Debatte: Was ist ein ökologischer Schaden?

„Insbesondere dort, wo genetische Informationen verloren gehen, liegt ein ökologischer Schaden vor.“

Dr. Roger J. Busch, Universität München, Ethik-Institut Technik-Theologie- Naturwissenschaften (TTN), Beauftragter für Naturwissenschaft und Technik in der Evang.-Luth. Kirche in Bayern

bioSicherheit: Was betrachten Sie als ökologischen Schaden - allgemein und im Zusammenhang mit der Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen?

Roger Busch: Von einem „ökologischen Schaden“ sollten wir dann sprechen, wenn er von Menschen herbeigeführt oder doch zumindest angestoßen wurde. Ökologische Veränderungen, die nicht vom Menschen herbeigeführt oder angestoßen wurden, müssen demgegenüber als vielleicht unerwünschte, jedenfalls aber hinzunehmende „Veränderungen“ betrachtet werden. Der Begriff „Schaden“ beinhaltet die Wertung eines menschlichen Handelns. Insofern ist ein Handelnder (aufgrund von Vorsatz oder auch Leichtsinn) Adressat des Hinweises. Die Natur kann dies der Sache nach nicht sein.

Pflanzen – vorzugsweise Kulturpflanzen – werden durch den Menschen durch Züchtung und Auslese im Blick auf gewünschte und/oder benötigte Eigenschaften verändert. Dies betrifft den gestaltenden Zugriff des Menschen seit jeher und – möglicherweise in intensivierter Form – seit Nutzung gentechnischer Verfahren. Das Einbringen neuer Eigenschaften in Kulturpflanzen – ob durch Züchtung oder mit Hilfe der Gentechnik – ist in dieser Hinsicht zunächst gleich zu bewerten.

Konkreter: Der Züchter hat die Wirkungen seiner Pflanze in den vorgesehenen Ökosystemen ebenso zu untersuchen wie der Biotechnologe, der gentechnisch modifizierte Pflanzen entwickelt und der weiteren Züchtung übergibt. Einen „ökologischen Schaden“ können beide anrichten. Der wäre gegeben, wenn das relevante Ökosystem, in das die Pflanze eingebracht wird, irreversibel oder doch massiv geschädigt würde: z.B. durch Vernichtung von wichtigen Organismen im Boden, durch Vernichtung von Nützlingen, durch Auskreuzung solcher Eigenschaften auf wildverwandte Pflanzen, denen ein Selektionsvorteil zuteil würde, der das relevante Ökosystem schwächt und in der Folge weitere menschliche Erhaltungsmaßnahmen notwendig machte.

bioSicherheit: Wie unterscheiden Sie zwischen „ökologischem Schaden“ und „akzeptabler Umweltbeeinflussung“?

Roger Busch: Durch Züchtung haben die Menschen Kulturpflanzen entwickelt, die sich weit von ihren Ahnen entfernt haben. Diese Kulturpflanzen werden in der Regel wirtschaftlich genutzt. Insofern sind Äcker und Felder aus der Perspektive der Landwirte Wirtschaftsflächen. Diese Nutzung natürlicher Ressourcen muss der Mensch in Anspruch nehmen, um leben zu können. Die Veränderung des Natürlichen gehört auch damit zum Menschsein dazu. Akzeptabel ist die Veränderung und Beeinflussung der Umwelt, wo diejenigen, die „später“ kommen, die Möglichkeit haben, andere Wege zu gehen: eine andere Form der Landnutzung, den Zugriff auf genetische Informationen solcher Pflanzen, die von den Vorgängern nicht genutzt wurden. Insbesondere dort, wo solche genetischen Informationen verloren gehen, liegt ein ökologischer Schaden vor. Insofern kommt der Sicherung der genetischen Informationen heute existierender Pflanzen (nicht allein der Kulturpflanzen) erhebliche Bedeutung zu.

bioSicherheit: Wie können Veränderungen der Ökosysteme durch gv-Pflanzen bewertet werden? Welche Bewertungsmaßstäbe lassen Sie dabei gelten? – Nur naturwissenschaftliche oder auch ethische, religiöse, sozio-ökonomische?

Roger Busch: Voraussetzung einer Bewertung der Veränderung von Ökosystemen muss das Vorliegen verlässlicher, gesicherter, naturwissenschaftlicher Daten sein. Auf deren Basis muss ein interdisziplinärer Deutungs- und Bewertungsprozess einsetzen. Im Rahmen dieses Nachdenkens sind ästhetische Aspekte ebenso wichtig wie wirtschaftliche, kulturelle und ethische Überlegungen und Folgenabschätzungen.

Aus ethischer Perspektive ist klar, dass es keine pauschale Bewertung der „Grünen Gentechnik“ geben kann. Bewertungen müssen fallweise erfolgen. Orientierungsgröße ist das Leitbild einer „Nachhaltigen Entwicklung“, wie es in Rio 1992 skizziert wurde. Jedweder Eingriff des Menschen in die Ökosysteme muss sich messen lassen an den damit in Gang gesetzten Wirkungsprozessen in den Ziel-Bereichen der ökologischen Stabilisierung, der Sicherung des Wohlstands und der sozialen Sicherheit. Gentechnische Veränderungen von Kulturpflanzen unterliegen in dieser Hinsicht denselben Anforderungen wie solche durch traditionelle Züchtung.

bioSicherheit: Gibt es für gv-Pflanzen besondere Anforderungen bezüglich der Ausgestaltung und Anwendung des Vorsorgeprinzips?

Roger Busch: Das Vorsorgeprinzip mit seinen regulierenden Eingriffen in Vorhaben von Wirtschaft und/oder Forschung, wie es seitens der EU-Kommission im Jahr 2000 formuliert wurde, darf von den Regierungen und ihren nachgeordneten Behörden nur in besonderen Fällen angewendet werden. Dabei geht es (1) um Projekte, die begründeten Anlass zur Sorge geben, dass sie die Umwelt und/oder die Gesundheit von Menschen, Tieren oder Pflanzen gefährden könnten; (2) muss deutlich sein, dass dieses Risiko mit den verfügbaren wissenschaftlichen Methoden nicht mit hinreichender Sicherheit bestimmt werden kann.

Der politische bzw. verwaltungstechnische Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip darf ausdrücklich nicht aus rein wirtschaftlichen Gründen – etwa zum Schutz des heimischen Marktes – geschehen.

Nimmt man die Vorgabe der EU-Kommission ernst, so kommt der naturwissenschaftlichen Bewertung eines Vorhabens – und sei es eine gentechnisch veränderte Kulturpflanze – erhebliche und grundlegende Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang sind international verfügbare Studien und Langzeitbeobachtungen heranzuziehen. Besondere Anforderungen an die Entwicklung bzw. den Anbau gentechnisch veränderter Kulturpflanzen müssen deshalb nicht formuliert werden. Das Erfordernis, vor dem Einbringen einer technischen Neuheit in ein geprägtes Umfeld die zu erwartenden Wirkungen gründlich abgeschätzt zu haben, dürfte die Messlatte schon hoch genug setzen.