US-Regierung leitet ein WTO-Verfahren gegen die EU ein

Handelskonflikt um Grüne Gentechnik

(15.05.2003) Welches Schutzniveau für Mensch, Tier und Umwelt ist mit den internationalen Handelsregeln vereinbar? Um diese Frage wird es im Kern eines WTO-Schiedsverfahrens gehen, das die USA jetzt gegen das EU-Moratorium für gentechnisch veränderte Organismen angestrengt haben.

Der Schritt kam nicht überraschend, nur der Zeitpunkt war zuletzt noch unklar: Dass die USA den in der Europäischen Union seit Oktober 1998 wirksamen Zulassungsstopp für gentechnisch veränderte Organismen (GVO) früher oder später vor der Welt-Handelsorganisation (WTO) anfechten würden, hatte der US-Handelsbeauftragte Robert Zoellick bereits mehrfach angekündigt.

Robert B. Zoellick, Handelsbeauftragter der US-Regierung: „Fünf Jahre haben wir geduldig gewartet, dass die EU den WTO-Regeln und den Empfehlungen der Europäischen Kommission folgt und die wissenschaftlich bewiesene Sicherheit [von GVO] anerkennt.“
Foto: US-Botschaft in Deutschland

EU-Verbraucher- kommissar David Byrne: Die EU ist kurz davor, ihr Zulassungssystem für GVOs zu komplettieren.

EU-Außenhandels- kommissar Paul Lamy ist der Überzeugung, dass das europäische Zulassungsverfahren mit den WTO-Regeln übereinstimmt. „Es gibt keinen Fall, den die WTO prüfen müsste.“

Am 13. Mai beantragten die USA nun die Aufnahme formeller Konsultationen mit der Europäischen Union. Das ist der erste Schritt in einem vorgezeichneten Schiedsverfahren nach den Bestimmungen der Genfer Welthandelsorganisation.

Doch die USA fechten nicht nur die Aussetzung von GVO-Zulassungen in der EU an, sondern auch nationale Vermarktungs- und Einfuhrverbote, die von einigen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft erlassen wurden, darunter Österreich, Frankreich und Italien. Im Falle Deutschlands wollen die USA den im März 2000 angeordneten Stopp der Freisetzungsgenehmigung für Bt-176-Mais des Unternehmens Novartis (heute Syngenta) überprüfen lassen. Der WTO-Beschwerde haben sich Argentinien, Kanada und Ägypten angeschlossen. Unterstützung erhalten die USA auch von Australien, Neuseeland, Chile, Kolumbien, El Salvador, Honduras, Mexiko, Peru und Uruguay.

Handelsabkommen: Enger Spielraum für nationale Sonderwege

Die Regierung in Washington stützt ihre Beschwerde an erster Stelle auf das WTO-Übereinkommen über sanitäre und phytosanitäre Maßnahmen (SPS-Übereinkommen), im weiteren auf das Allgemeine Zoll- und Handelsabkommen (GATT), das WTO-Sonderabkommen über die Landwirtschaft und das Übereinkommen über technische Handelshemmnisse (TBT-Übereinkommen).

Das SPS-Übereinkommen ist maßgeblich für alle Anweisungen, die zum Schutz von Leben und Gesundheit von Mensch, Tier oder Pflanze vor Seuchen und Krankheiten erlassen werden. Das Abkommen besagt, dass Schutzmaßnahmen, die ein Staat ergreift, sich auf eine wissenschaftliche Risikobewertung stützen müssen und kein verstecktes Handelshemmnis darstellen dürfen. Nach dem Vorsorgeprinzip sind befristet auch dann Maßnahmen zulässig, wenn ihre Notwendigkeit noch nicht wissenschaftlich eindeutig erwiesen ist.

Die WTO wird zu entscheiden haben, ob sich die EU im Rahmen des SPS-Abkommens bewegt oder ob sie mit ihrer Zulassungspolitik tatsächlich ein nicht zu rechtfertigendes, verstecktes Handelshemmnis aufgebaut hat.

Parallelen drängen sich auf zum Handelsstreit um den Einsatz von Masthormonen in der Rinderhaltung: Seit 1989 ist in der EU die Einfuhr von Rindfleisch, das unter Verwendung bestimmter Wachstumsförderer erzeugt wurde, zum Schutz der menschlichen Gesundheit verboten. Die USA haben dieses Verbot in der WTO im März 1996 angefochten. Sie stützten sich dabei ebenfalls auf das SPS-Abkommen.

Die WTO entschied knapp zwei Jahre später, dass das EU-Einfuhrverbot nicht auf einer angemessenen Bewertung der Risiken für die menschliche Gesundheit basiert. Seit August 1999 dürfen die USA nun zum Ausgleich ihrer Exporteinbußen Strafzölle in Höhe jährlich knapp 117 Mio. US-Dollar auf Lieferungen von EU-Waren erheben.

