Kartierung von Zellformen

Der „Sichtbarkeitsgraph“ misst präzise unregelmäßige Zellformen

02.02.2021 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Pflanzenzellen im Detail, hier von der Lebermoos-Art Bazzania flaccida. (Bildquelle: © HermannSchachner / wikimedia.org / CC0)

Pflanzenzellen im Detail, hier von der Lebermoos-Art Bazzania flaccida. (Bildquelle: © HermannSchachner / wikimedia.org / CC0)

Dreieck, Kreis, Quadrat – diese Formen kann jedes Kind benennen. Weitaus schwieriger ist es, die hochkomplexen Formen von Pflanzenzellen genau zu charakterisieren. Wissenschaftler haben jetzt eine neue Methode vorgestellt, solche Formen akkurat zu beschreiben. Sie könnte unter anderem dabei helfen, ein besseres Verständnis davon zu bekommen, welche genetischen Programme die Ausbildung von Zellformen kontrollieren.

Wenn man ein Blatt unter dem Mikroskop betrachtet, sieht man viele ungleichmäßig geformte Zellen mit zahlreichen Ausstülpungen und Einbuchtungen. Diese sogenannten Pflasterzellen bilden die äußerste Schicht der Epidermis. Sie dienten der Gruppe von Prof. Zoran Nikoloski vom Max-Planck-Institut für Molekulare Pflanzenphysiologie in Potsdam als Versuchsobjekt, um einen neuartigen Ansatz zur automatischen Beschreibung von Zellformen zu entwickeln.

Der Ansatz basiert auf einem sogenannten Sichtbarkeitsgraph, besser bekannt unter dem englischen Fachbegriff visibility graph. Dieser wird wie folgt erstellt: Zuerst wird eine Kontur um die zu analysierende Form gezogen. Auf dieser Kontur werden dann in gleichmäßigen Abständen Knoten angeordnet. Jeden Knoten kann man sich wie eine Person vorstellen, die mit dem Rücken vor einer Mauer steht. Zwei Knoten werden dann miteinander verbunden, wenn sie sich gegenseitig „sehen können“, wenn also keine Kontur (Mauer) ihnen im Weg steht. Die Verbindung zwischen allen Knotenpaaren liefert den Sichtbarkeitsgraphen.

#####1#####
Darstellung von Sichtbarkeitsgraphen für verschiedene Blütenformen. Auf der Kontur (grün) sind Knoten in gleichmäßigen Abständen angeordnet, die über Kanten miteinander verbunden sind, wenn diese nicht die Kontur berühren oder schneiden. Durch den Zoom wird eine Blütenform detaillierter sichtbar.

Darstellung von Sichtbarkeitsgraphen für verschiedene Blütenformen. Auf der Kontur (grün) sind Knoten in gleichmäßigen Abständen angeordnet, die über Kanten miteinander verbunden sind, wenn diese nicht die Kontur berühren oder schneiden. Durch den Zoom wird eine Blütenform detaillierter sichtbar.

Bildquelle: © MPI-MP, Jacqueline Nowak

Die Abbildung verdeutlicht das Prinzip angewendet auf Blütenformen.

Keine Zelle gleicht der anderen

In dieser Studie verwendete Jacqueline Nowak die Sichtbarkeitsgraphen und ein mathematisches Tool namens GraVis, um verschiedene Formen miteinander zu vergleichen. Angefangen bei einfachen geometrischen Formen wie Kreisen, Dreiecken und Vierecken über Sandkörner, Fischformen und Blattformen konnte der Sichtbarkeitsgraph gegenüber anderen mathematischen Ansätzen überzeugen.

Schließlich testeten sie den Ansatz auch bei Pflasterzellen aus der pflanzlichen Epidermis. Auch hier konnte GraVis bestimmte Formparameter wie die Länge der Ausstülpungen, Breite der Einstülpungen oder die Gesamtzellfläche genau vermessen. „Die Quantifizierung von Ausstülpungen der epidermalen Zellen mit GraVis übertrifft bestehende Werkzeuge und zeigt, dass es leistungsfähig genug ist, um bestimmte Fragen der Formanalyse zu adressieren“, sagt Prof. Zoran Nikoloski, GraVis-Projektleiter, Leiter der Forschungsgruppe „Systembiologie und Mathematische Modellierung“ am MPI-MP und Professor für Bioinformatik an der Universität Potsdam.

Verstehen, wie Formen entstehen

In Zukunft wollen die Wissenschaftler Sichtbarkeitsgraphen von Epidermiszellen und ganzen Blättern nutzen, um Erkenntnisse über wichtige gestaltgebende zelluläre Prozesse zu gewinnen. Darüber hinaus könnte der Ansatz dabei helfen, die genetischen Grundlagen der Morphogenese zu ergründen und ein tieferes Verständnis der Wechselbeziehung zwischen Zellen und Organformen zu erhalten. Mit diesem Wissen könnte dann eines Tages auch die Morphologie von Kulturpflanzen gezielter optimiert werden.


Quelle:
Nowak, J.  et al. (2021): A network-based framework for shape analysis enables accurate characterization of leaf epidermal cells. In: Nature Communications 12, (19. Januar 2021), doi: 10.1038/s41467-020-20730-y.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Pflanzenzellen im Detail, hier von der Lebermoos-Art Bazzania flaccida. (Bildquelle: © HermannSchachner / wikimedia.org / CC0)