Debatte: Zukunft der Sicherheitsforschung

„Die möglichen Folgen und Implikationen neuer Technologien sollten interdisziplinär bearbeitet werden.“

Daniel Barben

Prof. Dr. Daniel Barben ist Politikwissenschaftler. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die gesellschaftliche Akzeptanz von technologischer Innovation. In den neunziger Jahren forschte er am Wissenschaftszentrum Berlin zur Akzeptanz der Grünen Gentechnik. Nach einem mehrjährigen Forschungsaufenthalt in den USA, wo er sich vor allem mit der Nanotechnologie beschäftigte, wurde er 2010 auf die VDI-Stiftungsprofessur für Zukunftsforschung an der RWTH Aachen berufen.

bioSicherheit: In der Pflanzenforschung stehen neue Entwicklungen und neue Züchtungsziele an - nachwachsende Rohstoffe, erhöhte Biomasseproduktion, Krankheits- und Stressresistenz. Wie sollte man mit diesen neuen Pflanzen und diesen neuen Eigenschaften umgehen? Welche Art von Begleitforschung brauchen wir?

Daniel Barben: Naturwissenschaftliche Sicherheitsforschung ist natürlich auf jeden Fall notwendig im Hinblick auf mögliche Risiken für Umwelt, menschliche, tierische oder pflanzliche Gesundheit. Und für die entsprechenden Regulierungswerke auf nationaler und internationaler Ebene bleibt das ein ganz wichtiger Gesichtspunkt. Das beantwortet aber nicht das ganze Spektrum der Fragen der politischen Relevanz dieser Technologien. Diese Fragen sind nicht erschöpfend und befriedigend dadurch beantwortet, dass man sagt, die Pflanzen sind unter wissenschaftlichen Gesichtspunkten sicher.

Das Ziel der Anpassung an sich verschlechternde ökologische Bedingungen ist schon früher kritisch diskutiert worden dahingehend, dass diese nicht dazu führen sollte, dass man die ökologischen Veränderungen einfach akzeptiert und nur noch versucht, rein technische Lösungen zu finden. Und das, denke ich, wird in der gesellschaftlichen Diskussion wahrscheinlich einer der zentralen Streitpunkte sein, einerseits sinnvolle Ziele in der pflanzenbiotechnologischen Entwicklung zu formulieren und umzusetzen und zugleich aber Umweltpolitik weiterhin ernstzunehmen und auf der Ebene auch aktiv zu bleiben. Andernfalls erweckt man sehr schnell den Verdacht, dass man ein Problem akzeptiert, es lediglich technisch lösen und auch noch kommerziell ausnutzen will.

Die sozialen, ökonomischen und politischen Implikationen können auf jeden Fall sehr beträchtlich sein, und die Herausforderung wird sein, Interdependenzen zwischen verschiedenen Technologie- und Wirtschaftsfeldern zu untersuchen. Sonst wird man nicht nur durch mangelnde gesellschaftliche Akzeptanz überrascht, sondern auch durch neue Probleme, die dann wiederum sehr aufwändig bewältigt werden müssen. Ein Beispiel ist der Anbau von Energiepflanzen. Nachdem das in den letzten Jahren in den USA, aber auch in anderen Ländern vermehrt massiv gefördert wurde, um Alternativen zum Öl zu schaffen, gab es zum Teil dramatische Auswirkungen an Orten, die man zunächst gar nicht im Blick hatte, wie der Anstieg des Maispreises in Mexiko. Insofern ist das von Jean Ziegler, der bei der UNO für Armutsbekämpfung zuständig ist, damals gemachte Statement, dass man Anbauflächen für Lebensmittel nicht für die Treibstoffproduktion nutzen sollte, bedenkenswert. Das ist auch eine mögliche Konfliktlinie, die man im Auge haben sollte und wiederum jenseits dessen, was biologische Sicherheitsforschung sagen kann.

