Für den besseren Durchblick

Neuer Biosensor für live-Beobachtung von pflanzlichen Stoffwechseländerungen

04.09.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Wie wirken sich Umweltveränderungen wie Dürre auf den Stoffwechsel in Pflanzen aus? Die Studie ging dieser Frage nach. (Bildquelle: © el2ror / Fotolia.com)

Wie wirken sich Umweltveränderungen wie Dürre auf den Stoffwechsel in Pflanzen aus? Die Studie ging dieser Frage nach. (Bildquelle: © el2ror / Fotolia.com)

Die Umwelt von Pflanzen beeinflusst ihren Stoffwechsel und damit ihr Wachstum und ihre Gesundheit. Wissenschaftler der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und der Universität Bonn (RWU) haben nun einen Weg gefunden, der es erstmals ermöglicht, diese Auswirkungen live in Pflanzen zu beobachten. Ein Durchbruch, der sowohl in der Forschung als auch in der Landwirtschaft für Freude sorgen dürfte.

Neues Verfahren macht Stoffwechselprozesse sichtbar

Bisher konnten Stoffwechselprozesse in Pflanzen lediglich in Pflanzenextrakten biochemisch analysiert werden. Der Haken dabei: Gewebe und Zellen der Pflanze müssen bei der Gewinnung solcher Extrakte zerstört werden. Dies hat zur Folge, dass nicht mehr exakt bestimmt werden kann, an welcher Stelle genau ein Prozess stattgefunden hat. Zudem kommt es von der Entnahme bis zur Untersuchung zu einer zeitlichen Verzögerung, die die Ergebnisse verfälschen kann.

Abhilfe kommt von einem Forscherteam der Universitäten Münster und Bonn: Sie haben ein neues Verfahren der „in-vivo-Biosensorik“ entwickelt. Damit ist es den WissenschaftlerInnen gelungen, Veränderungen im Stoffwechsel der Modellpflanze Arabidopsis thaliana direkt und in Echtzeit zu verfolgen.

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Junger Keimling der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) der in seinen Zellen den fluoreszenten Biosensor trägt.

Junger Keimling der Ackerschmalwand (Arabidopsis thaliana) der in seinen Zellen den fluoreszenten Biosensor trägt.

Bildquelle: © Plant Energy Biology Lab/Janina Steinbeck

Was steckt hinter der in-vivo-Biosensorik?

Die Erstautorin der DFG geförderten Studie, Dr. Janina Steinbeck, erklärt: „Da Pflanzen äußerlich sehr statisch wirken, müssen sie innerhalb ihrer Zellen Meister der Flexibilität und Anpassung sein – und zwar blitzschnell. Diese Dynamik können wir nun live in der lebenden Pflanze beobachten“. Damit dies gelingen konnte, bauten die Experten einen genetisch-codierten Sensor in die Pflanze ein.

Die Neuentwicklung besteht aus zwei Proteinen: eines, das als Erkennungselement NAD⁺ bzw. NADH-Molekülen binden kann und eines, das als Ausleseelement diese Bindung in Lichtsignale übersetzt. Dabei handelt es sich um ein blaugrün und ein rot fluoreszierenden Protein, die je nach NAD-Status in der Zelle ihre Lichtemission ändern.  Da bei der Elektronenübertragung im Stoffwechsel fast aller Lebewesen das NAD-Redox-System zum Zuge kommt, können nun so Stoffwechseländerungen innerhalb einer Zelle mit einem konfokalen Laser-Scanning-Mikroskop beobachtet werden.

Eine Methode, viele Vorteile

„Für uns ist dieses neue Verfahren eine methodische Errungenschaft, denn wir erhalten erstmals ein direktes Verständnis von Stoffwechselprozessen exakt dort, wo sie in der Zelle passieren“, meint Markus Schwarzländer, Leiter der Arbeitsgruppe Plant Energy Biology der WWU. Schwarzländer stellt sich vor, dass mithilfe spezieller Kamerasysteme die Stoffwechseldynamik von Pflanzen in Gewächshäusern so kontinuierlich überwacht werden könne. Stellt man fest, dass die Pflanzen gestresst sind, kann man dann durch Veränderungen der Wachstumsbedingungen schnell gegensteuern.

Frühwarnsysteme für die Landwirtschaft

Aber auch Landwirte könnten von der in-vivo-Biosensorik profitieren. „Veränderungen des Stoffwechsels von Pflanzen finden bei ungünstigen Umweltbedingungen oder Erkrankungen bereits sehr früh statt – lange bevor sie sich in sichtbaren Symptomen oder gar Ernteeinbußen niederschlagen. Allerdings finden sie normalerweise im Verborgenen statt. Durch das Sensorsystem werden Veränderungen in dem zentralen Stoffwechselbaustein und Signalstoff NAD in der lebenden Pflanze sichtbar“, erläutert Schwarzländer.

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Aber auch die Landwirtschaft könnten von der in-vivo-Biosensorik profitieren: Landwirte könnten frühzeitig und sehr gezielt reagieren, noch lange bevor sich Umwelteffekte negativ auf die Pflanze auswirkt.

Aber auch die Landwirtschaft könnten von der in-vivo-Biosensorik profitieren: Landwirte könnten frühzeitig und sehr gezielt reagieren, noch lange bevor sich Umwelteffekte negativ auf die Pflanze auswirkt.

Bildquelle: © Gerhard G. / Pixabay / CC0

„Dies ließe sich in der Landwirtschaft als exzellentes Frühwarnsystem nutzen. Die gewonnene Zeit ist dabei kritisch, denn so könnte der Landwirt frühzeitig und sehr gezielt reagieren, noch lange bevor sich Umwelteffekte negativ auf die Pflanze auswirken.“ Energieintensive Ressourcen wie Dünge- oder Pflanzenschutzmittel ließen sich damit zum Beispiel einsparen.

In-vivo Biosensorik zur Beschleunigung der Pflanzenzüchtung

Informationen, die durch das neue Verfahren gewonnen werden, könnten außerdem zukünftig eine Schlüsselrolle in der Züchtung von Kulturpflanzen spielen. Schwarzländer erläutert: „Biosensorik lässt sich nutzen, um den Stoffwechsel und dessen Stabilität in neuen Sorten zu beobachten und damit Stressanfälligkeit später im Feld besser vorherzusagen. Da die Entwicklung und Testung neuer Sorten durch klassische Züchtung sehr zeitaufwendig ist, könnten frühzeitige Abschätzungen wertvolle Zeit sparen.“ Schwarzländer ist sich sicher, dass mit diesem Diagnosesystem der Züchtungsprozess beschleunigt werden könne – und das sei auch notwendig, da die Umwelt- und Klimabilanz der Landwirtschaft schnellstmöglich verbessert werden müsse.


Quelle:
Steinbeck, J. et al. (2020): In Vivo NADH/NAD+ Biosensing Reveals the Dynamics of Cytosolic Redox Metabolism in Plants. In: Plant Cell, (12. August 2020), doi: 10.1105/tpc.20.00241.

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Titelbild: Wie wirken sich Umweltveränderungen wie Dürre auf den Stoffwechsel in Pflanzen aus? Die Studie ging dieser Frage nach. (Bildquelle: © el2ror / Fotolia.com)