Kleine Geschichte der Kartoffel

Tartufoli und Stampfkartoffeln - Vom fürstlichen Leckerbissen zum Arme-Leute-Gericht

Eine moderne Kartoffelknolle: braun, gleichmäßig und wohlgeformt - nichts, was an die lange, abenteuerliche und wechselhafte Geschichte dieser Pflanze erinnert.

Von den Wildformen Südamerikas (oben) bis zur heutigen Kartoffel (unten)

Als die spanischen Eroberer 1526 in das Reich der Inkas in den Hochanden vordrangen, entdeckten sie eine merkwürdige, ihnen völlig unbekannte Speise. Es erinnerte sie an Trüffelpilze, „ein schmackhaftes Gericht selbst für die Spanier“. Gemeint waren knollenartige Verdickungen an den Wurzeln einer Pflanze, die in der Andenregion seit 8000 Jahren kultiviert wurde, dort selbst bei Frost in großen Höhen gedieh und die Hauptnahrungsquelle der Inkas bildete. 1565 schickten die Konquistadoren eine Kiste der Knollen an ihren spanischen König. Dieser wiederum sandte noch im gleichen Jahr einige der interessanten neuartigen Früchte als Genesungsgeschenk an den kranken Papst. So begann die Verbreitung der Kartoffel auf dem europäischen Kontinent.

Zierpflanze und Delikatesse

Von Spanien aus gelangte die Kartoffel schließlich auch zu dem damals hoch angesehenen Arzt und Botaniker Carolus Clusius, der sie in seinem Garten an der Universität Leiden anpflanzte und vermehrte. Von da aus tauchte die Pflanze der Inkas in verschiedenen fürstlichen und bischöflichen Gärten auf.

England und Irland sind vermutlich durch den berühmten Seefahrer Sir Walter Raleigh an die Kartoffel gekommen, der sie von gekaperten spanischen Schiffen mitgebracht haben soll.

Doch das Nachtschattengewächs, angepasst an die kurzen Tage der Anden, blühte im verhältnismäßig warmen und hellen Europa zwar schnell und prächtig, brachte hier jedoch nur kleine, kümmerliche Knollen hervor: eine rare Delikatesse für die adligen Feinschmecker, die sie in Italien als Tartufoli -Trüffel- umschwärmten. In Deutschland wurde daraus „Tartuffel“ und später dann „Kartoffel“. Fast 200 Jahre blieb die Kartoffel eine Zier- und Zuchtpflanze, von den Ärzten als Heilmittel bei Kopfschmerzen und Knochenbrüchen empfohlen. Doch mit der Zeit hatten die Anstrengungen der Botaniker Erfolg: Durch Auslese, Anpassung und Einkreuzen einer weiteren Sorte aus Mittelchile schaffte es die Kartoffel allmählich auch im europäischen Klima zu ansehnlichen Knollen. Nun konnte sie die Mauern der Gärten überspringen und, zuerst in Spanien, Italien und England, die Äcker erobern.

Die irische Hungerkatastrophe

Der Kartoffelanbau erschien einfach und wenig Arbeit zu erfordern, die Knollen waren lagerfähig und nahrhaft dazu - schnell wurde die Kartoffeln zur Speise der unteren, schnell wachsenden Bevölkerungsschichten. Besonders Irland, das seine Getreideernte nach England abzuführen hatte, ernährte sich fast ausschließlich von der nahrhaften, praktischen und genügsamen Knolle. Dann kam die Katastrophe: 1845 verfaulten die Kartoffeln auf Irlands Feldern. Ein Pilz, Phytophthora infestans, hatte den Sprung über den Atlantik geschafft und fand in den hier kultivierten Kartoffelsorten eine reiche Ernte. Fast alle europäischen Kartoffeln stammten von den wenigen Knollen ab, die Spanier und Engländer aus der Neuen Welt mitgebracht hatten - und die besaßen keine natürliche Resistenz gegen die Kraut- und Knollenfäule. Die schmale genetische Basis konnte dem Wüten des Phytophthora-Pilzes nichts entgegensetzen: Fünf Jahre währte die irische Hungersnot; ein bis zwei Millionen Menschen starben, ähnlich viele wanderten aus in die Vereinigten Staaten. Irland verlor fast die Hälfte seiner Einwohner und hat bis heute nicht mehr die Bevölkerungszahl vor der Katastrophe erreicht. Jenseits des Atlantiks entstand eine irisch geprägte Kultur. Bis heute versäumt es kein irischstämmiger US-Präsident, die Heimat seiner Vorfahren zu besuchen. Die Kartoffel hat Geschichte gemacht - nicht nur in Irland und USA.

Die Kartoffel in Deutschland - eine wechselvolle Karriere

Während der Phytophthora-Pilz Irland verwüstete, hatten sich die Deutschen erst gerade an die Kartoffel gewöhnt. Noch 100 Jahre zuvor verweigerten sich die Bauern gegenüber der neuen Pflanze. Sie galt als „Teufelszeug“ wegen der giftig-grünen Beeren des Kartoffelstrauches, die man früher aus Unwissenheit gelegentlich gegessen hatte. Übermäßiger Kartoffelgenuss sollte angeblich zu Schwindsucht, Rachitis, Bauchgrimmen oder gar Syphilis führen. Auch passte die Kartoffel als Hackfrucht nicht in das traditionelle System der Dreifelderwirtschaft. Erst Friedrich II zwang seinen Untertanen die Kartoffel auf. Doch nicht nur Druck, Dekrete und kostenlos verteilte Saatknollen schafften den Durchbruch, auch die Hungersnöte 1749 und 1770/72 zeigten die Bedeutung der Kartoffel: In Krisen und Kriegen war sie oft das einzig Essbare.

Anfang des 19. Jahrhunderts war die Kartoffel auch in Deutschland selbstverständlich - und ein unentbehrliches Nahrungsmittel für die unteren Schichten vor allem in den wachsenden Städten, die sich Fleisch nicht leisten und frisches Gemüse nur dann anbauen konnten, wenn sie einen eigenen Garten hatten. Um 1900 verspeiste jeder Deutsche durchschnittlich 285 kg im Jahr - täglich und pro Kopf einen Kartoffelberg von nahezu einem Kilogramm! Als später das Angebot an übrigen Lebensmittelprodukten größer und für breite Bevölkerungskreise erschwinglich wurde, verging der Appetit auf das Kartoffel-Einerlei. Heute verspeist jeder Bundesbürger nur noch 75 kg im Jahr - und schon mehr als 40% davon als industriell verarbeitet Produkte. Chips und Fritten - sie sind heute das Erbe der Inkas.