Phylogenetische Diversität
Phylogenetische Diversität beschreibt die Vielfalt biologischer Arten unter Berücksichtigung ihrer evolutionären Verwandtschaftsverhältnisse. Im Gegensatz zur reinen Artenanzahl (taxonomische Diversität) misst phylogenetische Diversität, wie unterschiedlich die Arten eines Lebensraums hinsichtlich ihrer Abstammungsgeschichte sind. Sie liefert damit ein Maß dafür, wie breit das evolutionäre Spektrum einer Artengemeinschaft gefächert ist.
Das Konzept beruht auf der Idee, dass Arten, die weit auseinanderliegende Zweige im Stammbaum des Lebens besetzen, einen höheren Beitrag zur Gesamtvielfalt leisten als eng verwandte Arten. So erhöhen beispielsweise Vertreter verschiedener Insektenordnungen (z. B. Käfer und Libellen) die phylogenetische Diversität stärker als zahlreiche Arten innerhalb einer einzigen Familie.
Berechnet wird phylogenetische Diversität in der Regel mithilfe von Stammbaumbäumen (Phylogenien), die die evolutionären Beziehungen zwischen Arten grafisch darstellen. Ein gebräuchliches Maß ist etwa die Gesamtlänge der Äste, die alle betrachteten Arten miteinander verbinden („Faith’s Phylogenetic Diversity“). Weitere Indizes berücksichtigen zusätzlich Häufigkeiten, funktionale Eigenschaften oder die Gleichverteilung der Abstammungslinien.
Phylogenetische Diversität gilt als besonders wichtig für das Verständnis von Ökosystemfunktionen. Arten, die evolutionär weit entfernt voneinander sind, unterscheiden sich oft auch in ihren ökologischen Rollen, Lebensweisen oder physiologischen Eigenschaften. Dadurch erhöht eine hohe phylogenetische Diversität die funktionelle Vielfalt eines Ökosystems, was wiederum dessen Stabilität, Resilienz und Anpassungsfähigkeit gegenüber Umweltveränderungen stärkt.
Im Naturschutz spielt phylogenetische Diversität eine zunehmend wichtige Rolle. Sie erlaubt eine differenziertere Priorisierung von Schutzmaßnahmen, da der Erhalt entwicklungsgeschichtlich einzigartiger Linien als besonders wertvoll angesehen wird. So kann der Verlust phylogenetisch isolierter Arten schwerwiegendere Folgen für die Biodiversität und die Funktion von Ökosystemen haben als der Verlust mehrerer nah verwandter Arten.
Dank moderner molekularbiologischer Methoden, wie DNA-Barcoding oder Metabarcoding, lassen sich heute auch große Insektengemeinschaften oder Mikroorganismen phylogenetisch analysieren. Dies eröffnet neue Möglichkeiten, um Biodiversität nicht nur nach Anzahl, sondern auch nach evolutionärer Tiefe zu bewerten.