Debatte: Was ist ein ökologischer Schaden?

„Akzeptabel wäre der Schaden für mich dann, wenn es ein Leichtes wäre, ihn rückgängig zu machen oder ernsthaft anderswo auszugleichen.“

Gesine Schütte 2

Dr. Gesine Schütte, Universität Hamburg, Forschungsschwerpunkt Biotechnik, Gesellschaft und Umwelt (FSP BIOGUM) Forschungsgruppe Landwirtschaft und Pflanzenzüchtung, Forschung und Wissenstransfer zu den ökologischen Wirkungen transgener Organismen in der Landwirtschaft

bioSicherheit: Was betrachten Sie als ökologischen Schaden - allgemein und im Zusammenhang mit der Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen?

Gesine Schütte: „Ökologischen Schaden“ allgemein definieren zu wollen ist ein unerfüllbares Anliegen, insbesondere weil viele wichtige Zusammenhänge in der Natur noch nicht bekannt sind und man viele Phänomene nicht erklären kann.

Trotzdem fällt der Begriff in Diskussionen und meistens ist damit etwas gemeint, was vermieden werden sollte oder rückgängig gemacht werden sollte oder auf andere Weise ausgeglichen werden sollte, wenn die ersten beiden Möglichkeiten ausfallen.

Wenn ich den Begriff „ökologischer Schaden“ also nicht definiere - denn dann sind meine Wertungen ja in der Definition enthalten und jemand anders hat vielleicht andere Vorstellungen -, sondern sage, was aus meiner Sicht vermieden werden sollte, dann kann ich mich anschließend über diese Fragen unterhalten und muss es nicht indirekt über einen Streit um Definitionen tun, zu denen der Mensch noch gar nicht in der Lage ist.

Was sollte also bei der Nutzung gentechnisch veränderter Pflanzen in Hinsicht auf den Naturhaushalt - Ökologie als Haushalt der Natur verstanden - vermieden werden?

Wir verstehen natürlich auch noch nicht genug, um diese Frage sachlich umfassend und sicher beantworten zu können. Wir können uns daran orientieren, was bisher von vielen Menschen aus der Erfahrung heraus als schädlich für den Naturhaushalt angesehen wurde:

Dazu zählen zum Beispiel der Rückgang der Arten, der ja auch unsere Regionen und nicht etwa nur die tropischen Wälder betrifft, oder die Belastung der Böden und Gewässer mit Nitrat, die ihrerseits viele Pflanzenarten und das Leben in der Ostsee gefährdet, weil das Nitrat Prozesse in Gang setzt, die zum tödlichen Sauerstoffmangel im Wasser führen.

Gerade bei der Frage des Artenrückgangs hat sich gezeigt, dass der Anbau der gentechnisch veränderten herbizidresistenten Pflanzen stärkere Verluste als der mit herkömmlichen Herbiziden verursacht. Bei Mais ist die Frage umstritten. Für herbizidresistente Zuckerrüben- und Rapssorten hat man auf über 60 verschiedenen Feldern an repräsentativen Standorten Verluste bei Pflanzen und Insekten festgestellt. Auch viele Nützlinge waren betroffen.

Bei insektenresistenten Pflanzen fällt die Bewertung in Hinsicht auf die Artenvielfalt je nach Tiergruppe zum Teil besser aus als bei herkömmlichen Sorten. Meist wird nur ein Teil der Insektizide eingespart und durch das Insektengift in der Pflanze ersetzt. Aber, wenn die Sorten auch dort angebaut werden, wo vorher keine Insektizide eingesetzt wurden, ist die Wirkung insgesamt nachteilig. Genau das ist in Amerika auf vielen Maisflächen der Fall, und ist auch für den Anbau in Europa zu erwarten. Vögel finden dann weniger Nahrung - und viele Vögel sind in ihren Beständen bedroht.

bioSicherheit: Wie unterscheiden Sie zwischen „ökologischem Schaden“ und „akzeptabler Umweltbeeinflussung“?

