Neue Herausforderungen für die Pflanzenzüchtung

Biologische Anreicherung: Pflanzen statt Pillen

Millionen von Krankheits- und Todesfällen, vor allem in Entwicklungsländern, sind auf einen Mangel an Mikronährstoffen wie Vitamine und Spurenelemente zurückzuführen. In vielen Entwicklungs- und Schwellenländern werden deshalb Nährstoffpräparate und industriell angereicherte Lebensmittel verteilt. Wissenschaftler arbeiten nun daran, die wichtigsten Nahrungspflanzen etwa mit Provitamin A, Zink und Eisen anzureichern. Dabei kommen auch gentechnische Methoden zum Einsatz.

Goldener Reis

Golden Rice: Die Körner enthalten Beta-Karotin, auch Provitamin A genannt, weil es die wichtigste Vorstufe des Vitamins A ist. Dadurch sind die Reiskörner gelb bis orange gefärbt.
Foto: International Rice Research Institute (IRRI)

Cassava (Maniok)

Maniok, auch Cassava genannt, ist in Teilen Afrikas die wichtigste Grundnahrungspflanze. Mit Hilfe gentechnischer Methoden sollen die essbaren Wurzeln mit Provitamin A, Vitamin E, Eisen und Zink angereichert werden.
Foto: cassava.ethz.ch

Sorghum bicolor (Mohrenhirse)

Hirse, die mit Mikronährstoffen angereichert wurde, soll 2017/18 als Saatgut für Landwirte erhältlich sein.
Foto: Schaugarten des MPIPZ Köln

Banane

Australische und afrikanische Wissenschaftler entwickeln Bananen, die mit Mikronährstoffen angereichert sind.
Foto: Manfred Schütze, pixelio.de

Verbreitete Mangelerscheinungen und ihre Folgen

Vitamin A-Mangel bei Kindern

Vitamin A-Mangel: Erhöhte Infektanfälligkeit, Erblindung. Nach Schätzungen der WHO leiden weltweit rund 127 Millionen Kinder im Vorschulalter an Vitamin A-Mangel. Bis zu 500.000 erblinden jedes Jahr, etwa die Hälfte von ihnen stirbt innerhalb eines Jahres nach der Erblindung.

Eisenmangel: Anämie bei Kindern

Eisenmangel: Anämie; Störungen der geistigen Entwicklung und der Lernfähigkeit sowie der körperlichen Entwicklung und Leistungsfähigkeit. Die WHO schätzt, dass in Entwicklungsländern jede zweite Schwangere und jedes zweite Kind im Vorschulalter von Eisenmangel betroffen sind.

Zinkmangel: Wachstumsstörungen bei Kindern

Zinkmangel: Wachstumsverzögerungen und erhöhte Infektanfälligkeit bei Kindern, was zu erhöhter Kindersterblichkeit führt.

Hunger bedeutet nicht ausschließlich mangelnde Kalorienzufuhr. In vielen Teilen der Welt, vor allem in Entwicklungsländern, leiden die Menschen an zum Teil schweren Gesundheitsschäden, die durch einen Mangel an so genannten Mikronährstoffen verursacht werden. Man spricht dabei auch von „stillem Hunger“.

Mikronährstoffe sind Substanzen, die der menschliche Organismus benötigt, aber nicht selber produzieren kann. Dazu gehören Vitamine, Spurenelemente und Aminosäuren. Um ausreichend mit Mikronährstoffen versorgt zu sein, muss man sich ausgewogen ernähren. Viele Menschen in Entwicklungsländern können sich das jedoch nicht leisten. Dort basiert die Ernährung meistens auf einer einzigen Grundnahrungspflanze, etwa Reis in Asien oder Maniok in Teilen Afrikas. Dabei werden in der Regel die Speicherorgane gegessen, die hauptsächlich Stärke enthalten. Folgen einer solchen einseitigen Ernährung sind unter anderem Wachstums- und Entwicklungsstörungen, eine erhöhte Infektanfälligkeit und damit eine erhöhte Sterblichkeit oder – im Fall von Vitamin A-Mangel – Erblindung.

