Aus den Fugen geraten

Das Insektensterben verändert auch die Pflanzenwelt

06.11.2020 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

In einer neuen Studie befassen sich WissenschaftlerInnen mit den Auswirkungen des Insektensterbens auf die Pflanzenwelt. (Bildquelle: © Ralf Kunze / Pixabay / CC0)

In einer neuen Studie befassen sich WissenschaftlerInnen mit den Auswirkungen des Insektensterbens auf die Pflanzenwelt. (Bildquelle: © Ralf Kunze / Pixabay / CC0)

Die Simulation eines Ökosystems mit weniger Insekten und anderen wirbellosen Tieren zeigt: Das Spektrum der Pflanzenarten und die Blütezeiten ändern sich, weil das feine Gefüge durcheinander gerät.

Intensivierung in Land- und Forstwirtschaft sowie der Klimawandel führen zu einem starken Rückgang von Insekten und anderen Wirbellosen. Welche Folgen das für die Ökosystem-Dienstleistungen hat, lässt sich bisher nur schwer abschätzen. In einer neuen Studie befassen sich daher WissenschaftlerInnen verschiedener Institute in Jena und Leipzig(1) mit den Auswirkungen des Insektensterbens auf die Pflanzenwelt. Eine zweite Studie untersuchte, wie stark eine intensive Landnutzung das Zusammenspiel zwischen Biodiversität und Ökosystem-Dienstleistungen beeinflusst.

Balance der Ökosysteme

Ökosysteme bestehen aus einem fein aufeinander abgestimmten Netzwerk zwischen den in ihnen vorkommenden Arten und ihrer Umgebung. Jede Veränderung, sei es durch Nutzungsintensivierung oder durch den Klimawandel, beeinflusst dieses Gefüge. Bis zu einem gewissen Punkt kann sich das System noch anpassen, aber dann gerät es außer Balance. Die Frage ist: Wann ist es soweit und können wir das rechtzeitig erkennen, um gegenzusteuern?

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Hier sieht man die für die Experimente genutzten EcoUnits im Forschungszentrum des Deutschen Zentrums für Integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig (iDiv).

Hier sieht man die für die Experimente genutzten EcoUnits im Forschungszentrum des Deutschen Zentrums für Integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig (iDiv).

Bildquelle: © iDiv

In der ersten Studie wurden daher die Auswirkungen des Artenrückgangs auf eine Pflanzengemeinschaft untersucht. Das Forscherteam säte Mischungen von zwölf verschiedenen Pflanzenarten (drei Gräser und neun Kräuter aus dem Verband Arrhenatherion elatioris) in 24 Kammern, sogenannten EcoUnits, aus. Zur Simulation der natürlichen Fauna wurden fünf Wochen nach der Aussaat lebende Invertebraten (Wirbellose wie Insekten und Spinnentiere) in Glatthaferwiesen der Umgebung gefangen und in den Units eingesetzt.

Die Anzahl der Tiere variierten die WissenschaftlerInnen: In einem Teil der EcoUnits entsprach die Zahl der Tiere der unter natürlichen Bedingungen (100-Prozent-Szenario), in anderen reduzierten sie die Zahl auf 25 oder gar 0 Prozent (25-Prozent- bzw. 0-Prozent-Szenario). Dann erfasste das Team jede Woche das Vorkommen und die Zahl der verschiedenen Tierarten sowie Veränderungen an den Pflanzen (Blütezeit und -dauer, Fraßschäden).

Fressen und gefressen werden

Es zeigte sich, dass beim 25-Prozent-Szenario die Anzahl der Gräser deutlich abnahm. Die Forscher vermuten, dass bei geringerer Zahl von Räubern die verbliebenen herbivoren Tiere wie Heuschrecken vor allem Gräser als Futterpflanze nutzen. Nimmt die Zahl der Räuber zu, wechseln sie vermehrt zu Kräutern. Entsprechend stärker dezimiert war der Wiesenklee im 100-Prozent-Szenario. Eine Verschiebung in der Artenverteilung bei Pflanzen hängt daher möglicherweise nicht nur vom allgemeinen Rückgang der begleitenden Tierarten ab, sondern auch von den komplexen Interaktionen zwischen Räubern und ihren Beutetieren, also von Verschiebungen zwischen den einzelnen Trophieebenen.

