Rätselhafte Mais-Domestikation

Neues Modell schließt Lücken in der Entstehungsgeschichte

15.01.2024 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Heutige Maislinien gehen auf zwei Teosinte-Gräser zurück. (Bildquelle: © Rudy and Peter Skitterians / Pixabay)

Heutige Maislinien gehen auf zwei Teosinte-Gräser zurück. (Bildquelle: © Rudy and Peter Skitterians / Pixabay)

Seit gut einem Jahrhundert debattieren Pflanzenforscher:innen darüber, aus welcher Wildpflanze der heutige Mais hervorgegangen ist. Eine neue Studie schlägt nun Zea mays ssp. mexicana als zweiten Vorfahren vor.

Das heutige Getreide Mais stammt von der mexikanischen Wildgras-Gattung Zea ab, besser bekannt als Teosinte. So lernen es Schüler:innen seit langer Zeit im Biologieunterricht. Doch die Entstehungsgeschichte dieser Kulturpflanze ist detailreicher. Molekulare Analysen deuteten bislang auf einen gemeinsamen Vorfahren des Mais mit dem eng verwandten Flachland-Wildgras Zea mays ssp. parviglumis (nachfolgend kurz als parviglumis bezeichnet) hin. Damit lassen sich jedoch nicht alle genetischen und archäologischen Daten erklären. Beispielsweise unterscheidet sich die moderne Mais-Ähre dramatisch von den reproduktiven Strukturen von parviglumis. Auch die genetische und geografische Überlappung von Mais und parviglumis stimmt nicht ohne weiteres überein.

Allgegenwärtige Spuren von Zea mays ssp. mexicana

Gleichzeitig deuteten jüngere Analysen darauf hin, dass das Hochland-Wildgras Zea mays ssp. mexicana – ein zweiter enger Verwandter des Mais – zum Erbgut der Kulturpflanze maßgeblich beigetragen hat. Vor fünf Jahre legte eine Studie zudem nahe, dass mindestens zwei Mal während der Domestikation „Proto-Mais“ entstanden ist. Ein internationales Forschungsteam hat daher 267 Akzessionen traditioneller Maispflanzen aus ganz Mexiko sequenziert, mit mehr als 500 heutigen Inzuchtmaislinien verglichen und auf genetische Spuren von mexicana untersucht.

Das Hochlandgras mexicana und das Flachlandgras parviglumis haben ihren letzten gemeinsamen Vorfahren vor 30 000 bis 60 000 Jahren. Archäologische Spuren deuten darauf hin, dass Mais zunächst im Flachland im Becken des Balsas (Mexiko) domestiziert wurde. Vor etwa 6 700 Jahren drang der Maisanbau dann nach Südamerika vor, in Panama ist er sogar seit mindestens 7 800 Jahren dokumentiert. Erst vor etwa 6 200 Jahren wurde Mais ins zentralmexikanische Hochland eingeführt und ist dort bis heute mit dem Hochlandgras mexicana in Kontakt.

Moderner Mais nahm seinen Ursprung vor 6000 Jahren im mexikanischen Hochland

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Kolben von Mais, Teosinte und einer Hybridpflanze (Mitte) im Vergleich.

Kolben von Mais, Teosinte und einer Hybridpflanze (Mitte) im Vergleich.

Bildquelle: © John Doebley / Wikimedia; CC-BY-3.0

Frühere Studien fanden bereits genetische Einflüsse dieses Wildgrases in historischen Maispflanzen aus New Mexico und in modernem Mais aus den peruanischen Anden. Einige Allele aus mexicana scheinen sogar häufig in modernem Mais selektiert zu werden, von Nordamerika bis China. Noch überraschender ist jedoch dieses Ergebnis der neuen Studie: Nur eine der 267 mexikanischen Akzessionen und nicht eine einzige der modernen Inzuchtlinien ist frei von genetischen Einflüssen des Wildgrases mexicana. Jede untersuchte Maisprobe, deren Ursprung jünger war als 5300 Jahre, deutete auf mexicana-Vorfahren hin.

Weitergehende Analysen von 5 684 traditionellen Maissorten legen sogar nahe, dass die genetische Entwicklung von Mais in ganz Amerika nahezu perfekt mit der Einkreuzung von mexicana-Erbgut korreliert. Zwar konnten die Forscher:innen den ersten Zeitpunkt der genetischen Vermischung nur mit sehr hoher Unsicherheit bestimmen, doch die Punktschätzung von 5 716 Jahren vor der Gegenwart harmoniert grob mit den ersten archäologischen Spuren von Mais im mexikanischen Hochland.

Etwa ein Drittel der Mais-Allele gehen auf Zea mays ssp. mexicana zurück

Der Einfluss von mexicana ist dabei keineswegs marginal: Zwischen 22 und 35 Prozent des genetischen Materials der untersuchten Maisproben konnte das Forschungsteam auf das Hochlandgras zurückführen. Bei den mehr als 500 modernen Inzuchtlinien betrug der durchschnittliche Anteil von mexicana-Allelen 22 Prozent.

Große agronomische Bedeutung der Hochlandgras-Allele

Unter diesen Allelen dürften einige von weitreichender agronomischer Bedeutung sein. So fanden die Forscher:innen in allen modernen Maislinien Genomregionen, in denen mindestens 80 Prozent aller Allele mit mehr als 90-prozentiger Sicherheit mexicana zuzuordnen waren– ein klarer Hinweis auf eine positive Selektion. Griff sich das Forschungsteam einzelne Allele heraus und bestimmten die Funktion der entsprechenden Gene, waren diese etwa an der circadianen Rhythmik der Blühregulation beteiligt. Das könnte Mais geholfen haben, im längeren Tageslicht im Flachland früher zu blühen. Andere Gene sind mit der Kolbengröße, dem Stärkegehalt, dem Ölgehalt oder der Zeaxanthin-Bildung assoziiert.

Die Autor:innen der Studie resümieren aufgrund ihrer Analysen, dass sich der noch „frisch“ domestizierte Mais vor rund 6000 Jahren im mexikanischen Hochland mit mexicana kreuzte. In den folgenden 2000 Jahren vergrößerten sich dort die Kolben und die Zahl der Körner nahm zu, wie archäologische Funde belegen. Dieser Hochlandmais mischte sich später in ganz Amerika mit den vorhandenen Maissorten oder verdrängte sie. Bereits vor 3000 Jahren gab es in Mittelamerika keinen Mais mehr ohne mexicana-Allele, weshalb sie auch in heutigem Mais allgegenwärtig sind. Die agronomisch vorteilhaften Allele des Hochlandgrases dürften somit wesentlich dafür gewesen sein, dass Mais sich als Getreide in ganz Amerika und darüber hinaus durchsetzen konnte.

Bei seiner Rückkehr aus dem Hochland kam der Mais zudem im mexikanischen Flachland in erneuten Kontakt mit parviglumis, was den starken Einfluss des Flachlandgrases und die scheinbar mehrmalige Domestikation erklären würde.


Quelle:
Yang, N., et al. (2023): Two teosintes made modern maize. In: Science, Vol. 382, No. 6674. doi: 10.1126/science.adg8940.

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Titelbild: Heutige Maislinien gehen auf zwei Teosinte-Gräser zurück. (Bildquelle: © Rudy and Peter Skitterians / Pixabay)