Die Unabhängigkeit der Experten

EFSA-Direktorin: „Wenn wir alle ausschließen, die von der Industrie Geld bekommen, haben wir nicht mehr viele Experten.“

Die europäische Lebensmittelbehörde EFSA steht in der Kritik. Ihre Aufgabe ist es, unabhängig und nach rein wissenschaftlichen Kriterien die Sicherheit von Lebensmitteln - auch die von gentechnisch veränderten Pflanzen - zu bewerten. Ihr werden zu enge Verbindungen zwischen den an der Sicherheitsbewertung beteiligten Experten und der Industrie vorgeworfen. In einem Interview mit der tageszeitung (taz) und in einer offiziellen Stellungnahme verteidigt die EFSA-Direktorin Catherine Geslain-Lanéelle die Arbeitsweise ihrer Behörde. Die EFSA habe ein geeignetes Auswahlverfahren, um die Unabhängigkeit der wissenschaftlichen Experten zu gewährleisten.

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Catherine Geslain-Lanéelle, Direktorin der EFSA.

Die EFSA wurde 2002 als zentrale Behörde für die Lebens- und Futtermittelsicherheit in der EU eingerichtet. Sie ist zuständig für die wissenschaftliche Risikobewertung. Dabei stützt sich die EFSA auf Gutachten von inzwischen zwölf Expertengremien (Panel), die für verschiedene Themen wie Zusatzstoffe, Aromen, Pflanzenschutzmittel oder gentechnisch veränderte Lebensmittel, aber auch Tier- oder Pflanzengesundheit zuständig sind. Die EFSA koordiniert außerdem die Arbeit der nationalen Behörden für Lebensmittelsicherheit. Sitz der EFSA ist Parma (Italien).

Die europäischen Verbraucher sind eher skeptisch gegenüber ihrer zentralen Sicherheitsbehörde für Lebensmittel eingestellt. In Umfragen zweifelten letztes Jahr mehr als 40 Prozent der Konsumenten an der Unabhängigkeit der Behörde und ihrer Wissenschaftler. Einzelnen Mitgliedern der wissenschaftlichen Ausschüsse wie dem Vorsitzenden des Gremiums für die Sicherheitsbewertung von gentechnisch veränderten Organismen, Harry Kuiper, werden zu enge Kontakte zur Industrie vorgeworfen. Er habe Studien für das International Life Sciences Institute (ILSI) geschrieben, das größtenteils von der Industrie finanziert wird. Zudem hatte auch die Vorsitzende des Verwaltungsrates der Behörde, die Ungarin Diana Banati, einen offensichtlichen Interessenkonflikt. Sie war gleichzeitig auch im Verwaltungsrat des International Life Sciences Institute. Erst als dies öffentlich bekannt wurde, gab sie ihre Position bei ILSI auf.

Jährlich werden etwa 300 Experten wegen Interessenkonflikten von der EFSA-Arbeit ausgeschlossen

Die Europäische Sicherheitsbehörde greift bei ihren Gutachten zu Fragen der Lebensmittelsicherheit auf externe Experten zurück. Mittlerweile zählen etwa 2500 wissenschaftliche Sachverständige und 400 einzelstaatliche wissenschaftliche Organisationen dazu. Die EFSA-Direktorin Catherine Geslain-Lanéelle räumt im Interview mit der tageszeitung (TAZ) Kontakte dieser Experten mit Unternehmen ein. „Wir wissen, dass unsere Experten mehr oder weniger mit der Industrie zusammenarbeiten.“

Im Hinblick auf den hohen Qualitätsanspruch an die Arbeit der EFSA sei es jedoch weder möglich noch wünschenswert, solche Kontakte vollständig zu unterbinden. Die EFSA müsse im Interesse der europäischen Verbraucher die Sicherheitsbewertung von Lebensmitteln auf höchstmöglichem wissenschaftlichem Niveau und nach neusten Erkenntnissen durchführen. Dies ließe sich nur gewährleisten, wenn die Behörde auf führende Wissenschaftler aus Universitäten und öffentlichen Forschungseinrichtungen zurückgreifen könne.

Zudem würden die meisten renommierten Forscher durch die europäische Forschungspolitik ermutigt und teilweise sogar dazu verpflichtet, mit der Industrie zusammenzuarbeiten. Damit werde nicht nur die Finanzierungsbasis für die Forschung erweitert, sondern auch der Wissenstransfer in die Wirtschaft und damit die Entwicklung neuer praktischer Anwendungen gefördert. Die zunehmenden Zwänge der öffentlichen Finanzmittel, so Geslain-Lanéelle, werde ihrer Ansicht nach diesen Trend in Zukunft noch verstärken. „Wenn man alle Experten ausschließen würde, die irgendwann von der Industrie Geld bekommen haben, wird man nicht mehr viele Experten haben.“

Nach Geslain-Lanéelles Ansicht sei die Unabhängigkeit der Experten und ihrer Gutachten durch diesen Umstand aber prinzipiell nicht in Frage gestellt. Dafür sorge ein transparentes Auswahlverfahren. Alle externen Experten müssen jährlich eine Erklärung mit allen ausgeübten Tätigkeiten vorlegen, die einen Einfluss auf ihre Arbeit bei der EFSA haben könnten. Darunter fielen auch beispielsweise Arbeitsverhältnisse und Forschungsprojekte für die Industrie. Bei einem Interessenkonflikt würden die Experten von bestimmten Beratungen oder ganz von der Arbeit bei der EFSA ausgeschlossen. Dies sei im Jahr 2010 etwa 300-mal geschehen.

Sie räumte allerdings auch ein, dass die Behörde nicht gezielt nach Experten ohne Industriehintergrund suche. Umgekehrt wisse sie auch nicht, wie viele Experten mit engen Kontakten zu Nichtregierungsorganisationen in den Gremien sitzen. Die EFSA würde die Experten nur entsprechend ihrer Expertise aussuchen. Die EFSA habe allein den Auftrag, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, unabhängig von wirtschaftlichen Interessen.