Debatte: Was ist ein ökologischer Schaden?

„Es muss damit gerechnet werden, dass die mit Hilfe der Gentechnik möglichen tief greifenden Veränderungen noch bevorstehen.“

Dr. Helmut Gaugitsch, österreichisches Umweltbundesamt, Wien, Abteilung Umweltfolgenabschätzung und Biologische Sicherheit, Arbeiten im Bereich Risikoabschätzung und Monitoring von GVO.

bioSicherheit: Was betrachten Sie als ökologischen Schaden - allgemein und im Zusammenhang mit der Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen?

Helmut Gaugitsch: Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist eine Definition des Begriffs „ökologischer Schaden“ allgemein und im Zusammenhang mit gv-Pflanzen nicht möglich. Ein auf wissenschaftlicher Basis erarbeitetes und einer gesellschaftspolitischen Diskussion unterzogenes gemeinsames Verständnis fehlt bislang, hier besteht also Handlungsbedarf.

Anhaltspunkte für eine Definition liefern beispielsweise der deutsche Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) in seinen Jahresberichten bzw. die EU – Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG sowie der Entwurf der EU – Umwelthaftungsrichtlinie. Gemeinsam ist diesen Ansätzen die Messbarkeit der nachteiligen Beeinflussung/des Schadens gegenüber einem Vergleichszustand und die längerfristige bzw. irreversible Wirkung.

Allgemein und im Zusammenhang mit gv-Pflanzen sollten daher wissenschaftliche Kriterien zur Definition eines „ökologischen Schadens“ erarbeitet werden, sowie auch Kriterien und Methoden zur Messung eines Schadens. Aufbauend auf den Erfahrungen z.B. im Chemikalienbereich sind die Eckpunkte einer Risikoabschätzung festzulegen: Gefahrenabschätzung, Einwirkungsanalyse, Endpunkte (mögliche ökologische Schäden) bzw. Indikatoren. Insbesondere auch für gv-Pflanzen ist aufgrund der neuen Technologie und der bestehenden wissenschaftlichen Unsicherheiten ein vorsorgender Ansatz zu wählen, der auch mögliche indirekte und langfristige Effekte berücksichtigt. Die Komplexität von Ökosystemen stellt dabei eine große Herausforderung dar. Ökologische Schäden können auch nicht nur monetär beziffert werden. Letztendlich ist ein Verständnis von ökologischen Schäden nicht rein wissenschaftlich definierbar, sondern auch von Werthaltungen geprägt. Zum wissenschaftlichen Fundament ist daher auch eine breite gesellschaftspolitische Diskussion für ein gemeinsames Verständnis des Begriffs notwendig.

bioSicherheit: Wie unterscheiden Sie zwischen „ökologischem Schaden“ und „akzeptabler Umweltbeeinflussung“?

Helmut Gaugitsch: Die wesentlichen Unterschiede sind Eingriffstiefe, Dauer der Beeinflussung und die Frage der Reversibilität.

bioSicherheit: Wie können Veränderungen der Ökosysteme durch gv-Pflanzen bewertet werde? Welche Bewertungsmaßstäbe lassen Sie dabei gelten? – Nur naturwissenschaftliche oder auch ethische, religiöse, sozio-ökonomische?

Helmut Gaugitsch: Eine fundierte Risikoabschätzung von gv-Pflanzen muss darauf abzielen, das Ausbreitungs- bzw. Verwilderungspotenzial im Vergleich zur Empfängerpflanze, Gentransfer und daraus resultierende Auswirkungen sowie die ableitbaren Effekte auf die biologische Vielfalt zu beurteilen. Die EU-Freisetzungsrichtlinie 2001/18/EG und die darin enthaltenen Kriterien zur Risikoabschätzung stellen dafür eine gute Basis dar. Mögliche Auswirkungen und Risiken von gv-Pflanzen können auf mehreren Ebenen gesehen und bewertet werden:

  • Primäre ökologische Auswirkungen, z.B. Verstärkung der Unkrauteigenschaften, Gentransfer
  • Sekundäre ökologische Auswirkungen (z.B. Pflanzenschutzmitteleinsatz, landwirtschaftliche Praxis)
  • sozioökonomische Auswirkungen, z.B. Produktionsweise, landwirtschaftliche Strukturen, „Dritte Welt Problematik“

Derzeit wird die Diskussion vor allem auf der ersten Ebene geführt und greift daher oft zu kurz. Es ist jedoch wichtig, klar darzustellen, auf welcher Bewertungsebene man sich bei einer bestimmten Einschätzung gerade befindet.

bioSicherheit: Gibt es für gv-Pflanzen besondere Anforderungen bezüglich der Ausgestaltung und Anwendung des Vorsorgeprinzips?

Helmut Gaugitsch: Die qualitativen und quantitativen Unterschiede der Gentechnik zu konventionelleren Methoden der genetischen Veränderung und die noch vergleichsweise geringe Erfahrung mit GV-Pflanzen in der Umwelt - erste Freisetzung 1986 - müssen bei der Risikoabschätzung auf Basis des Vorsorgeprinzips mitberücksichtigt werden. Die Gentechnik unterscheidet sich von genetischen Veränderungen durch natürliche Evolution oder auch konventionelle Züchtung vor allem durch

  • die Überschreitung von Artgrenzen
  • die Geschwindigkeit, mit der damit genetische Veränderungen herbeigeführt werden können.

Die relativ große Zahl an Freisetzungen bisher weltweit und auch in der EU bedeutet natürlich einen Erfahrungsgewinn bezüglich möglicher Auswirkungen, allerdings nach wie vor mit einer eingeschränkten Zahl an Nutzpflanzen und Genen, in einigen Ökosystemen. Außerdem mangelt es oft an Programmen zur begleitenden Beobachtung möglicher ökologischer Effekte. Eine differenzierte Betrachtungsweise erscheint daher nach wie vor angebracht, da damit gerechnet werden muss, dass die mit Hilfe der Gentechnik möglichen tief greifenden Veränderungen noch bevorstehen. Auch die Zeitspanne seit der ersten Freisetzung von gv-Pflanzen ist noch sehr kurz. Von ausreichenden Erfahrungen kann daher besonders im Hinblick auf die Beurteilung ökologischer Langzeitwirkungen nicht gesprochen werden.