Apikaldominanz
Apikaldominanz (von lateinisch apex „Spitze“ und dominare „beherrschen“) bezeichnet in der Pflanzenphysiologie das durch hormonelle Signalnetzwerke gesteuerte Phänomen, dass der terminale Spross‑Scheitel (die Hauptknospe) das Wachstum seitlicher Knospen hemmt und so eine bevorzugte Längenausdehnung der Hauptachse bewirkt. Diese Hierarchie zwischen apikaler Leitknospe und subapikalen Seitenknospen prägt maßgeblich die architektonische Grundform vieler Gefäßpflanzen – von einstämmigen Bäumen bis zu krautigen Gewächsen und Kletterpflanzen.
Im Zentrum der Regulation steht das Phytohormon Auxin, das im Meristem der Sprossspitze synthetisiert wird und über das Gefäßgewebe (insbesondere das Xylemparenchym) basipetal – also von der Spitze abwärts – transportiert wird. Eine hohe Auxinkonzentration im Strang unterdrückt dort die Expression knospeninduzierender Gene und blockiert so den Austrieb ruhender Seitenknospen. Gleichzeitig beeinflusst Auxin indirekt das Verhältnis zweier weiterer Botenstoffe: Zytokinine, die in den Wurzelspitzen gebildet und akropetal - also von der Wurzel nach oben - transportiert werden, fördern Knospenbruch, während Strigolactone, deren Biosynthese in sich rasch streckenden Internodien aktiviert wird, als negative Regulatoren wirken. Erst das Zusammenspiel aus starkem Auxinflus, niedrigem Zytokinin‑Level und lokal erhöhten Strigolactonen sichert eine effektive Apikaldominanz.
Die Intensität der Dominanz ist jedoch nicht statisch. Äußere Reize wie Lichtqualität (Rot‑/Hellrot‑Verhältnis), Schwerkraft oder mechanische Beschädigung der Spitze (etwa durch Wind, Fraß oder gezielten Schnitt) modifizieren das Hormongleichgewicht und können Seitenknospen zum Ausbrechen veranlassen. Auch ontogenetische Faktoren spielen eine Rolle: Mit zunehmendem Alter oder bei Übergang in reproduktive Entwicklungsphasen nimmt die Hierarchiestärke oft ab, sodass eine stärkere Verzweigung entsteht.
Aus ökologischer Sicht ermöglicht Apikaldominanz eine rasche vertikale Ressourcenerschließung – vor allem in Bezug auf Licht – und verschafft den dominanten Individuen einen Konkurrenzvorteil im Bestand. Im Garten‑ und Obstbau wird das Phänomen gezielt durch Kappen (Pinzieren), Rückschnitt oder chemische Auxin‑Antagonisten manipuliert, um Kronenaufbau, Ertragsverteilung oder Blüteninduktion zu steuern. In der Forstwirtschaft bestimmt die Ausprägung der Apikaldominanz maßgeblich die Stammform und damit den Holz‑Ertragswert verschiedener Baumarten.
Historisch wurde das Konzept Ende des 19. Jahrhunderts von Charles Darwin und Francis Darwin in ihren Experimenten zur Licht- und Schwerkraftwahrnehmung erstmals systematisch beschrieben. Die Entdeckung des Auxins durch Frits Went in den 1920er‑Jahren lieferte das mechanistische Fundament, das später durch molekulargenetische Arbeiten – u. a. zur PIN‑Transporter‑Familie und zu Syntheseenzymen der Strigolactone – weiter ausdifferenziert wurde. Aktuelle Forschung untersucht vor allem die Feinabstimmung der Hormon-Transkriptionsnetzwerke, die Rolle von nicht‑kodierenden RNAs sowie die genetische Diversität der Apikaldominanz in Nutz- und Wildpflanzenpopulationen.
Damit ist Apikaldominanz ein zentrales Organisationsprinzip der Pflanzengestalt, das über ein vielschichtiges hormonelles Geflecht gesteuert wird und in Ökologie, Landwirtschaft und Forstpraxis gleichermaßen von grundlegender Bedeutung ist.