Im Zuge dieses ersten Verfahrens zur Auslegung des SPS-Abkommens entschied die WTO aber auch, dass ein WTO-Mitglied

  • das Recht hat, auf seinem Hoheitsgebiet das Maß an Gesundheitsschutz zu bestimmen, das es für angemessen hält;
  • berechtigt ist, Schutzmaßnahmen nicht allein auf Basis einer quantitativen Risikobewertung zu treffen, sondern auch aus anderen Erwägungen;
  • und nicht verpflichtet ist, sich der vorherrschenden wissenschaftlichen Auffassung anzuschließen.

GVO-Pflanzen: Schlechte Chancen für US-Importe in Europa

Aus Sicht der USA geht es bei dem nun eingeleiteten GVO-Handelsstreit um wirtschaftlich bedeutende Märkte.

Die US-Farmer haben durch den Anbau von gentechnisch veränderten Mais- und Sojapflanzen ihre Exportchancen verschlechtert. Die Einfuhren der Europäischen Union an Mais aus den USA sind seit 1995 von 3,3 Mio. t auf 26 000 t im Jahr 2002 gesunken, die Sojaimporte von 9,8 Mio. t auf 5,5 Mio. t. Davon profitiert vor allem Brasilien, das „GVO-freie“ Soja-Lieferungen anbietet. Die USA lehnen dagegen eine Trennung transgener und konventioneller Erzeugnisse als unverhältnismäßig und unpraktikabel ab.

In den USA werden verschiedene GVO-Sorten angebaut, die in den EU infolge des Moratoriums bisher keine Zulassung erhalten haben. US-Exporte sind in der EU nur marktfähig, wenn sie frei von dort nicht zugelassenen GVOs sind. Da dieses aus Sicht der USA mit vertretbarem Aufwand nicht erreichbar ist, verlieren die US-Farmer jährlich geschätzte 300 Mio. US-Dollar an Exporteinnahmen.

Das betroffene Handelsvolumen ist von Bedeutung für die eventuelle Festlegung von Strafzöllen durch die WTO. Der EU wurden von der WTO gerade 4 Mrd. US-Dollar an Strafzöllen zugebilligt, um unberechtigte Handelsvorteile der USA durch deren Exportförderungs- maßnahmen (Foreign Sales companies - FSC) auszugleichen. Diese Zölle werden von Brüssel bislang nicht erhoben.

Die Regeln des Handelskonflikts: Ein kompliziertes Verfahren

Mit der jetzigen Aufnahme der formellen Konsultationen steht das WTO-Schiedsverfahren ganz am Anfang.

  • Die Konsultationsphase kann bis zu 60 Tage dauern.
  • Wenn sich die beiden Streitparteien nicht einigen, wovon auszugehen ist, können die USA die Einrichtung eines so genannten Panels beantragen. Das in der Regel dreiköpfige Gremium muss innerhalb eines Jahres beurteilen, ob die umstrittene Maßnahme mit den Bestimmungen der WTO im Einklang steht.
  • Gegen den Panelbericht kann jede Streitpartei innerhalb von 60 Tagen Berufung einlegen.
  • Der Panelbericht, oder im Berufungsfall der Bericht des Berufungsorgans, wird dem Allgemeinen Rat der WTO als Streitschlichter (dispute settlement body) zur Entscheidung vorgelegt. Wer den Streit verliert, muss den Empfehlungen des Berichts unverzüglich folgen. In der Regel wird die Aufhebung der umstrittenen Maßnahme verlangt. Das Streitschlichtungsorgan kann für die Umsetzung des Berichts eine Frist von höchstens 15 Monaten einräumen.
  • Falls der Unterlegene den Empfehlungen nicht folgt, kann dies wiederum Gegenstand eines - beschleunigten - Streitschlichtungsverfahren (fast track panel) werden.
  • Als letzte Maßnahme bleibt dem Gewinner des Verfahrens, Strafzölle zu beantragen. Deren Höhe wird in einem besonderen Streitschlichtungsverfahren bestimmt.

Fazit: Ein WTO-Schiedsverfahren ist eine langwierige Angelegenheit. Bis zur Verhängung von Strafzöllen können Jahre vergehen. Und selbst dann kann sich der im Handelsstreit Unterlegene dafür entscheiden, lieber die Strafzölle zu zahlen als die Schutzmaßnahme aufzuheben, wie der Fall „Hormonfleisch“ zeigt.

Der Marktzugang ist also nicht ohne weiteres erzwingbar. Jedoch hat die Brüsseler Kommission selbst bereits mehrfach betont, dass der Zulassungsstopp enden soll, sobald der neue europäische Rechtsrahmen für die Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von GVO steht. Dies soll noch in diesem Jahr der Fall sein. Der WTO-Streit wäre dann obsolet. Bis dahin wird das von den USA angestrengte Verfahren die öffentliche Debatte um die Nutzung der Gentechnik allerdings spürbar belasten.