Meta-Studien für die Biosicherheitsforschung

„Es ist nicht überraschend, dass verschiedene Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen.“

Bei Biosicherheitsstudien zu gentechnisch veränderten Pflanzen taucht immer wieder das Problem auf, dass einzelne Studien widersprüchliche Ergebnisse liefern. Das erschwert die Risikobewertung. In der medizinischen Forschung, wo sich das gleiche Problem stellt, haben in den letzten Jahren so genannte Meta-Studien an Bedeutung gewonnen. Diese kombinieren die Ergebnisse zahlreicher Studien und erlangen damit eine deutlich höhere Aussagekraft als Einzelstudien. bioSicherheit sprach mit Michelle Marvier von der Santa Clara University (USA), die Meta-Studien zu den ökologischen Auswirkungen von Bt-Mais und Bt-Baumwolle durchgeführt hat. Sie plädiert dafür, zentrale und öffentliche Datenbanken zur Biosicherheitsforschung anzulegen und Meta-Studien zur Routine bei der Sicherheitsbewertung gentechnisch veränderter Pflanzen zu machen.

Dr. Michelle Marvier ist Dozentin beim Environmental Studies Institute, Santa Clara University (USA). Sie beschäftigt sich hauptsächlich mit zwei Forschungsthemen: Ökologische Sicherheitsbewertung bei gentechnisch veränderten Kulturpflanzen und Schutz der biologischen Vielfalt. Sie führte zwei angesehene Meta-Studien zu den Auswirkungen von Bt-Baumwolle und Bt-Mais auf Nicht-Zielorganismen durch.

bioSicherheit: Wissenschaftliche Studien erscheinen oft widersprüchlich. Eine Studie belegt eine mögliche Schädigung von Nicht-Zielorganismen durch eine gentechnisch veränderte Pflanze, während eine andere Studie genau diesen Sachverhalt widerlegt. Wie kommt es zu diesen widersprüchlichen Ergebnissen? Liegen hier wissenschaftliche Fehler vor oder sind die Forscher etwa voreingenommen?

Michelle Marvier: Es ist überhaupt nicht überraschend, dass verschiedene Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Viele Studien, die zur Risikobewertung für Nicht-Zielorganismen durchgeführt wurden, sind bezüglich ihrer Ergebnisse nicht sehr aussagekräftig. Damit meine ich Folgendes: im Labor werden oft nur wenige Tiere in den Versuchsreihen eingesetzt. Auch bei Feldversuchen werden vergleichsweise wenige Versuchsflächen oder Felder in die Studien einbezogen. Man denke im Gegensatz dazu an Medikamentenstudien. Wenn ein pharmazeutisches Unternehmen untersucht, ob ein Medikament Nebenwirkungen hat, führt es Studien mit Hunderten, manchmal Tausenden Probanden durch. Im Gegensatz dazu betreffen die Studien für gentechnisch veränderte (gv-)Pflanzen vielleicht nur eine Handvoll Insekten oder Felder. Wenn bei den Studien die einzelnen Untersuchungen nicht ausreichend oft wiederholt werden, dann erhöht sich infolgedessen die Wahrscheinlichkeit, dass die Ergebnisse eher zufällig sind.

bioSicherheit: Sie führten so genannte „Meta-Analysen“ durch, um die Aussagekraft von Einzelstudien zu erhöhen. Wie funktionieren diese?

Michelle Marvier: Meta-Analysen haben insbesondere in klinischen Studien und im Medizinbereich an Bedeutung gewonnen. Denn hier muss man sehr vorsichtig sein, bevor man eine Behandlung als vergleichsweise risikofrei einstufen kann. Der Kern der Meta-Analytik ist die Annahme, dass das Ausbleiben von signifikanten Effekten in einer Reihe von Einzelstudien zunächst nicht so aussagekräftig ist wie es zunächst erscheint. Das Problem ist, wie ich es schon angedeutet habe, dass einzelne Sicherheits- und Toxizitätsstudien oftmals zu wenige Versuchswiederholungen enthalten und somit nur eine geringe statistische Aussagekraft besitzen. Wenn man ein wenig darüber nachdenkt, wird ziemlich schnell klar, dass selbst ein Dutzend statistisch wenig abgesicherter Studien mit dem Ergebnis „keine Effekte“ nicht überzeugend beweisen können, dass auch tatsächlich „keine Effekte“ auftreten.

Glücklicherweise können Meta-Analysen die Auswertung solcher Studien verbessern. Das funktioniert durch statistisches Kombinieren der beobachteten Unterschiede zwischen Behandlungen und Kontrollen bei den Einzelstudien. Zusätzlich werden die einzelnen Ergebnisse entsprechend ihrer Datenstreuung gewichtet und daraus ergibt sich eine Abschätzung der tatsächlichen Effekte in den Experimenten. Die damit berechnete Effektgröße ist viel aussagekräftiger als nur die Aussage, dass neun von elf Versuchen oder sogar elf von elf Versuchen keine signifikanten Ergebnisse z.B. für das Überleben der Honigbienen lieferten. Es ist dabei auch möglich, dass kleine, aber möglicherweise biologisch wichtige Auswirkungen aufgedeckt werden, die bei den Einzelstudien eventuell unentdeckt geblieben wären.

bioSicherheit: Was waren die Themen und Ergebnisse Ihrer Meta-Analysen?