bioSicherheit: Welche Rolle sollen und können wissenschaftliche Ergebnisse in der gesellschaftlichen Diskussion um Nutzen und Risiken spielen? In der Debatte um die Grüne Gentechnik beispielsweise berufen sich sowohl Befürworter als auch Gegner auf die Wissenschaft. In den letzten Jahren hat es immer wieder Studien gegeben, die über negative Auswirkungen von gentechnisch veränderten Pflanzen berichteten. Diese Studien wurden aber häufig von anderen Wissenschaftlern massiv kritisiert wegen methodischer Unzulänglichkeiten. Gentechnikkritiker erheben daraufhin regelmäßig den Vorwurf, dass die mit diesem Thema befassten Wissenschaftler mehrheitlich voreingenommen sind, weil sie ein technologiezentriertes Weltbild oder eigene wirtschaftliche Interessen haben. Gibt es überhaupt eine objektive, unbeeinflusste Wissenschaft? Oder ist Wissenschaft immer auch von Interessen und Werten beeinflusst und wenn ja, wie geht man damit in der Debatte um Nutzen und Risiken um?

Daniel Barben: Das sind, glaube ich, zwei große Fragen, die Sie stellen, die man auseinanderhalten müsste. Das eine ist die Frage nach dem Stellenwert naturwissenschaftlich begründeter Argumente in Risikokontroversen und das andere die Frage nach der Objektivität von Wissenschaft angesichts von Kommerzialisierung und unternehmerischen Engagements von Wissenschaftlern. Und ich denke, die beiden Fragen muss man klar trennen.

Zur Frage der Objektivität und Voreingenommenheit: Die Naturwissenschaften sind heute keine reinen Beobachtungswissenschaften mehr, sondern sie sind stark eingebunden in Prozesse der Technologieentwicklung und auch der industriellen Produktentwicklung. Aber allein aus dem Sachverhalt, dass die Wissenschaft in Prozesse der Technologieentwicklung oder der wirtschaftlichen Verwertung eingebunden ist, abzuleiten, dass sie korrumpiert ist, das ist einfach eine Unterstellung, die belegt werden müsste, wenn man sie ernst nehmen soll. Natürlich kann es Interessenkonflikte geben, und damit muss man transparent umgehen, indem man zum Beispiel offenlegt, wer eine Studie finanziert hat. Aber die reine, unbefleckte Wissenschaft vergangener Jahrhunderte anzumahnen, das ist einfach nicht zeitgemäß.

Zum Stellenwert naturwissenschaftlicher Argumente in Risikokontroversen: Diese Kontroversen finden ja nicht im luftleeren Raum statt, sondern es gibt Institutionen, die damit befasst sind. In liberalen Rechtsstaaten wie der Bundesrepublik sind bestimmte Freiheiten verfassungsmäßig garantiert, zum Beispiel die Forschungsfreiheit und die Investitionsfreiheit. Um diese Freiheiten einzuschränken, bedarf es besonderer Begründungen, und seit langem anerkannt sind Gefährdungen von Gesundheit oder Umwelt. Und da gibt es im Recht die interessante Formulierung, dass es auf den „herrschenden Stand von Wissenschaft und Technik“ ankommt. Das heißt, man orientiert sich an der Mehrheitsmeinung der wissenschaftlichen Gemeinschaft, auch wenn es abweichende Meinungen gibt. In den Feldern von Wissenschaft und Technik, die sich noch in einer frühen Entwicklungsphase befinden, ist es unter Umständen schwierig festzustellen, was der herrschende Stand ist. Aber ich würde sagen, im Falle der Gentechnik verhält es sich nicht mehr so, da gibt es mittlerweile einen ausgearbeiteten Sachstand.

