenbildung beteiligt sind, variieren dabei je nach Untergruppe der Hundsrosen. Rosa canina subsect. Caninae enthält zwei homologe S1-Chromosomen, die während der Meiose auf Pollen- und Eizellen aufgeteilt werden, während die S2-, R3- und R4-Chromosomen als Univalente nur auf die Eizellen übergehen. Im Gegensatz dazu enthält Rosa agrestis subsect. Rubigineae zwei homologe R4-Chromosomen, während S1, S2 und R3 univalent sind. Das deutet darauf hin, dass die bivalenten Subgenome der Hundsrosen unabhängig voneinander entstanden sind.
Die Ergebnisse geben einerseits faszinierende Einblicke in Genomstruktur und Chromosomenvererbung, andererseits haben sie auch einen praktischen Zweck für die Züchtung. Denn viele Kulturpflanzen, von Kartoffel über Weizen bis hin zur Erdbeere, besitzen mehr als zwei Chromosomensätze. Das macht ihre Fortpflanzung anfälliger für Fehler. Ein besseres Verständnis der Hundsrosen-Fortpflanzung könnte helfen, die Fruchtbarkeit polyploider Pflanzenarten zu stabilisieren. Marques resümiert: „Unsere Erkenntnisse könnten langfristig neue Wege für die Entwicklung robusterer Nutzpflanzen eröffnen.“
Quelle:
Herklotz, V., Zhang, M. und Nascimento, T. et al. (2025).: Bimodal centromeres in pentaploid dogroses shed light on their unique meiosis. In: Nature (18. Juni 2025). doi: 10.1038/s41586-025-09171-z
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
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Titelbild: Die Hundsrose (Rosa canina) verfügt über fünf Chromosomensätze und hat eine ganz besondere Art der Vererbung erfunden. (Bildquelle: © Volker Wissmann)