Überleben im Eis

Die Struktur der Blattoberfläche beeinflusst die Frostresistenz von Pflanzen

09.02.2023 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Der Antarktische Perlwurz „kuschelt“ sich an eine Matte aus Antarktischer Schmiele. (Bildquelle © Sharon Chester / Wikimedia, C-BY-SA-3.0)

Der Antarktische Perlwurz „kuschelt“ sich an eine Matte aus Antarktischer Schmiele. (Bildquelle © Sharon Chester / Wikimedia, C-BY-SA-3.0)

Wie schaffen manche Blütenpflanzen es, harte Winter gut zu überstehen oder sogar in Polarregionen zu gedeihen? Eine moderne Mikroskopiemethode hat einen bislang kaum beachteten Faktor identifiziert.

Wer an die Antarktis denkt, hat vermutlich endloses Weiß vor dem inneren Auge. Doch inmitten von Schnee und Eis gibt es auch hier grüne Flecken: Zwei Blütenpflanzenarten, die Antarktische Perlwurz Colobanthus quitensis und die Antarktische Schmiele Deschampsia antarctica, sind in der Antarktis heimisch und trotzen Kälte und Wind. Die Perlwurz ist moderat an die Extremtemperaturen angepasst und kann zumindest an geschützten Orten leichte Minustemperaturen dauerhaft überleben. Die Antarktische Schmiele hingegen ist ein wahrer Überlebenskünstler: Das mehrjährige Gras bedeckt oftmals mehrere Hundert Quadratmeter, egal ob Fels, Klippenüberhang oder Strand. Selbst bei minus 26 Grad Celsius überlebt noch die Hälfte einer Population.

Zellinneres frei von Eis halten

Um Frost zu überstehen, müssen Pflanzen verhindern, dass das Wasser in ihren Zellen gefriert. Dort würden die Eiskristalle die empfindlichen Zellstrukturen zerstören. Manche Pflanzen bilden dazu eine Art Frostschutzmittel, das den Gefrierpunkt von Wasser absenkt. Auch D. antarctica beherrscht diesen Trick. Andere Pflanzenarten „steuern“ den Ort der Eisbildung. Die häufigste Anpassung besteht darin, Eis nur in Zellzwischenräumen - also extrazellulär – entstehen zu lassen. Es wirkt dann wie eine Isolierschicht.

Eis kann sich aber auch auf der Blattoberfläche bilden. Abhängig von den physikochemischen Eigenschaften beschleunigt dies das Vordringen des Eises oder kann im Gegenteil schützend wirken. Bisherige Strukturanalysen der Blätter von D. antarctica fanden jedoch keine nennenswerten Unterschiede zu Blättern anderer polarer Arten, die weniger frostresistent sind. Aber weitergehende Untersuchungen der Mikrostruktur der epidermalen Oberfläche mittels Kryoelektronenmikroskopie (Kryo-EM) an der Universität Kiel haben nun eine Erklärung für die Frostresistenz der Schmiele geliefert.

Kryoelektronenmikroskopie deckt Strukturen auf

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Die Antarktische Schmiele besiedelt Felsen, aber auch ganze Strände.

Die Antarktische Schmiele besiedelt Felsen, aber auch ganze Strände.

Bildquelle: © Lomvi2 / Wikimedia, CC-BY-SA-3.0

Die Kryo-EM zählt zur Transmissionselektronenmikroskopie. Das Besondere der Kryo-EM: Sie kann biologische Proben bei minus 150 Grad Celsius und darunter untersuchen. Dadurch entfällt die Notwendigkeit, das Wasser vor der Untersuchung aus der Probe zu entfernen und durch Kunststoff zu ersetzen – ein Schritt, der die Strukturen verändern oder Fehlinterpretationen begünstigen kann.

