EU-Parlament stimmt für Änderung der Gentechnik-Richtlinie

EU-Staaten sollen gentechnisch veränderte Pflanzen verbieten dürfen

Das EU-Parlament stimmte am 5. Juli in Straßburg in erster Lesung einem Gesetzesvorschlag zu, der es den EU-Staaten ermöglicht, den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen zu verbieten. Die EU-Kommission hatte vorgeschlagen, den zentralen EU-Zulassungsprozess mit der wissenschaftlichen Prüfung von Gesundheits- und Umweltrisiken beizubehalten, zukünftig aber nationale Anbauverbote etwa aus ethischen, sozialen oder kulturellen Gründen zu ermöglichen. Der Antrag des EU-Umweltausschusses sieht dagegen vor, auch Umweltschutzgründe, volkswirtschaftliche Kosten und wissenschaftliche Unsicherheiten als Begründung für nationale Anbauverbote zuzulassen.

Corinne Lepage

„Unser Vorschlag schafft eine solide rechtliche Grundlage“, sagte Corinne Lepage, Mitglied der liberaldemokratischen ALDE-Fraktion im EU-Parlament und Berichterstatterin des Umweltausschusses.

Quelle: blogs.taz.de

Hintergrund der Abstimmung ist die jahrelange politische Blockade im Streit um den Anbau gentechnisch veränderter (gv) Pflanzen. Der Anbau zugelassener Pflanzen ist bislang durch den Binnenmarktartikel 114 der EU-Verfassung geregelt. Danach muss ein Produkt ungehindert in der gesamten EU-gehandelt werden dürfen, sofern von ihm keine wissenschaftlich begründeten Gefahren ausgehen. Die Zulassung von gv-Pflanzen erfolgt bisher ausschließlich nach wissenschaftlicher Prüfung durch die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hinsichtlich möglicher Gesundheits- und Umweltrisiken und gilt für alle EU-Mitgliedsstaaten. Nationale Anbauverbote können nach bisheriger Gesetzeslage nur vorübergehend aufgrund neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse ausgesprochen werden, die die Sicherheit der betroffenen GVO-Produkte in Frage stellen. Nach Prüfung der Gründe muss die jeweilige Pflanze dann entweder europaweit verboten oder das nationale Anbauverbot aufgehoben werden. Die bisher ausgesprochenen Anbauverbote einzelner Mitgliedsstaaten sah die EU-Kommission jedes Mal als wissenschaftlich unbegründet an, der Ministerrat stimmte jedoch bislang immer gegen eine Aufhebung der nationalen Verbote.

Im Sommer 2010 legte die EU-Kommission einen ersten Vorschlag zur Änderung der Gentechnikgesetzgebung vor, der im Februar 2011 ergänzt wurde. Das wissenschaftsbasierte Zulassungsverfahren sollte unangetastet bleiben, aber nationale Anbauverbote aus ethischen, sozialen oder kulturellen Gründen möglich sein. Gentechnikkritiker befürchten aber, dass Anbauverbote auf dieser Grundlage keine ausreichende Rechtssicherheit bieten und im Zweifelsfall durch geltende Welthandelsverträge ausgehebelt werden könnten.

Der Umweltausschuss des EU-Parlaments unter Führung der französischen Juristin Corinne Lepage schlug nun vor, dass nicht mehr der Binnenmarktartikel 114, sondern der Umweltartikel 192 der EU-Verfassung Grundlage für den Anbau von gv-Pflanzen sein solle. Die Freisetzung eines GVO in die Umwelt sei grundsätzlich ein Umweltproblem und deshalb müsse seine Regelung nach dem dafür einschlägigen Artikel der EU-Verfassung behandelt werden. Dieser würde es künftig Mitgliedsstaaten erlauben, zum Beispiel bei der Vorsorge und beim Schutz der heimischen Fauna und Flora über die EU-Mindeststandards hinauszugehen.

Auch „wissenschaftliche Unsicherheiten“, sozioökonomische Gründe wie undurchführbare Koexistenzmaßnahmen oder hohe Zusatzkosten für konventionelle Landwirte für eine „gentechnikfreie“ Produktion sollen als nationale Verbotsgründe gelten können. Zudem wird in dem Gesetzesvorschlag die Umsetzung der Beschlüsse des Umweltministerrates vom Dezember 2008 zur Reform der Risikobewertung durch die Europäische Lebensmittelbehörde EFSA gefordert. Insbesondere sollten verstärkt mögliche Langzeiteffekte von gv-Pflanzen und potenzielle Auswirkungen auf Nicht-Zielorganismen berücksichtigt werden.

Der Gesetzesvorschlag wurde vom Europäischen Parlament mit 548 zu 84 Stimmen bei 31 Enthaltungen angenommen. Vertreter der Industrie sehen in den Vorschlägen des Umweltausschusses einen Angriff auf das wissenschaftsbasierte Zulassungssystem der EU. Für die FDP-Agrarsprecherin Christel Happach-Kasan widerspricht diese Entscheidung der Idee eines gemeinsamen europäischen Binnenmarktes. Positiv bewertete der Vorstandsvorsitzende des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) die Parlamentsentscheidung. Die Mitgliedsstaaten erhielten endlich Rechtssicherheit, so Felix Prinz zu Löwenstein.

Nach der Abstimmung in erster Lesung geht der Gesetzesvorschlag nun an den Ministerrat, der in der Frage gespalten ist. Das Parlament hat ein Mitentscheidungsrecht. Die zuständigen EU-Minister und das Europaparlament müssen daher eine gemeinsame Linie finden.