Vor-Domestikation
Vor-Domestikation bezeichnet die Übergangsphase zwischen Wildpflanzennutzung und gezielter Landwirtschaft, in der Menschen bestimmte Pflanzen bereits sammelten, pflegten und ausbreiteten – lange bevor sie durch Selektion zu echten Kulturpflanzen wurden.
Die Vor-Domestikation begann in vielen Regionen der Erde schon tausende Jahre vor der neolithischen Revolution, also bevor der Ackerbau fest etabliert war. Menschen sammelten und vermehrten bevorzugt Pflanzen mit günstigen Eigenschaften – etwa größere Samen, gleichmäßige Reifung oder eine geringere Bruchneigung der Ähren. Durch diese wiederholte Nutzung und das unbeabsichtigte Aussäen von Samen an Siedlungsorten entstand ein allmählicher Selektionsprozess, der über viele Generationen hinweg zur genetischen Veränderung der Wildarten führte.
Diese frühe Form des menschlichen Einflusses gilt als der Beginn der Ko-Evolution zwischen Mensch und Pflanze. Viele charakteristische Merkmale heutiger Kulturpflanzen entstanden bereits in dieser Phase, etwa die nicht brüchige Ähre bei Gerste oder die größeren Körner bei frühen Weizenarten. Genetische und archäobotanische Befunde – wie sie beispielsweise in der Gerstenforschung des IPK Gatersleben nachgewiesen wurden – zeigen, dass solche Veränderungen bereits 10.000 bis 20.000 Jahre vor den ältesten Ackerfunden einsetzten.
Die Vor-Domestikation ist daher ein zentrales Konzept der modernen Domestikationsforschung: Sie beschreibt nicht nur den Ursprung des Pflanzenanbaus, sondern auch die frühen kulturellen und ökologischen Wechselwirkungen, die zur Entstehung der Landwirtschaft führten. Das Verständnis dieser Prozesse hilft Forschenden heute, genetische Anpassungen und Verlust genetischer Vielfalt nachzuvollziehen – ein Wissen, das auch für die Züchtung klimaangepasster Sorten wieder an Bedeutung gewinnt.