Die Blätter von D. antarctica zeigen bei der Krypto-EM auf beiden Seiten zerfurchte Oberflächen mit schmalen, tiefen Einschnitten. Diese Struktur besteht aus Epidermiszellen, die nur wenige Mikrometer breit, aber mehr als 200 Mikrometer lang sind. Überdeckt wird diese Struktur von oben von einer Wachsschicht aus zahlreichen membranartigen Plättchen. Genaugenommen sind es zwei Wachsschichten: Die innere ist kompakt und besteht aus vieleckigen Stäbchen, die senkrecht zur Blattoberfläche ausgerichtet sind. Die äußere besteht aus separaten, aber verschlungenen länglichen unregelmäßig geformten Plättchen. Beide Schichten sind verbunden durch Auswüchse der inneren Schicht. Die innere Schicht erzeugt somit einen Abstand zwischen der Oberfläche der Epidermiszellen und der eisigen Umwelt. Die äußere Schicht formt ein Luftpolster ähnlich einem Schaum und dämmt erfolgreich die Zellen gegen die arktischen Lufttemperaturen.

Glatt, behaart oder bewachst?

Weitere Erkenntnisse lieferte eine zweite Studie, die ebenfalls mittels Kryo-EM die Blattoberflächen verschiedener kälteangepasster Pflanzen verglich. Die Forscher:innen hatten die Vermutung, dass dort wasserabweisende Strukturen verhindern könnten, dass sich Eis bildet. Sie untersuchten je zwei Pflanzen mit eher glatter Oberfläche (P. laurocerasus, F. verna), mit Pflanzenhaaren (B. perennis, C. brachypetalum) sowie mit Wachsschichten (N. Pseudonarcissus, T. Gesneriana).

Auf den Pflanzen mit glatter Oberfläche bildeten sich die Eiskeime in einem regelmäßigen Muster und führten erst zu hexagonalen Kristallen und später zu makroskopischen Nadeln. Dabei berührten die Eiskeime großflächig die Oberfläche der Epidermiszellen. Tauendes Wasser sammelte sich in Vertiefungen der Epidermis, wodurch große Kontaktflächen entstanden, an denen erneut Wasser gefrieren konnte.

Hydrophobe Wachsschicht schützt am besten

Bei behaarten Blättern bildeten sich Eiskeime zunächst an den Spitzen der längsten Haare. Erst wenn sich die Eiskeime über alle Haare ausgebreitet hatten, wanderte der Prozess weiter zur Zelloberfläche. Tauwasser sammelte sich auf den eher hydrophilen Haaren und gefror auch dort wieder ohne Kontakt zur Zelloberfläche. Nur wenn sich zu viel Wasser sammelte oder die Pflanze keine kurzen Haare zwischen den Langen ausbildete, konnte das Wasser die Haarschicht durchdringen und eine Eiskruste auf der Zelloberfläche bilden.

Pflanzen mit einer Wachsschicht wie D. antarctica verhielten sich zunächst ähnlich wie jene mit glatter Oberfläche: Eiskeime formten sich in gleichförmigem Muster und erzeugten zunächst hexagonale Kristalle und später Nadeln. Weil der Prozess sich jedoch auf der Oberfläche der hydrophoben Wachsschicht abspielte, blieb die Zelloberfläche bis auf nanoskalige Ausnahmen eisfrei. Zudem genügte ein Blattwinkel von zwei bis drei Grad, damit Tauwasser vom Blatt abfloss und nicht erneut gefrieren konnte. Die Wachsschicht nahm bei all dem keinen Schaden, und auch das Zellinnere blieb eisfrei.

Inspiration für Pflanzenzucht und Biomimetik

Aus diesen Erkenntnissen ergeben sich für den Züchter möglicherweise neue Taktiken für die Kälteanpassung von Kulturpflanzen. Zum anderen könnten solche Strukturen aber auch Vorbild für technische Oberflächen sein, um sie vor Frost und Eis zu schützen.


Quellen:

  • Gorb, E. V., et al. (2022): „Hierachical epicuticular wax coverage on leaves of Deschampsia antarctica as a possible adaptation to severe environmental conditions“. In: Beilstein Journal of Nanotechnology 2022, 13, 807-816. doi: 10.3762/bjnano.13.71.
  • Gorb, S. N., Gorb, E. V. (2022): „Anti-icing strategies of plant surfaces: the ice formation on leaves visualized by Cryo-SEM experiments“. In: The Science of Nature, 109, 24 (2022). doi: 10.1007/s00114-022-01789-7.

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Titelbild: Der Antarktische Perlwurz „kuschelt“ sich an eine Matte aus Antarktischer Schmiele. (Bildquelle © Sharon Chester / Wikimedia, CC-BY-SA-3.0)