Gleichwohl sind Sicherheitsrisiken ein Feld, das nach wie vor von Kontroversen besetzt ist, und an dieser Stelle kommt die Politik hinein. Es gibt politische Spielräume, in welcher Weise man regulatorisch tätig wird. Man kann verlangen, dass Risiken zweifelsfrei wissenschaftlich nachgewiesen sein müssen, und im internationalen Kontext ist das üblicherweise die von den USA vertretene Position. Dagegen kann man aber auch ein Stück weit offener sein und für eine gewisse Zeit hypothetisch denkbare Risiken anerkennen, die noch nicht eindeutig nachgewiesen sind, wie es beim precautionary principle insbesondere in der Europäischen Union der Fall ist.

bioSicherheit: Sie haben gerade einen Hauptvorwurf der Gentechnikkritiker formuliert: Man orientiert sich am herrschenden Stand des Wissens und ignoriert abweichende Meinungen.

Daniel Barben: Ich glaube, das ganze Problem als eines der Unterdrückung oppositioneller Meinungen abzutun, das greift zu kurz. Eher ist ein Problem, dass es oft schwierig sein kann, bestimmte Studien nachzuvollziehen, weil Sicherheitsforschung ja so unglaublich aufwändig ist, dass sich entsprechende Studien nicht so leicht replizieren lassen. Da hat man es natürlich auch mit Machtverhältnissen zu tun, unterschiedlichen Kompetenzen, Kapazitäten, die an einigen Stellen ganz massiv ausgebildet sind und an anderen nicht.

Studien mit abweichenden Ergebnissen werden ja in der Regel einer kritischen Prüfung unterzogen, und wenn an den Ergebnissen wirklich etwas dran ist, dann würde ich schon so viel Vertrauen haben, dass dem auch tatsächlich nachgegangen wird. Und sollten in der Sicherheitsforschung Risiken unter den Tisch gekehrt werden, kann man durchaus optimistisch sein, dass es korrektive Mechanismen gibt, die das aufdecken werden – etwa, dass Beteiligte, die damit nicht einverstanden sind, entsprechende interne Informationen weitergeben. So sind ja auch die großen Betrugsskandale in den Biowissenschaften aufgedeckt worden, selbst wenn gefeierte Berühmtheiten davon betroffen waren. Ein anderer korrektiver Mechanismus ist sicherlich, dass es einen enormen Ansehensverlust und auch offene Flanken für Rechtsverfahren mit sich bringen würde, wenn Risiken auftreten und klar wird, dass sie bekannt waren und verschwiegen wurden. Man muss einfach im Blick haben, dass alle Akteure auf der Basis operieren, dass sie als legitim anerkannt werden. Und ein Legitimitätsverlust kann die Existenzgrundlage eines Forschers, eines Institutes oder eines Unternehmens ruinieren.

bioSicherheit: Aber wenn Sie sich die öffentliche Diskussion um Grüne Gentechnik ansehen – da erhalten gentechnikkritische Studien viel Gehör, und das Vertrauen in die etablierte Wissenschaft, dass diesen möglichen Risiken nachgegangen wird, ist eher gering ausgeprägt.

Daniel Barben: Nun ja, in einem kontroversen Feld werden natürlich Studien dankbar aufgenommen, die die eigene Position stützen – zumal wenn sie wissenschaftlich argumentieren. Doch Akzeptanzstudien haben immer wieder gezeigt, dass die Wissenschaft eine hohe Glaubwürdigkeit besitzt. Und es ist ja auch auffällig, dass bei Greenpeace und anderen Organisationen oft frühere Wissenschaftler tätig sind. Aus Sicht einer NGO kann man Aufmerksamkeit am besten generieren, indem man auf Probleme verweist, und so, wie die Medienlandschaft funktioniert, ist klar, dass gerade Probleme aufgenommen und in gewisser Weise auch verstärkt werden. Trotzdem habe ich aber meine Zweifel, ob das tatsächlich dazu führt, dass breite Teile der Bevölkerung der etablierten Wissenschaft ihre Anerkennung und Wertschätzung entziehen.

bioSicherheit: Wie kann man zu einer rationalen und möglichst konstruktiven Diskussion über die neuen Entwicklungen und Anwendungsfelder in der Pflanzenbiotechnologie kommen?