In den letzten Jahrzehnten wurden in vielen Entwicklungsländern industriell angereicherte Nahrungsmittel und Nahrungsergänzungspräparate verteilt, die wichtige Mikronährstoffe enthalten. Trotz beachtlicher Erfolge in Einzelfällen gab und gibt es dabei eine Reihe von Problemen. So ist es oftmals schwierig, die Produkte in entlegene ländliche Gegenden zu transportieren oder die Betroffenen davon zu überzeugen, dass sie diese Nahrungsmittel und Präparate tatsächlich und regelmäßig zu sich nehmen. Zudem müssen die Produkte fortlaufend hergestellt und verteilt werden, was erhebliche Kosten verursacht. Seit den 1990er Jahren arbeiten Wissenschaftler daran, Mikronährstoffe in lokalen Nahrungspflanzen anzureichern, um die genannten Probleme zu umgehen.

Weder angereicherte Nahrungsmittel noch Ergänzungspräparate können oder sollen jemals eine ausgewogene und vielseitige Ernährung ersetzen. Dennoch setzen Organisationen wie die WHO und die FAO auf diese Maßnahmen, denn das Problem, dass viele Menschen zu arm sind, um sich eine ausgewogene Ernährung zu leisten, ist auch mittelfristig kaum lösbar.

Biologische Anreicherung mit konventioneller Züchtung

2004 startete die Consultative Group for International Agricultural Research (CGIAR) das Programm HarvestPlus, an dem inzwischen weltweit über zweihundert Wissenschaftler verschiedener Forschungsinstitute beteiligt sind. Mit konventionellen Züchtungsmethoden wird Eisen in Bohnen und Perlhirse angereichert, Zink in Reis und Weizen sowie Provitamin A in Mais, Süßkartoffeln und Maniok. Dabei arbeiten die Wissenschaftler mit Sorten, die in Entwicklungsländern angebaut und konsumiert werden. Im Rahmen von HarvestPlus wurden die ersten biologisch angereicherten Nahrungspflanzen entwickelt, die auf dem Markt sind: Eine afrikanische Süßkartoffelsorte und eine afrikanische Manioksorte, beide mit erhöhtem Provitamin A-Gehalt, außerdem Bohnen und Perlhirse für Ruanda bzw. Indien, die mit Eisen angereichert sind.

Biologische Anreicherung mit gentechnischen Methoden

Weltweit gibt es vier Projekte, in denen mit Hilfe der Gentechnik Mikronährstoffe in wichtigen Grundnahrungspflanzen angereichert werden. Sie werden zur Zeit über die Grand Challenges in Global Health Initiative finanziert, die 2003 von der Gates Foundation ins Leben gerufen wurde. Sämtliche Pflanzen werden für Kleinbauern in Entwicklungsländern ohne Lizenzgebühren zugänglich sein.

Golden Rice

Die Körner von Golden Rice enthalten Beta-Karotin oder Provitamin A, das der menschliche Körper zu Vitamin A umwandeln kann. Durch das Beta-Karotin sind die Reiskörner gelb bis orange gefärbt. Nicht modifizierte Reispflanzen produzieren Karotinoide in den Blättern und in der Kornhülle, aber nicht in den Körnern.

Der erste Golden Rice wurde in den 1990er Jahren in einer internationalen Arbeitsgruppe um Ingo Potrykus (ETH Zürich) und Peter Beyer (Universität Freiburg) entwickelt. Dazu wurden zwei Gene in Reispflanzen eingebracht, die die Information für zwei Enzyme aus dem Syntheseweg für Karotinoide enthalten. Das eine wurde aus einem Bodenbakterium isoliert, das andere aus der Osterglocke. Reis besitzt zwar selbst Gene für beide Enzyme, aber in den Körnern sind diese beiden Gene inaktiviert. Bei der Entwicklung von Golden Rice 2 wurde das Gen aus der Osterglocke gegen eines aus Mais ausgetauscht.

Die Körner der ersten Golden Rice-Pflanzen enthielten noch nicht genug Provitamin A, um beim Verzehr üblicher Portionen einen signifikanten Teil des menschlichen Tagesbedarfs zu decken. Eine durchschnittliche Ration von Golden Rice 2 kann dagegen den Tagesbedarf von Menschen, deren Ernährung hauptsächlich aus Reis besteht, weitgehend decken. 2009 wurde in einer Ernährungsstudie nachgewiesen, dass das Provitamin A aus den Reiskörnern vom menschlichen Organismus vollständig aufgenommen werden kann und ihm somit zur Verfügung steht.

