Zentromerforschung
Neue Erkenntnisse für das Chromosomen-Engineering
Das Zentromer, eine eher unscheinbare Region des Chromosoms, ist für die korrekte Verteilung genetischen Materials während der Zellteilung unverzichtbar. Wissenschaftler:innen des IPK Leibniz-Instituts für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) haben in einer neuen Studie enthüllt, wie zwei essentielle Proteine – KNL2 und CENP-C – gezielt an das Zentromer andocken. Die neuen Erkenntnisse könnten die Erzeugung doppelhaploider Linien und damit die Züchtung insgesamt beschleunigen.
Die Ergebnisse des IPK, die im renommierten Fachmagazin Nucleic Acids Research veröffentlicht wurden, werfen ein neues Licht auf die Architektur dieser molekularen Schaltzentrale und ebnen den Weg für innovative Anwendungen in der Biologie.
KNL2 und CENP-C spielen eine Schlüsselrolle, aber nicht alleine
Das Zentromer dient als Ankerpunkt für Spindelfasern, die während der Zellteilung Schwesterchromatiden auseinanderziehen. Dieser Prozess wird durch den sogenannten Kinetochor-Komplex gesteuert, der aus zahlreichen Proteinen besteht. Die Proteine KNL2 und CENP-C spielen hierbei eine Schlüsselrolle. Nach dem Prinzip von „Schlüssel und Schloss“ erkennen sie spezifische DNA-Abschnitte des Zentromers und binden daran. Doch bisher war unklar, welche weiteren Faktoren diese Präzision ermöglichen.
Die Forschung des IPK-Teams zeigt nun, dass bekannte Motive der beiden Proteine – die sogenannten CENPC-k- und CENPC-Motive – allein nicht ausreichen. Zusätzliche DNA-Bindungsregionen in direkter Nachbarschaft sind erforderlich, um die Bindung zu stabilisieren: „Diese Bindungsregionen sind essenziell für die Bindung an das Zentromer und damit für die Interaktion der Proteine mit der zentromeren DNA“, erklärt Dr. Inna Lermontova, Leiterin der Arbeitsgruppe „Kinetochor-Biologie“ am IPK.
Ein breites Methodenspektrum führte zum Ziel
Die Wissenschaftler:innen nutzten eine Kombination von Hightech-Methoden, auch sogenannte in silico-Methoden, um die Funktion der Proteine zu analysieren. Mittels Elektrophoretischer Mobilitäts-Shift-Assays (EMSA) wurde die Bindungsfähigkeit der Proteine an DNA nachgewiesen. Molekulare Docking-Analysen ermittelten die genauen Interaktionen zwischen den Proteinen und zentromerischer DNA. Fluoreszenzmikroskopie kam zum Einsatz, um die zelluläre Lokalisation von modifizierten Proteinvarianten in der Modellpflanze Arabidopsis thaliana zu visualisieren. Diese Ansätze wurden durch bioinformatische Werkzeuge wie AlphaFold und SWISS-MODEL ergänzt, um die Struktur der Proteine und deren DNA-Bindungsregionen vorherzusagen.
Modernes Chromosomen-Engineering
Die Erkenntnisse haben weitreichende Implikationen. Mithilfe der neu identifizierten DNA-Bindungsregionen könnten Proteine nun so modifiziert werden, dass sie gezielt an Zentromere gebracht werden. Dies bietet Potenzial für das Chromosomen-Engineering, etwa zur Veränderung der Chromatinstruktur oder zur Optimierung der Pflanzenzüchtung.
„Langfristig könnte dieser Ansatz die Pflanzenzüchtung voranbringen, indem die Erzeugung doppelhaploider Linien optimiert und der Züchtungsprozess beschleunigt werden,“ betont Lermontova. Dies wäre insbesondere vor dem Hintergrund globaler Herausforderungen wie dem Klimawandel ein entscheidender Fortschritt.
Konservierte DNA-Bindung
Die Studie zeigt zudem, dass die Mechanismen der DNA-Bindung in Pflanzen evolutionär hoch konserviert sind. Untersuchungen an verschiedenen Pflanzenarten, darunter die Modellpflanze Arabidopsis thaliana, verdeutlichen, dass sowohl KNL2 als auch CENP-C eine sequenzunabhängige Bindungsfähigkeit besitzen. Diese Flexibilität könnte erklären, warum Zentromere trotz variabler DNA-Sequenzen ihre Funktion über Artgrenzen hinweg beibehalten.
Wegweiser auch für andere Disziplinen
Der nächste Schritt besteht darin, die Mechanismen weiter zu entschlüsseln und ihre Anwendbarkeit in verschiedenen Organismen zu testen. So könnten die neuen Erkenntnisse nicht nur in der Pflanzenforschung, sondern vielleicht auch in der Medizin oder der synthetischen Biologie genutzt werden.
Quelle:
Yalagapati et al. (2024): Centromeric localization of KNL2 and CENP-C proteins in plants depends on their centromere-targeting domain and DNA-binding regions. Nucleic Acids Research. doi: 10.1093/nar/gkae1242
Zum Weiterlesen auf Pflanzenforschung.de:
- Knifflige Zellteilung - Gen für Kinetochor-Zusammenbau charakterisiert
- Mit einem Schlag reinerbig und genetisch stabil: die Doppelhaploiden-Technik
- Chromosome Drive hebelt Mendelsche Vererbung aus - Egoistische B-Chromosomen sichern eigenes Weiterleben
- Revolution in der Hybridzüchtung? - Mit neuer Technik enthalten Hybridpflanzen nun alle Gene von Vater und Mutter
Titelbild: Ertragreiche, widerstandsfähige Pflanzen sind das Ziel der Züchtung. Doch nicht immer gelingt es, verschiedene positive Eigenschaften gemeinsam zu vererben. Chromosomen-Umstrukturierung könnte dabei helfen. (Bildquelle: © iStock.com/Artur Plawgo)