Polizei verhindert Feldzerstörung

Debatte über gentechnisch veränderten Weizen in Großbritannien

Ein Freisetzungsversuch mit gentechnisch verändertem Weizen in der Nähe von London kann weitergehen. Die Polizei verhinderte die für den 27. Mai geplante Zerstörung. Vorausgegangen war eine breite öffentliche Debatte in ganz Großbritannien, in der die Wissenschaftler offensiv auf die Kritiker zugingen. Letztere argumentierten, das Forschungsprojekt sei überflüssig und würde nur Umweltrisiken mit sich bringen. Die Wissenschaftler stellten per Video, Blog und Twitter dar, dass sie versuchen, zu einer umweltfreundlicheren Landwirtschaft beizutragen. Eine Online-Petition gegen die Feldzerstörung erreichte über 6000 Unterschriften.

Weizenversuch Rothamsted, Aktivisten

Demonstration gegen Freisetzung von gv-Weizen bei London am 27. Mai. Die Organisatoren hatten zur Zerstörung des Versuchsfeldes aufgerufen, das Gelände wurde aber von einem großen Polizeiaufgebot abgeschirmt. Foto: Dave Harris

Weizen

Wissenschaftler des Rothamsted Research Institute haben Weizen gentechnisch so verändert, dass er besser gegen Blattläuse geschützt ist.

Weizenlaus Sitobion avenae

Sitobion avenae, die Große Getreideblattlaus, ist ein Problem vor allem im Weizenanbau.

Nachdem die Initiative Take the flour back öffentlich angekündigt hatte, das Versuchsfeld am Rothamsted Research Institute am 27. Mai zu zerstören, erhielt sie am 1. Mai eine öffentliche Videobotschaft. Darin erläutern vier beteiligte Wissenschaftler ihr Forschungsprojekt, bitten die Kritiker, das Versuchsfeld nicht zu zerstören, und fordern sie zur Diskussion auf. Der Appell wurde – auch in Schriftform – auf der Internetseite der Organisation Sense about Science veröffentlicht, zusammen mit einer Online-Petition gegen die Zerstörung des Versuchs. Zahlreiche Zeitungen berichteten darüber, und am 22. Mai trafen Vertreter beider Seiten im Fernsehen bei der BBC Newsnight aufeinander.

Das Forschungsprojekt:
Schädlingsresistenter Weizen

Die Wissenschaftler hatten im Rahmen öffentlich geförderter Forschung ein Gen, mit dem manche Pflanzen sich gegen Läuse schützen, auf Weizen übertragen. Konventionell angebauter Weizen wird in Großbritannien zum großen Teil mit Breitband-Insektiziden behandelt, um Läuse zu bekämpfen. Die Läuse saugen Pflanzensäfte und übertragen Viren, können also für beträchtliche Schäden sorgen. Der Gebrauch von Insektiziden kann dazu führen, dass die Schädlinge resistent werden und dass Nicht-Zielorganismen geschädigt werden. Außerdem müssen die Insektizide mit Hilfe von Landmaschinen auf das Feld gebracht werden, die Energie verbrauchen.

Der transgene Weizen trägt ein Gen aus Minze, das die Information für ein chemisches Alarmsignal für Läuse enthält: Die Läuse flüchten, sobald sie mit der Substanz (E)-ß-Farnesen in Kontakt kommen. Gleichzeitig werden dadurch ihre natürlichen Feinde, z.B. Marienkäfer, angelockt. Zusätzlich trägt der Weizen ein Gen für ein Enzym, das das Vorläufermolekül für (E)-ß-Farnesen bildet. Dieses Enzym, die Farnesyl-Pyrophosphat-Synthase (FPPS), kommt praktisch in allen Organismen vor, wobei es artspezifische Unterschiede in der Gensequenz gibt. Auch Weizen besitzt ein FPPS-Gen, dem transgenen Weizen wurde aber noch ein weiteres übertragen, damit das (E)-ß-Farnesen effizienter produziert wird. Das zusätzliche FPPS-Gen wurde künstlich synthetisiert. Seine DNA-Sequenz ähnelt am meisten derjenigen aus Rindern.

