EU-Kommission

Gentechnik: Kriterien für nationale Anbauverbote bleiben diffus

Die EU-Mitgliedsstaaten haben am vergangenen Freitag einen ersten Vorschlag der Kommission über mögliche Begründungen für nationale Anbauverbote von gentechnisch veränderten Pflanzen beraten. Der Kommissionsvorschlag sieht vor, dass neben dem Schutz bestimmter regionaltypischer Bewirtschaftungsformen auch religiöse und philosophische Bedenken als Begründung herangezogen werden können. Die meisten Mitgliedsstaaten lehnen jedoch den Kommissionsvorschlag ab. Sie halten ihn für unvereinbar mit den Regeln des freien Binnenmarktes und den Vorschriften der Welthandelsorganisation (WTO).

Naturdenkmal, nationale Anbauverbote

Nationale Anbauverbote: Die EU-Kommission schlägt als mögliche sozioökonomische Begründungen unter anderem den Schutz von Naturregionen, die Erhaltung regionaltypischer Bewirtschaftungsformen sowie auch religiöse oder moralische Bedenken vor. Foto: Andreas Hermsdorf / pixelio.de

Die Kommission hatte im Juli 2010 vorgeschlagen, dass die Mitgliedsstaaten zukünftig selber entscheiden sollen, ob gentechnisch veränderte Pflanzen in ihrem Hoheitsgebiet angebaut werden dürfen oder nicht. Die EU-weite Zulassung von GVO und der Handel mit GVO-Produkten sollen davon jedoch unberührt bleiben. Bedenken an der wissenschaftlichen Sicherheitsbewertung kommen grundsätzlich nicht in Frage, da alle Aspekte des Umwelt und Gesundheitsschutzes einer gv-Pflanze wie bisher im Rahmen des EU-weiten Zulassungsverfahrens geprüft werden.

Die Mitgliedsstaaten hatten damals die Kommission aufgefordert, mögliche sozioökonomische Begründungen für solche nationalen Anbauverbote zu benennen. Nach einem im Februar den Mitgliedsstaaten vorgestellten Arbeitspapier der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz umfasst der Vorschlag der Kommission sieben Begründungskategorien:

  • Öffentliche Moral (einschließlich religiöser, philosophischer und ethischer Bedenken)
  • Erhaltung der Wahlmöglichkeit für Produzenten und Verbraucher, GVO-freie Produkte zu erzeugen bzw. zu kaufen
  • Öffentliche Ordnung
  • Stadt- und Landplanung
  • Erhaltung der Diversität der landwirtschaftlichen Produktionsbedingungen in bestimmten Regionen
  • Kulturpolitische Ziele (z.B. historisches Erbe in Bezug auf traditionelle Landwirtschaft, Produktbesonderheiten auf Basis regionaler Produktionsprozesse, Erhaltung kultureller und gesellschaftlicher Traditionen, Naturregionen)
  • Sozialpolitische Ziele (Entwicklungen des ländlichen Raums zur Aufrechterhaltung des derzeitigen Niveaus der Beschäftigung)

Die meisten Mitgliedsstaaten reagierten nach Berichten der Dow Jones News skeptisch auf diesen Vorschlag. Insbesondere kritisierten sie, dass der Kommissionsvorschlag nicht auf mögliche Konflikte mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO) eingegangen ist. Nationale Anbauverbote könnten zudem auch den europäischen Binnenmarkt und den freien Warenverkehr beschränken und damit gegen die EU-Verträge verstoßen. Auch zwei Gutachten der juristischen Dienste des Rates und der Kommission kommen in dieser Frage offenbar zu gegenteiligen Ergebnissen.

Die Kommission führte laut Dow Jones News an, dass religiöse und ethische Begründungen für Anbauverbote gerichtsfest sein müssten und verwies auf entsprechende Urteile des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Auch gebe es entsprechende Urteile des EuGH zu Ausnahmen der Binnenmarkt-Gesetzgebung.

Bei den Beratungen äußerten Mitgliedsstaaten die Befürchtung, dass Verbotsgründe wie die „Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung“ Proteste von Gentechnikgegnern geradezu provozieren könnten. Auf diese Weise könnte vorsätzlich versucht werden, Regierungen Verbotsbegründungen zu liefern.

Die Mitgliedsstaaten sind nun aufgefordert, selbst nachprüfbare und juristisch eindeutige Begründungen für nationale Anbauverbote vorzulegen. Das Problem dabei bleibt, wie der Konflikt zwischen den „weichen“ Verbotsgründen und den in den internationalen Verträgen festgelegten Grundsätzen gelöst werden könnte. In der Vergangenheit hat der EuGH Absatz hemmende Nutzungsverbote bzw. –beschränkungen als unzulässige Beeinträchtigungen der Warenverkehrsfreiheit aufgefasst. Auch kann die Kommission die Mitgliedsstaaten nicht von ihren unions- und völkerrechtlichen Verpflichtungen entbinden - weder von der Warenverkehrsfreiheit noch von den Grundrechten und dem Welthandelsrecht.

Offenbar lehnt eine Mehrheit der EU-Mitgliedsstaaten die derzeit vorliegenden Vorschläge für sozioökonomisch begründete nationale Anbauverbote ab. Bisher zeichnet sich auch kein politisch und juristisch gangbarer Weg dahin ab.

Stattdessen könnten die Mitgliedsstaaten versuchen, Anbauverbote oder Anbaueinschränkungen mit strikteren Koexistenzbestimmungen durchzusetzen. Die Kommission hatte ebenfalls im Juli 2010 neue Koexistenzleitlinien veröffentlicht. Danach können die Mitgliedsstaaten den Anbau von gv-Pflanzen großflächig verbieten, wenn andere Maßnahmen zum Schutz der konventionellen bzw. ökologischen Landwirtschaft ungeeignet sind. Aber auch hier könnte die rechtliche Situation unklar bleiben. Juristen wie Prof. Georg Dederer von der Juristischen Fakultät der Universität Passau kritisieren, dass mit den neuen EU-Koexistenzleitlinien das Prinzip der Balance zwischen den drei Produktionslinien – gentechnisch, konventionell und ökologisch – aufgegeben wird. Die Gewichte würden einseitig zulasten des GVO-Anbaus verschoben. Das letzte Wort, ob es sich etwa bei Anbauverboten für gv-Pflanzen tatsächlich um angemessene und notwenige Maßnnahmen zur Sicherung der Koexistenz handelt, hätte im Streitfall wieder der Europäische Gerichtshof (EuGH).