Verschiebungen der Blühzeitpunkte

Auch bei den Blütezeiten gab es leichte Unterschiede. Die Forscher konnten beobachten, dass die Pflanzen im 25-Prozent- und 0-Prozent-Szenario im nahezu gleichen Zeitraum blühten, während beim 100-Prozent-Szenario die Blütezeiten etwas verteilter waren. Dies erklärten die ForscherInnen mit der Fähigkeit einiger Pflanzenarten, auf die Geräusche von Bestäubern reagieren und ihre Blütezeiten entsprechend individuell anpassen zu können.

Intensivierung und Ökosystem-Dienstleistungen

In einer zweiten Studie untersuchten verschiedene Arbeitsgruppen(2), wie weit Grasland- und Wald-Ökosysteme eine Intensivierung verkraften, bevor ihre Ökosystem-Dienstleistungen geringer werden.

Dazu untersuchten sie 300 Parzellen in drei verschiedenen Regionen in Deutschland über den Zeitraum von 2008 bis 2015. Die Parzellen wurden entlang eines Landnutzungsgradienten angelegt. Erfasst wurden die Biodiversität, die Landnutzungsintensität sowie die Ökosystem-Dienstleistungen (zum Beispiel die Biomasseproduktion).

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Extensiv bewirtschaftetes Grünland, hier im Hainich, erhält starke Synergien zwischen spezialisierten Arten und Funktionen aufrecht und bietet eine größere Palette an Ökosystemleistungen als Grünland mit hoher Intensität.

Extensiv bewirtschaftetes Grünland, hier im Hainich, erhält starke Synergien zwischen spezialisierten Arten und Funktionen aufrecht und bietet eine größere Palette an Ökosystemleistungen als Grünland mit hoher Intensität.

Bildquelle: © Michael Bonkowski

Die Ergebnisse zeigen, dass ein niedriger Intensivierungsgrad vielfältige Ökosystem-Dienstleistungen bereitstellt, die allerdings je nach Standort variieren können. Gleichzeitig wird die Biodiversität weitgehend erhalten. Je höher der Intensivierungsgrad ansteigt, desto homogener werden die Ökosystem-Dienstleistungen durch den Artenschwund. Bei hoher Intensivierung beschränken sich die Dienstleistungen hauptsächlich auf die vom Menschen geförderten Leistungen wie Lebensmittel- und Holzgewinnung, während andere Leistungen wie Bestäubung und Bereitstellung von sauberem Wasser immer mehr abnehmen.

Das Ziel sollte eine Balance zwischen Artenschutz und land- und forstwirtschaftlicher Produktion sein, um die Funktionalität von Ökosystemen zu erhalten, fordert das Forschungsteam. Eine multifunktionale Landschaft mit verschieden hohen Nutzungsintensitäten könnte eine gesicherte Holz- und Lebensmittelproduktion bei gleichzeitigem Erhalt der Biodiversität ermöglichen.

Ohne Biodiversität geht es nicht

Dass eine Intensivierung der Land- und Forstwirtschaft den Artenrückgang beschleunigt, ist bekannt. Worin die Auswirkungen abnehmender Biodiversität bestehen könnten, zeigen die beobachteten Veränderungen in Grasland-Ökosystemen: Eine möglicherweise beeinträchtigte Bestäubung durch veränderte Blütezeiten sowie ein weiterer Verlust von wichtigen Tier- und Pflanzenarten. Um Ökosysteme zu erhalten, müssen sie gut überwacht werden. Entscheidend ist ein effizientes Monitoring, um negative Veränderungen in Ökosysteme zu erfassen und rechtzeitig gegensteuern zu können.

(1) Institut für Ökologie und Evolution der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, Deutsches Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig (iDiv), Institut für Biologie der Universität Leipzig, Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena

(2) Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Leipzig, Deutschen Zentrum für Integrative Biodiversitätsforschung in Leipzig (iDiv) sowie weiterer Forschungseinrichtungen aus den In- und Ausland


Quellen:

  • Ulrich, J. et al. (2020): Invertebrate Decline Leads to Shifts in Plant Species Abundance and Phenology. In: Frontiers in Plant Science, Vol 11, (17. September 2020), doi: 10.3389/fpls.2020.542125.
  • Felipe-Lucia, M.R. et al. (2020): Land-use intensity alters networks between biodiversity, ecosystem functions, and services. In: Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS), (22. Oktober 2020), doi: 10.1073/pnas.2016210117.

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Titelbild: In einer neuen Studie befassen sich WissenschaftlerInnen mit den Auswirkungen des Insektensterbens auf die Pflanzenwelt. (Bildquelle: © Ralf Kunze / Pixabay / CC0)