Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) zieht Sicherheitsbewertung für gentechnisch veränderte Pflanzen in Zweifel

Studie mit Wissenslücken

Gut 100.000 Unterschriften hatte der BÖLW (Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft) im Frühjahr für eine Petition gesammelt, in der ein Zulassungsstopp für gentechnisch veränderte Pflanzen gefordert wird. Pünktlich zur Beratung im Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages am 26.09.2011 veröffentlicht der BÖLW eine neue Studie, die von „massiven Lücken bei der Risikoprüfung von Gentech-Pflanzen“ spricht. Doch die Studie selbst weist bemerkenswerte Lücken auf: Der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand zu vielen Fragen der Sicherheitsbewertung von gv-Pflanzen wird falsch, verkürzt oder gar nicht dargestellt.

Prinz zu Löwenstein, Petitionsausschuss Bundestag

Felix Prinz zu Löwenstein, Vorstandsvorsitzender Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) vor dem Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages.

Die Zulassung von gv-Pflanzen solle so lange ausgesetzt werden, bis in der EU neue Zulassungsverfahren in Kraft seien, fordert der BÖLW und beruft sich dabei auf die Studie „Risiken mit amtlichem Siegel“, die er bei dem früheren Greenpeace-Mitarbeiter Christoph Then in Auftrag gegeben hatte. Ginge es nach den Vorstellungen des BÖLW, müsste das in der EU verankerte Vorsorgeprinzip so weit ausgedehnt werden, dass der Aufwand für Zulassungen gentechnisch veränderter Pflanzen nicht mehr zu bewältigen ist.

Ein Beispiel: Während derzeit eine gv-Pflanze danach beurteilt wird, ob bestimmte Effekte – etwa Wirkungen auf bestimmte Insekten - oder Inhaltsstoffe – etwa der Gehalt an Vitaminen – sich im Spektrum handelsüblicher konventioneller Sorten bewegen, fordert der BÖLW, für jede gv-Pflanze müsse deren „genetische Stabilität und deren Wechselwirkung mit der Umwelt systematisch unter verschiedenen definierten Umweltbedingungen in einer Art ‚Stresstest‘ untersucht werden“. Würde das tatsächlich verlangt, würde eine Zulassung – in der EU schon jetzt teuer und langwierig – für Unternehmen und Pflanzenzüchter vollends uninteressant. Antragsteller würden gezwungen, mit immensem wissenschaftlichen und finanziellen Aufwand Daten zu ermitteln, die gegenüber dem heutigen Zustand kaum zusätzliche substanzielle Erkenntnisse liefern, um die Sicherheit einer gv-Pflanzen oder daraus hergestellter Lebens- und Futtermittel beurteilen zu können.

Es ist offenbar die Intention der Studie, ein Verbot von gv-Pflanzen in Europa durch die Hintertür extremer Zulassungsvoraussetzungen durchzusetzen. Dazu passt es, die Leistungsfähigkeit der gegenwärtig praktizierten Sicherheitsbewertung als weitaus schlechter darzustellen, als sie ist. An zahlreichen Stellen der Studie wird behauptet, dass trotz Wissenslücken – und damit ohne ausreichende Basis für eine Sicherheitsbewertung - gv-Pflanzen zugelassen würden.

Für viele der in dem Bericht postulierten Wissenslücken bei der Sicherheitsbewertung von gentechnisch veränderten Pflanzen liegen bereits heute eindeutige Forschungsergebnisse vor, denn überall auf der Welt werden Fragen der Umwelt- und Produktsicherheit gentechnisch veränderter Pflanzen seit Jahren intensiv erforscht. Inzwischen sind die Ergebnisse zahlreicher Forschungsprojekte in wissenschaftlichen Fachzeitschriften veröffentlicht. So haben die US-amerikanischen Ökologen Michelle Marvier und Peter Kareiva 42 Studien über mögliche Auswirkungen von Bt-Mais und Bt-Baumwolle auf Nicht-Zielorganismen in einer Metastudie ausgewertet.

Auch in Deutschland wird biologische Sicherheitsforschung schon seit mehr als 20 Jahren praktiziert. Insbesondere das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und einzelne Bundesländer haben in den vergangenen Jahren die ökologischen Auswirkungen des Anbaus von verschiedenen gentechnisch veränderten Pflanzen im Rahmen von mehr als 130 Forschungsprojekten intensiv erforscht.