Gesine Schütte: Akzeptabel wäre der Schaden für mich dann, wenn es ein Leichtes wäre, ihn rückgängig zu machen oder ernsthaft anderswo auszugleichen.

Was den Rückgang der Wildpflanzen in landwirtschaftlichen Gebieten betrifft, weiß man aus der Naturschutzforschung, dass dies nach lang anhaltender intensiver Bekämpfung meistens nicht mehr gelingt, auch wenn man wieder anfängt schonend zu wirtschaften. Die speziellen Pflanzensamen sind oft nicht mehr im Boden. In der Schweiz hat man statt dessen begonnen, Mischungen von züchterisch produziertem Wildpflanzen-Saatgut einzusetzen, damit die Insekten und Wirbeltiere wieder etwas zu fressen haben und Schutz finden. Diese Methode ist nicht billig! Kein anderes Land hat sich zu solchen Maßnahmen entschlossen. Naturschützer beklagen zudem, dass mit dieser Methode Reste von regions- und standorttypischen Pflanzen ganz verdrängt werden. Damit gehen Genotypen und ein Teil der genetischen Vielfalt der Pflanzen verloren, während ein Teil der Tiere erhalten werden kann. Das ist nur teilweise ein „Rückgängig-Machen“. Ein Ausgleich ist es auch nur für die Tiere, die nicht auf die standorttypischen Pflanzen angewiesen sind. Davon gibt es viele und gerade die sind bedroht. Besonders kritisch ist es natürlich, wenn Nützlinge in der Landwirtschaft getroffen werden, ohne die man noch mehr Pflanzenschutzmittel braucht.

Daher komme ich in meinem Beispiel zu dem Urteil, dass ein inakzeptabler Schaden entsteht, und dass man sich etwas einfallen lassen muss, damit es nicht soweit kommt - mit oder ohne Gentechnik.

Der Aufwand, Vogelarten wieder anzusiedeln, kann gering sein, wenn die Art in erreichbarer Entfernung noch relativ häufig ist, kann aber auch extrem hoch sein. Außerdem können durch das Ausbleiben der Vögel andere wichtige Prozesse unwiederbringlich gestört werden. Vögel verbreiten wichtige Pflanzensamen und sogar kleine Tiere, die meist wiederum andere Funktionen in ihrem Lebensraum erfüllen.

bioSicherheit: Wie können Veränderungen der Ökosysteme durch gv-Pflanzen bewertet werde? Welche Bewertungsmaßstäbe lassen Sie dabei gelten? – Nur naturwissenschaftliche oder auch ethische, religiöse, sozio-ökonomische?

Gesine Schütte: Ich denke, dass naturwissenschaftliche Bewertungsmaßstäbe nicht ausreichen. Es sollte möglich sein, verschiedenen Werten, Vorstellungen und Lebenswelten, die unterschiedlichen Gruppen wichtig sind, gerecht zu werden. Es geht ja nicht nur um Wissen, sondern auch um Wertvorstellungen. Sozio-ökonomische Maßstäbe gehören natürlich auch dazu.

bioSicherheit: Gibt es für gv-Pflanzen besondere Anforderungen bezüglich der Ausgestaltung und Anwendung des Vorsorgeprinzips?

Gesine Schütte: Ja, denn mit der Gentechnik kann man Eigenschaften sehr stark, relativ schnell, und in einer in der Natur nicht auffindbaren Weise verändern. Es können Gene in Organismen eingeführt werden, die dort nie regelmäßig vorlagen. Manche Eigenschaften, wie etwa die Herbizidresistenz, findet man zwar zum Teil auch in Sorten aus der klassischen Züchtung, aber die Vielzahl der Sorten, die mit der Einführung der Gentechnik herbizidresistent wurden, zeigt, dass es so einfacher bzw. schneller möglich ist. Vorsorge ist somit besonders wichtig. Natürlich kann man mit der Gentechnik auch Veränderungen vornehmen, die nicht so neu oder stark sind und in solchen Fällen - man sollte von Fall zu Fall unterscheiden - kann man auch „lockerer“ herangehen - es sei denn, es hat sich ein Schaden gezeigt.