Dieses „Kuh-Gen“ war es, das Pate stand für das Logo der Kampagne Take the flour back: Ein Toastbrot mit den Beinen und dem Kopf einer Kuh. Die Vorstellung, ein tierisches Gen sei in Weizen eingebracht worden, brachte viele Menschen gegen das Forschungsprojekt auf.

Die Diskussion: Chancen versus Risiken

Die Kritiker befürchteten vor allem, dass die transgenen Weizenpflanzen auskreuzen könnten. Dies sei nicht nur im Hinblick auf die beiden Zielgene ein Problem, sondern auch wegen der Resistenz gegen das Herbizid Glufosinat, die als Marker eingebracht wurde. Durch Auskreuzung könnten glufosinatresistente Wildgräser entstehen. Außerdem sei denkbar, dass der Duftstoff Nicht-Zielorganismen schädige oder dass ein verändertes Verhalten der Läuse und eine veränderte stoffliche Zusammensetzung der Weizenpflanzen Veränderungen im Ökosystem bewirken.

Dem entgegneten die Wissenschaftler, dass mögliche agarökologische Auswirkungen doch gerade mit dem aktuellen Feldversuch erforscht werden sollten. Die Gefahr einer Auskreuzung liege nahe null, da Weizen ein Selbstbestäuber sei. Dennoch sei ein Sicherheitsstreifen mit konventionellem Weizen um das Versuchsfeld gezogen worden, und der Zaun verhindere eine Verschleppung durch Tiere.

Ein weiterer Vorwurf lautete, das Forschungsprojekt sei überflüssig. Die gentechnischen Veränderungen wurden an Sommerweizen vorgenommen, der in Großbritannien kaum angebaut wird und bei dem Läuse kein Problem sind. Generell hätten Erfahrungen mit insekten- und herbizidresistenten gv-Pflanzen gezeigt, dass sich Resistenzen bilden und der Verbrauch der Chemikalien am Ende steige. Biolandbau sei die bessere Lösung. Die Kritiker wiesen darauf hin, dass am Rothamsted Research Institute selbst in jüngster Vergangenheit das so genannte Companion Cropping erprobt wurde. Dabei werden gemeinsam mit den Nutzpflanzen andere Pflanzen angebaut, die Duftstoffe absondern, welche Schädlinge vertreiben.

Die Wissenschaftler betonten, Sommerweizen sei in diesem Fall nur eine Modellpflanze. Die spätere Übertragung der neuen Gene auf Winterweizen sei problemlos möglich. Companion Cropping sei sehr arbeitsintensiv und vor allem für kleine Subsistenzbetriebe z.B. in Afrika geeignet; für eine Hochleistungslandwirtschaft wie in Großbritannien sei das zu aufwendig.

Schließlich stellten die Kritiker die Aussage der Wissenschaftler in Frage, es handele sich um ein rein öffentliches Forschungsprojekt, das nicht auf Kommerzialisierung und Patentierung ausgelegt sei. Die Kritiker verwiesen auf die zahlreichen Industriekooperationen des Rothamsted Research Institute. Wenn diese Pflanzen tatsächlich angebaut werden sollten, sei es unvermeidlich, sie kommerziell zu vertreiben, und die Möglichkeiten dazu hätten nur große Firmen.

Wissenschaftler suchen die Öffentlichkeit

Es ist nicht zuletzt dem offensiven Verhalten der Wissenschaftler zu verdanken, dass in den letzten Wochen in der britischen Öffentlichkeit intensiv über die Grüne Gentechnik diskutiert wurde. Die Online-Petition gegen die Feldzerstörung erhielt bis zum 27. Mai rund 6000 Unterschriften aus der gesamten Bevölkerung. Da Take the flour back aber nicht von der Feldzerstörung abrückte, wurde das Versuchsfeld am Ende von der Polizei geschützt. Am 27. Mai erschienen am Institutsgelände etwa 400 Gentechnik-Gegner und ungefähr genauso viele Polizisten. Es blieb bei einer friedlichen mehrstündigen Demonstration im Rothamsted Park. In der folgenden Nacht wurde allerdings der Server des Forschungsinstitut durch einen Cyber-Angriff für mehrere Stunden lahmgelegt. Doch der Freisetzungsversuch kann weitergehen, die Debatte über Grüne Gentechnik auch.