Daniel Barben: Eine vielfach erprobte Instanz sind in Deutschland ja die Enquete-Kommissionen, womit ich jetzt aber nicht sagen will, dass eine solche angesichts neuer Entwicklungen in der Pflanzenbiotechnologie eingerichtet werden sollte. Die Enquete-Kommission zu den Chancen und Risiken der Gentechnologie Ende der achtziger Jahre beeinflusste jedenfalls die Debatte sehr und hatte auch einen großen Einfluss auf die Einrichtung und Ausgestaltung des Gentechnikgesetzes. Eigentlich ist es auch die Aufgabe des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Bundestag, solche Expertisen zu erstellen. Es ist natürlich die Frage, inwieweit diese Studien auch in Kreisen von Wissenschaft, Technik und Wirtschaft zur Kenntnis genommen und in den öffentlichen Diskurs eingespeist werden.

Verfahren wie Bürgerdialoge können auch durchaus fruchtbar sein, sie stehen aber immer unter dem Verdacht, dass es reine Maßnahmen sind, um Akzeptanz zu steigern und dass die Fragen, die als die eigentlich relevanten wahrgenommen werden, gar nicht zur Disposition stehen. Und wenn das der Fall ist, dann kann man eigentlich schon einpacken, denn dann ist es eine Wiederholung von Veranstaltungen, wie sie schon sehr zahlreich stattgefunden haben, wo konträre Positionen ausgetauscht werden, wo mit Unterstellungen gearbeitet wird und wo relativ wenig Lernen stattfindet auf allen Seiten.

Ein grundlegendes Problem der Technikfolgenabschätzung ist es immer gewesen, dass sie von der eigentlichen Wissenschafts- und Technikentwicklung relativ weit entfernt war. Beim Humangenomprojekt wurde dann Begleitforschung parallel zur Technikentwicklung institutionalisiert, die so genannte ELSI- oder ELSA-Forschung, aber auch diese Forschung war nie wirklich verzahnt mit der naturwissenschaftlich-technischen Forschung und Produktentwicklung. In den USA habe ich in den letzten Jahren eine stärker integrierte Forschung kennengelernt, und zwar am Center for Nanotechnology in Society an der Arizona State University. Das ist eines der Forschungszentren, die von der National Science Foundation damit beauftragt wurden, mögliche Implikationen und Folgen der Nanotechnologie schon früh zu erforschen, wozu es übrigens ein politisches Mandat durch den 21st Century Nanotechnology Research and Development Act von 2003 gibt.

Eine Grundidee dieses Zentrums ist es, nicht Begleitforschung als Spezialgeschäft von Geistes- und Sozialwissenschaftlern zu machen und anschließend die gewonnenen Einsichten den Naturwissenschaftlern mitzuteilen, sondern die Fragen nach zukünftigen Folgen und Implikationen der Nanotechnologie interdisziplinär zu bearbeiten, gemeinsam mit den Naturwissenschaftlern und Ingenieuren, die diese neue Technologie entwickeln. Da gibt es dann zum Beispiel gemeinsame Lehrveranstaltungen mit Vertretern verschiedener Fächer oder Workshops, in denen Naturwissenschaftler ihre laufenden oder geplanten Forschungsprojekte vorstellen und mit Geistes- und Sozialwissenschaftlern diskutieren. Es gibt auch Laborstudien, das heißt, Doktoranden aus den Sozialwissenschaften sind für eine gewisse Zeit in den Laboren zu Gast und untersuchen, nach welchen Mustern die Forschung abläuft, wie Entscheidungen getroffen werden und so weiter. Zu dem Forschungsprogramm gehören auch Elemente von Öffentlichkeitsbeteiligung. So gab es eine National Technology Citizen Conference, die an sechs Orten quer über die USA verteilt von lokalen Kooperationspartnern des Zentrums durchgeführt wurde, und es gab über Wochen moderierte Diskussionen im Internet. Das Bündel von Aktivitäten haben wir zusammengefasst als Ansatz der anticipatory governance, d.h. als Versuch einer vorausschauenden Gestaltung von Wissenschaft und Technik in der Gesellschaft. Und ich denke, das ließe sich auch auf andere Felder übertragen.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch.