Debatte: Zukunft der Sicherheitsforschung

„Wir müssen ein klares und effizientes System entwickeln, um neue Pflanzen zu analysieren.“

Inge Broer

Prof. Dr. Inge Broer ist Biologin und leitet die Arbeitsgruppe Agrobiotechnologie an der Universität Rostock. Sie war an der Entwicklung verschiedener gentechnisch veränderter Pflanzen beteiligt, beispielsweise eine Kartoffel, die einen biologisch abbaubaren Kunststoff produziert, und hat in den letzten zehn Jahren Sicherheitsforschung an gentechnisch veränderten Pflanzen durchgeführt. 2010 veröffentlichte sie ein Thesenpapier zur Zukunft der biologischen Sicherheitsforschung.

bioSicherheit: In den nächsten Jahren werden Pflanzen mit neuen Eigenschaften gezüchtet werden – Pflanzen, die nachwachsende Rohstoffe produzieren oder Biomasse zur Energiegewinnung, Pflanzen, die an abiotische Stressfaktoren wie Trockenheit besser angepasst sind und solche mit neuen Krankheitsresistenzen. Was kann sich bei diesen neuen Pflanzen an Sicherheitsproblemen ergeben?

Inge Broer: Eventuelle Sicherheitsprobleme hängen immer davon ab, um welche Kulturpflanze und um welche spezifische Eigenschaft es sich handelt. Im Prinzip kann man sich bei Stresstoleranzen, also zum Beispiel Krankheitsresistenzen, vorstellen, dass die Kulturpflanze weniger abhängig wird von ihrer Bearbeitung durch den Menschen und sich deshalb eher in der Umgebung durchsetzen kann. Einige Kulturarten, die schon jetzt sehr konkurrenzstark sind, könnten dann vielleicht auch außerhalb der Ackerfläche wachsen. Wenn eine neue Eigenschaft die Konkurrenzkraft erhöht, sollte sehr genau geprüft werden, ob die veränderte Kulturpflanze in der Anbauregion Wildpflanzen als Kreuzungspartner hat. Das Risiko, dass die Nachkommen einer solchen Kreuzung sich besser ausbreiten können, sollte nicht eingegangen werden. Aber das hängt wieder von der Eigenschaft und von der Kulturart ab. Zum Beispiel hat Raps bei uns wilde Kreuzungspartner, Mais und Kartoffeln aber nicht.

Für Pflanzen mit gesteigerter Biomasseproduktion sehe ich eher, dass die Abhängigkeit vom Menschen größer wird, das heißt, dass das Risiko, dass diese Pflanzen sich in der Umwelt ausbreiten, geringer wird.

bioSicherheit: Wie identifiziert man die Sicherheitsfragen, die vor dem Anbau gelöst werden müssen, und wie sollte man sie bearbeiten?

Inge Broer: Wir müssen ein klares und effizientes System entwickeln, um neue Pflanzen zu analysieren, eine Art Entscheidungsbaum. Zuerst schaut man sich an, was sind die möglichen Risiken bei einer spezifischen Kombination von Transgen und Pflanze. Produziert eine Pflanze beispielsweise ein Protein, das Schadinsekten abtötet, stellt sich die Frage nach der Schädigung anderer Insekten. Produziert eine Pflanze ein Protein, das Bakterien abtötet, stellt sich die Frage nach der Schädigung von Bodenbakterien.

Dann betrachtet man, ob tatsächlich ein Schaden eintreten kann. Zum Beispiel: Kommt ein Insekt, das durch einen Bt-Mais geschädigt werden könnte, überhaupt mit dem Mais in Kontakt? Oder: Wird das Protein, das Bakterien abtötet, überhaupt in den Boden abgegeben? Oder: Kann ein potenziell allergenes Protein überhaupt ins Blut übertreten?

Die nächste Frage ist, wie groß die Unterschiede zwischen der gentechnisch veränderten und der unveränderten Pflanze sein müssen, damit man von der Möglichkeit eines Schadens ausgeht, und welche Unterschiede biologisch relevant sind. Um das zu untersuchen, braucht man Zeiger, das sind zum Beispiel Organismen, die besonders empfindlich sind oder Testreaktionen, die besonders sensitiv sind und die auf ein mögliches Risiko hinweisen könnten. Für diese Zeiger muss man wissenschaftlich begründete Schwellenwerte definieren. Erst wenn der Wert, den man mit einem bestimmten Meßsystem ermittelt hat, den Schwellenwert überschreitet, sind an dieser Stelle möglicherweise weitere Untersuchungen erforderlich.

Dann muss man genau überlegen, mit welcher Fragestellung man ins Freiland muss und mit welcher man im Labor arbeiten kann. Grundsätzlich sollte man immer im Labor anfangen, unter standardisierten Bedingungen. Wenn man im Labor einen Effekt sieht, muss man ihn im Freiland überprüfen. Im Freiland ist es allerdings erheblich schwieriger und aufwändiger, belastbare Aussagen zu treffen, weil man ständig wechselnde Bedingungen hat, die man auch nicht beeinflussen kann.

Ein solches Entscheidungssystem wäre sehr viel effizienter als das, was wir heute machen. Heute haben wir weder festgelegte Zeiger noch Schwellenwerte.

bioSicherheit: Sollten Freilandversuche nicht in jedem Fall Bestandteil von Sicherheitsuntersuchungen sein? Oder gibt es auch Pflanzen bzw. Merkmale, bei denen das nicht notwendig ist? Wenn ja, welche sind das und anhand welcher Kriterien kann man das festlegen?

Inge Broer: In der Regel sind die Meßsysteme im Labor viel empfindlicher. Bei manchen Fragestellungen, wie zum Beispiel den Auswirkungen auf Bodenmikroorganismen, sind die Schwankungen im Freiland so hoch, dass man Effekte, die im Labor gut sichtbar waren, draußen nie zeigen konnte. Wenn ich also im Labor schon nichts nachweisen kann, dann sind Freilanduntersuchungen nicht sinnvoll. Für andere Fragestellungen, in denen die wechselnden Umweltbedingungen einen großen Einfluss auf einen möglichen Schaden haben, sind Freilanduntersuchungen aber unverzichtbar. Das gilt zum Beispiel für die Menge des neuen Proteins in der Pflanze, die wie bei allen anderen Pflanzeninhaltstoffen von der Umwelt mit beeinflusst wird. Hier braucht man die Daten aus dem Freiland als Basis der Sicherheitsbewertung.

bioSicherheit: Aber man kann doch vorher gar nicht wissen, welche Effekte man im Freiland finden wird. In einer gerade kürzlich veröffentlichten Untersuchung der ETH Zürich wurde berichtet, dass transgene Pflanzen im Freilandversuch völlig unvorhergesehene Änderungen gegenüber dem Gewächshaus zeigten, vor allem in Bezug auf die Erträge und den Befall mit Schädlingen.

Inge Broer: Dass man die Ergebnisse aus dem Gewächshaus in der Regel nicht unbedingt auf das Freiland übertragen kann, ist keine neue Erkenntnis. Die Pflanzen wachsen im Gewächshaus anders, unter anderen Bedingungen, und da stellt man immer fest, dass Erträge unterschiedlich sein können, dass auch die Wüchsigkeit oder die die Sensitivität gegenüber Schädlingen unterschiedlich sein kann. Zum Beispiel sind die Blätter im Gewächshaus meistens viel weicher, weil sie nicht so starken Umweltschwankungen ausgesetzt sind. Das kann den Befall durch Pathogene verändern. Und die Erträge hängen zum Beispiel davon ab, wie gut sich das Wurzelwerk entwickeln kann oder welche Interaktionen mit Mikroorganismen stattfinden. Das ist im Topf oder Erdbeet im Gewächshaus ganz anders als im Freiland. Diese Unterschiede findet man genauso für konventionelle Sorten, die man im Freiland zum ersten Mal testet, und hier sind Freilanduntersuchungen auch wichtig.

Weil die Umwelt aber jedes Jahr anders ist, kann man nicht alle unvorhergesehenen Effekte im Rahmen der Sicherheitsforschung erfassen. Dafür ist das anbaubegleitende Monitoring da, das während der gesamten Zeit der Zulassung auf unerwartete Effekte achtet. Sobald sich dort ein wirkliches Problem zeigt, wird die Zulassung zurückgenommen.

bioSicherheit: Welche Fragen sollten im Rahmen einer öffentlich geförderten Sicherheitsforschung bearbeitet werden?