Das Projekt wurde im Lauf der Zeit von verschiedenen Stiftungen und Firmen unterstützt, die auf ihre Ansprüche aus geistigen Eigentumsrechten wie Lizenzgebühren verzichteten. Aktuell werden unter Federführung des Internationalen Reisforschungsinstituts die neu eingeführten Gene mit konventionellen Züchtungsmethoden in lokal angepasste asiatische Reissorten eingekreuzt. 2013 sollen die ersten Sorten auf den Markt kommen. Gleichzeitig arbeitet das nationale Reisforschungsinstitut der Philippinen an einer Variante des Golden Rice, die auch über Bakterien- und Virusresistenzen verfügt. Seit 2005 finanziert die Grand Challenges in Global Health Initiative das internationale ProVitaminRice Consortium unter Leitung von Peter Beyer, das daran arbeitet, Golden Rice auch mit Eisen, Zink, Vitamin E und Proteinen anzureichern.

BioCassava Plus

Dieses Projekt hat die Anreicherung von Provitamin A, Vitamin E, Eisen und Zink in den essbaren Wurzeln von Cassava (Maniok) zum Ziel. Gleichzeitig soll der Proteingehalt erhöht und der Gehalt an Cyanid verringert werden. Weitere Ziele des Projektes sind eine erhöhte Haltbarkeit und Resistenz gegenüber dem Cassava-Mosaikvirus.

Bisher konnten Provitamin A und Vitamin E im geplanten Umfang angereichert werden, während der Zink- und Eisengehalt erst halb so hoch ist wie angestrebt. Zudem konnten Maniokpflanzen mit Cyanid-freien Wurzeln entwickelt werden. Dadurch steht in den Wurzeln mehr Stickstoff für die Bildung von Aminosäuren zur Verfügung, und ihr Proteingehalt ist höher als bei nicht modifizierten Pflanzen.

Der größte Teil der Forschungsarbeiten wird am Donald Danforth Plant Science Center in St. Louis (USA) durchgeführt. Es sind aber auch zahlreiche andere Wissenschaftler beteiligt, etwa von den staatlichen Agrarforschungsinstituten in Nigeria und Kenia und der ETH Zürich.

Africa Biofortified Sorghum

In diesem Projekt soll Hirse mit Provitamin A, Vitamin E, Eisen, Zink und Aminosäuren angereichert werden. Bisher konnte man drei wichtige Aminosäuren anreichern und gleichzeitig die Menge des Speicherproteins Kafirin senken. Durch den geringeren Kafiringehalt ist die Hirse leichter verdaulich. Außerdem konnte man die Menge von Phytinsäure im Korn senken. Dadurch können Zink und Eisen, von denen in Hirse eigentlich genug vorhanden ist, deutlich besser vom menschlichen Körper aufgenommen und verwertet werden. Darüber hinaus konnte der Vitamin E-Gehalt deutlich gesteigert werden.

Die Forschungsarbeiten werden zum großen Teil von afrikanischen Wissenschaftlern und Institutionen getragen. Als industrieller Partner ist Pioneer Hi-Bred beteiligt. 2017 oder 2018 soll das erste Saatgut für Landwirte erhältlich sein.

Bananen mit erhöhtem Mikronährstoffgehalt

Das Ziel dieses Projektes ist es, Bananen mit Provitamin A, Vitamin E und Eisen anzureichern. Dazu wurden Promotoren von Genen isoliert, die in den entsprechenden Stoffwechselwegen in der Banane eine wichtige Rolle spielen. Diese wurden zunächst in verschiedenen Kombinationen in Obstbananen eingebracht, um eine verstärkte Anreicherung der genannten Mikronährstoffe zu erreichen. Inzwischen wurden auch Kochbananen erfolgreich transformiert. An dem Projekt sind unter anderem Wissenschaftler der Universität Brisbane (Australien), der staatlichen Agrarforschungszentren in Uganda und Tansania sowie der US-Firma ProCell beteiligt.