Quo vadis, Hungerbekämpfung?

Strategien für eine höhere, nahrhaftere und umweltgerechtere Lebensmittelversorgung

02.11.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Im Kampf gegen den weltweiten Hunger gibt es noch viel zu tun. ForscherInnen weltweit arbeiten an nachhaltigen Lösungen. (Bildquelle: © iStock.com/Bartosz Hadyniak)

Im Kampf gegen den weltweiten Hunger gibt es noch viel zu tun. ForscherInnen weltweit arbeiten an nachhaltigen Lösungen. (Bildquelle: © iStock.com/Bartosz Hadyniak)

Den Hunger beenden, Ernährungssicherheit und eine bessere Ernährung gewährleisten, eine nachhaltige Landwirtschaft fördern – so lautet das zweite Ziel für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Doch kann es gelingen, gleichzeitig mehr und nachhaltiger zu produzieren? Einige WissenschaftlerInnen meinen ja. Auch gentechnische Ansätze könnten dazu beitragen.

Der Hunger in der Welt nimmt stetig zu. Schätzungsweise 690 Millionen Menschen weltweit sind zurzeit von Unterernährung betroffen. Noch mehr leiden an einem Mangel an Mikronährstoffen – aktuellen Schätzungen nach sind davon rund zwei Milliarden Menschen betroffen. Die Klimakrise stellt zusätzlich eine wachsende Bedrohung für die Ernährungssysteme dar. Nicht erst durch die Agenda 2030 wird deutlich: Es ist Zeit zu handeln. Doch welche Optionen haben wir, um für die Menschheit eine erschwingliche und gesunde Ernährung aus gleichzeitig nachhaltiger Produktion sicherzustellen?

Ceres2030 gibt konkrete Handlungsvorschläge

Antworten auf das globale Hungerproblem sollen aus der Forschung kommen. Dazu wurde 2018 das internationale Projekt „Ceres2030: Sustainable Solutions to End Hunger“ ins Leben gerufen. WissenschaftlerInnen der Cornell-Universität, des Internationalen Instituts für Nachhaltige Entwicklung (IISD) und des Internationalen Forschungsinstituts für Ernährungspolitik (IFPRI) haben unter Einsatz der neuesten KI-Technologie die wirksamsten Aktionen zur weltweiten und dauerhaften Beseitigung des Hungers bis 2030 untersucht.

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Reisanbau in Indonesien: Arme Menschen ernähren sich oft vorwiegend von Grundnahrungsmitteln.

Reisanbau in Indonesien: Arme Menschen ernähren sich oft vorwiegend von Grundnahrungsmitteln.

Bildquelle: © Matin Qaim

Sie machen klar, dass vor allem ein Umdenken bei den Entscheidungsträgern der Regierungen notwendig ist, um die landwirtschaftliche Entwicklung in jedem Land zu einer Priorität zu machen und Investitionen in den Nahrungsmittel- und Agrarsektor nachhaltig zu tätigen. Die Studien des Projekts liefern gleichzeitig neue Erkenntnisse und geben konkrete Hinweise für nachhaltige und wirksame Veränderungen.

„Zero Hunger“ und „Blind Spots“

Drei ForscherInnen des Projekts widmeten sich in ihrer neusten Studie den „blind spots“ der Hungerthematik. Damit gemeint sind wichtige Aspekte und Faktenverknüpfungen, die zur Lösungsfindung des Hungerproblems bisher übersehen wurden oder wenig Beachtung gefunden haben. Die WissenschaftlerInnen untersuchten dazu vor allem wichtige Zusammenhänge zwischen den fünf Teilzielen des zweiten UN-Ziels für nachhaltige Entwicklung (SDG2):

  • Bekämpfung von Hunger generell (SDG2.1),
  • Behebung des Mikronährstoffmangels (SDG2.),
  • Verdopplung der Produktivität kleiner landwirtschaftlicher Betriebe (SDG2.3),
  • Etablierung einer umweltfreundlichen und nachhaltigen Nahrungsmittelproduktion (SDG2.4) und
  • Schutz der genetischen Vielfalt unserer Kulturpflanzen (SDG2.5).

Höhere Erträge und nachhaltiges Wirtschaften sind kein Widerspruch

So identifizierten die ForscherInnen bedeutende Wechselwirkungen zwischen dem angestrebten Produktivitätswachstum und der Erreichung umweltfreundlicher Produktionssysteme: Eine hohe Biodiversität nimmt laut Analysen einen überraschend positiven Einfluss auf die Produktivität und die Ökosystemstabilität. So garantiert die Diversität an Sorten einerseits stabilere Erträge über die Jahre hinweg und erhöht andererseits die Resilienz von Ökosystemen. Letzteres zeigt sich darin, dass die Pflanzen weniger anfällig für Krankheiten und Schädlinge sind und die Invasion fremder, konkurrierender Arten eher verhindert wird. Auch die Effektivität kleinerer landwirtschaftlicher Betriebe kann sich dadurch verbessern.

„Hidden hunger“: Mehr Essen heißt nicht automatisch bessere Ernährung

Die ForscherInnen demonstrieren aber auch, dass Produktivitäts- und Einkommenssteigerung alleine nicht immer zur Überwindung von Hunger und Unterernährung beitragen. Höhere Produktion und niedrigere Preise führen zwar generell zu höherer Kalorienaufnahme und Bekämpfung von Armut, allerdings meist nicht zu einer ausreichenden Mikronährstoffversorgung. Solch ein Mangel wird auch als „hidden hunger“ bezeichnet und führt oft zu schwerwiegenden Gesundheitsproblemen wie Immunschwäche.

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Maiszubereitung im ländlichen Malawi: Grundnahrungsmittel enthalten häufig nur wenig Mikronährstoffe.

Maiszubereitung im ländlichen Malawi: Grundnahrungsmittel enthalten häufig nur wenig Mikronährstoffe.

Bildquelle: © S. Koppmair

Gleichzeitig steigt in Ländern mit niedrigem und mittlerem Einkommen die Fettleibigkeit bei Kindern um ein Drittel schneller als in reicheren Ländern. Diese Doppelbelastung durch Mangelernährung und Übergewicht entwickelt sich vor allem an Orten, wo ein wachsendes Angebot hochprozessierter und billiger Nahrungsmittel eine Abnahme der abwechslungsreichen Ernährung mit sich bringt.

Biofortifikation als Teil der Lösung

Um den „hidden hunger“ abzumildern, empfehlen die ForscherInnen die „Biofortifikation“, also die gezielte Züchtung von Kulturpflanzen mit höherem Mikronährstoffgehalt. Internationale Agrarforschungszentren entwickeln solche Pflanzen schon seit zwei Jahrzehnten mit konventionellen Züchtungsmethoden, unter anderem Mais und Süßkartoffeln mit mehr Vitamin A oder Reis mit höherem Zinkgehalt. In zahlreichen Entwicklungsländern werden sie mittlerweile angebaut und sorgen für eine nachweislich bessere Ernährung und Gesundheit.

Nutzung von gentechnischen Ansätzen hilfreich

Ein Forscherteam der Universität Gent hat zur gleichen Thematik jüngst veröffentlicht. Erstautorin Prof. Dr. Van der Straeten stellt heraus, dass die Beschränkung auf konventionelle Züchtungsmethoden die Möglichkeiten der Biofortifikation stark limitieren: „Mit gentechnischen Ansätzen können deutlich höhere Mikronährstoffgehalte in den Pflanzen erreicht werden als mit konventionellen Züchtungsmethoden. Wir haben dies bereits für Folsäure in Reis und Kartoffeln gezeigt. Außerdem ist es uns gelungen, die Vitaminverluste nach der Ernte erheblich zu senken.“ Die Erhöhung von gleich mehreren Mikronährstoffen hält auch Co-Autor Dr. Bouis vom International Food Policy Research Institute im Kampf gegen den „hidden hunger“ für entscheidend: „Das ist wichtig, weil arme Menschen häufig unter verschiedenen Nährstoffdefiziten gleichzeitig leiden.“

Widerstandfähigkeit von Sorten muss erhöht werden

Mithilfe von Gentechnik bzw. neuen Züchtungsmethoden wie Genomeditierung könnten jedoch nicht nur die Mikronährstoffgehalte optimiert werden. Auch Anbaueigenschaften wie Dürre- oder Schädlingstoleranz, die vor dem Hintergrund des Klimawandels immer wichtiger werden, müssten bei der Züchtung ebenso berücksichtigt werden. Widerstandsfähigere Sorten sehen auch die Ceres2030-ForscherInnen als wichtige Komponente im Kampf gegen den Hunger. Co-Autor der Mikronährstoffstudie Prof. Dr. Matin Qaim von der Universität Göttingen betont: „Bauern sollten sich nicht entscheiden müssen, ob sie Sorten anbauen, die entweder nährstoffreich sind oder stabile Erträge liefern.“


Quellen:

  • Lipper, L. et al. (2020). Shedding light on the evidence blind spots confounding the multiple objectives of SDG 2. In: Nature Plants 6, 1203, (12. Oktober 2020), doi: 10.1038/s41477-020-00792-y.
  • Van Der Straeten, D. et al. (2020). Multiplying the efficiency and impact of biofortification through metabolic engineering. In: Nature Communications 11, 5203, (15. Oktober 2020), doi: 10.1038/s41467-020-19020-4.

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Titelbild: Im Kampf gegen den weltweiten Hunger gibt es noch viel zu tun. ForscherInnen weltweit arbeiten an nachhaltigen Lösungen. (Bildquelle: © iStock.com/Bartosz Hadyniak)