Inge Broer: Es kann hier nur darum gehen, generelle Fragen zu beantworten, die man stellen muss, wenn Behörden oder Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen die Risiken einer gentechnisch veränderten Pflanze beurteilen sollen. Wenn man zum Beispiel untersuchen will, ob Cry-Proteine im Boden stabil sind, sollte man das im Rahmen öffentlicher Sicherheitsforschung für ein Cry-Protein untersuchen und anhand dieses einen Proteins genug Kenntnisse erwerben, um zu beurteilen, ob die Messungen der anmeldenden Firmen zu anderen Cry-Proteinen realistisch sind. Oder wenn man analysiert, ob bestimmte Methoden transgene Pflanzen daran hindern, sich über den Pollen auszubreiten, dann sollte man Verfahren entwickeln, wie man das effektiv feststellen kann, es aber nicht für jedes System analysieren.

Es ist nicht die Aufgabe der Öffentlichkeit, die Forschung für die Firmen zu machen, die eine bestimmte transgene Pflanze anmelden wollen, sondern es geht darum, dass wir eine wissenschaftliche und unabhängige Basis für die Entscheidung schaffen, ob man eine bestimmte Gruppe von Pflanzen hier zulassen kann.

bioSicherheit: Wie kann die Glaubwürdigkeit der biologischen Sicherheitsforschung in der Öffentlichkeit verbessert werden?

Inge Broer: Der erste Punkt, der mich immer wieder ärgert, ist der, dass unsere Ergebnisse von Politikern nur wenig genutzt werden und auch nicht positiv genannt werden als die Basis ihrer Entscheidungen. Wenn einige Politiker noch nicht mal Vertrauen haben in das, was sie selber angefordert haben, dann kann natürlich auch die Öffentlichkeit kein Vertrauen darin haben.

Zweitens denke ich, dass man noch mehr informieren muss, was wir machen und welche Ergebnisse wir vorzuweisen haben, damit klar wird, wie unsinnig die so oft wiederholten Behauptungen sind, wir würden nur Felder anlegen, um Geld dafür zu bekommen, und gar keine Forschung machen und so weiter. Wenn man die Ergebnisse der Forschung sieht, weiß man, was für ein Unsinn das ist.

Drittens denke ich, wir müssen als Wissenschaftler seriös bleiben. Das heißt, wenn wir für eine bestimmte Fragestellung keine Hypothese sehen, also gar nicht sehen, wie wir durch so ein wissenschaftsbasiertes Schema hindurchgehen könne, wie ich das eben skizziert habe, dann sollten wir das auch nicht tun. Wir sollten uns nicht dadurch, dass jemand sagt, ich bin beunruhigt, weil ich ein bestimmtes Bauchgefühl habe, dazu treiben lassen, Versuche zu machen, für die wir keine wissenschaftliche Basis sehen. Denn das macht uns immer wieder unglaubwürdig. Ich denke, hier wir müssen wir unserer Verantwortung gerecht werden und mit den öffentlichen Mitteln, die uns zur Verfügung gestellt werden, nur Fragestellungen bearbeiten, von denen wir auch glauben, dass sie relevant sind.

Und viertens dürfen wir uns als Wissenschaftler nicht zu endgültigen Aussagen treiben lassen. Das ist für einen seriösen Wissenschaftler nicht möglich, weil es keine hundertprozentige Sicherheit gibt und Wissenschaft immer in Bewegung ist. Wir können nur sagen, die Pflanzen, die wir untersucht haben, sind nach allem, was wir wissen, sicherer als jede andere Pflanze, die ihr sonst esst. Aber wir können nicht sagen, sie sind hundertprozentig sicher und es kann nie irgendetwas passieren. Die Politisierung der Wissenschaft führt dazu, dass man sich zu endgültigen Aussagen verleiten lässt, und das ist ein Fehler. Wissenschaft ist nicht endgültig.

bioSicherheit: Vielen Dank für das Gespräch.

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