Michelle Marvier: Eine Meta-Analyse von zahlreichen Feldversuchen zeigte, dass Bt-Pflanzen für wirbellose Nicht-Zielorganismen im Allgemeinen weniger schädlich sind als Insektizide. Eine zweite Meta-Analyse fand keine schädlichen Auswirkungen von Cry-Proteinen, also den Toxinen in den Bt-Pflanzen, auf Honigbienen.

bioSicherheit: Sie setzen sich für umfassende und frei zugängliche Datenbanken für Risikobewertungsstudien ein. Welche Idee steckt dahinter?

Michelle Marvier: Um die Durchführung von Meta-Analysen zu vereinfachen, brauchen die Biosicherheitsforscher einen einfachen und direkten Zugang zu den Daten der zahlreichen Biosicherheitsstudien mit gv-Pflanzen. Schon jetzt führen Wissenschaftlicher so viele verschiedene Versuche und Risikobewertungen durch, dass die Informationen schlichtweg die Entscheidungsträger überfordern. Auch die öffentliche Debatte um Grüne Gentechnik ist dadurch auf einem Schlingerkurs. Meta-Analysen bieten die Möglichkeit, die Diskussion um die Sicherheit genetisch veränderter Pflanzen weiterzubringen und sich nicht in sinnlosen Diskussionen wie „Studie X zeigt, dass… aber Studie Y zeigt doch dass, …“ zu verstricken. Um es auf den Punkt zu bringen: Keine Einzelstudie sollte allzu ernst genommen werden, solange nicht andere Studien die Ergebnisse bestätigen.

Wenn Meta-Analysen und umfassende Datenbanken für Biosicherheitsstudien ein Routinebestandteil der Risikobewertung werden würden, dann gäbe es auch nicht mehr diese Aufregungen und das Medieninteresse um die Ergebnisse von einzelnen Studien. Dadurch werden Öffentlichkeit und Entscheidungsträger nur in unangemessener Weise entweder beruhigt oder alarmiert. Die Investitionen in den Aufbau und die Unterhaltung von Datenbanken zur Risikobewertung lohnen sich auf jeden Fall. Sie verbessern die Transparenz, können das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Sicherheitsbewertung erhöhen und führen zu neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen.

bioSicherheit: Derzeit enthält die Datenbank, die Sie zusammen mit Ihrem Kollegen Peter Kareiva entwickelt haben, ausschließlich Daten über Effekte von insektenresistenten Bt-Pflanzen auf Nicht-Zielorganismen. Haben Sie vor, Ihre Datenbank mit Informationen über andere gv-Pflanzen zu erweitern?

Michelle Marvier: Genau genommen haben wir diese Datenbank als ein erstes Modell entwickelt. Die US-Umweltschutzbehörde EPA hatte dieses Projekt gefördert und wir hatten die Hoffnung, dass die EPA oder andere Zulassungsbehörden dieses Projekt übernehmen werden. Es ist schon eine ganze Menge Arbeit, die Daten aus veröffentlichten und unveröffentlichten Studien zu extrahieren und dann noch durch direkten Kontakt mit den Autoren weitere Details in Erfahrung zu bringen. Es wäre sehr viel einfacher, eine solche Datenbank aktuell und vollständig zu halten, wenn die Wissenschaftler in Eigenregie die Daten eingeben würden, unter Umständen auch als eine Voraussetzung für die Zulassung von den entsprechenden gv-Pflanzen.

bioSicherheit: Wie stellen Sie sich den Aufbau einer zentralen Datenbank vor, die alle relevanten Studien zur Umweltrisikobewertung von GVO umfasst? Wer kann hier eine führende Rolle übernehmen?

Michelle Marvier: Ich hoffe, dass eine international tätige Organisation wie die Internationale Gesellschaft für Biosicherheitsforschung, die ISBR, für das Sammeln der Informationen, für die Qualitätssicherung und für die Koordination zuständig sein könnte. Ich jedenfalls würde eine solche Datenbank, die Methoden und Ergebnisse aller abgeschlossenen Studien detailliert auflistet, sehr begrüßen. Das wäre von beträchtlichem Wert für die Wissenschaft, aber auch für die Öffentlichkeit und die Industrie.

bioSicherheit: Was sind ihrer Meinung nach die künftigen Herausforderungen in der Biosicherheitsforschung?

Michelle Marvier: Wissenschaftler und Landwirte waren bereits mit Bt-Wirkstoffen sehr vertraut, bevor Bt-Toxine in transgene Pflanzen übertragen wurden. Über andere Typen von „integrierten Pflanzenschutzmitteln“, die zurzeit entwickelt und getestet werden, wissen wir weit weniger Bescheid. Wir werden vielleicht über einiges überrascht sein, wenn wir diese nächste Generation von insektenresistenten gv-Pflanzen testen werden. Ich glaube, dass es hilfreich war, dass zuerst Bt-Wirkstoffe die Sicherheitsbewertung durchlaufen haben. So konnten wir eine Menge lernen, wie wir solche Pflanzen auf mögliche Umweltwirkungen testen müssen. Nun können wir unsere Erfahrungen nutzen, wenn wir gv-Pflanzen mit anderen neuen Eigenschaften testen wollen.

bioSicherheit: Wir bedanken uns für dieses Gespräch.