Nachfolgend werden exemplarisch einige Behauptungen der BÖLW-Studie zu Bt-Mais dem tatsächlichen Wissens- und Erkenntnisstand gegenüber gestellt.

Maiswurzeln, Boden

Bt-Mais: Anreicherung im Boden? In mehreren Forschungsprojekten gab es bisher keine Hinweise, dass sich das Bt-Protein im Boden anreichern könnte.

Regenwurmfluchttest: Die eine Topfhälfte enthält unbehandelte Erde, die andere Hälfte wurde mit Bt-Protein versetzt. Nach 72 Stunden wird nachgesehen, ob die Regenwürmer die Bt-haltige Erde meiden.

Regenwürmer: Auch sensible Bodenlebewesen werden nicht beeinträchtigt.

Behauptung BÖLW-Studie: Bt-Toxine können von den Wurzeln der gv-Pflanzen ausgeschieden werden und über Monate auf der Ackerfläche verbleiben. Dadurch ist eine Beeinträchtigung des Bodenlebens möglich. Von den meisten Bt-Toxinen ist aber nicht bekannt, wie lange sie in den Böden überdauern und welche Wirkung sie dort entfalten.

Aktueller Forschungs- und Erkenntnisstand: Beim Anbau von gentechnisch verändertem Bt-Mais gelangt Bt-Protein über Wurzelausscheidungen, Ernterückstände und Pollenablagerungen tatsächlich in den Boden. Aber selbst auf Feldern, auf denen drei Jahre hintereinander Bt-Mais angebaut wurde, konnte vor der nächsten Aussaat kein Bt-Protein mehr im Boden nachwiesen werden. Dabei wurden Felder mit unterschiedlichen Bodeneigenschaften untersucht, doch eine Anreicherung konnte in keinem Fall beobachtet werden. Diese Untersuchungen fanden mit verschiedenen Bt-Mais-Typen statt, die die heute am häufigsten in gentechnisch veränderten Pflanzen verwendeten Bt-Proteine Cry1Ab, Cry1A.105, Cry2Ab und Cry3Bb1 enthalten.

Auch in einem ein von der bayerischen Landesregierung geförderten Langzeitversuch, beim dem auf einem Feld acht Jahre ununterbrochen Bt-Mais angebaut wurde, konnte keine Anreicherung im Boden festgestellt werden.

Viele Bodenorganismen reagieren durchaus empfindlich auf verschiedene Umwelteinflüsse. Beispielsweise wurden bei Versuchen mit Nematoden gravierende Unterschiede im Vorkommen und in der Artzusammensetzung je nach Bodenqualität und Klimaeinflüssen festgestellt. Doch wenn statt herkömmlichem Mais ein Bt-Mais angebaut wurde, zeigten Bakterien- und Nematodengemeinschaften oder Regenwürmer keine Reaktion. Sowohl die Menge an Organismen im Boden als auch die Zusammensetzung der Arten blieb konstant. Diese Versuche wurden teilweise über drei Jahre auf der gleichen Fläche durchgeführt. Selbst Regenwürmer, die kontinuierlich nur mit Blattresten von MON810-Mais gefüttert wurden, kamen nicht zu Schaden.

Mais Bodenfallen

Bodenfallen: Zwischen 2008 und 2010 wurde im Freiland untersucht, wie sich gv-Mais mit drei Bt-Protein-Varianten und einer Herbizidresistenz auf verschiedene Nicht-Zielorganismen wie etwa Käfer auswirkt. Kombinatorische Effekte wurden nicht gefunden.

Behauptung BÖLW-Studie: Mögliche kombinatorische Wirkungen verschiedener Bt-Proteine werden bei der Sicherheitsbewertung im Rahmen der EU-Zulassungsverfahren nicht berücksichtigt. Es besteht die Gefahr, dass sich deren Wirkungen überlagern und verstärken.

Aktueller Forschungs- und Erkenntnisstand: Die Ergebnisse der bisher dazu durchgeführten Forschungsprojekte liefern keine Anhaltspunkte für kombinatorische Effekte verschiedener Bt-Proteine. So wurde in einem deutschen Forschungsverbund über drei Jahre ein Bt-Mais untersucht, der die Bt-Proteine Cry2Ab, Cry3Bb1 sowie das aus Cry1Ab, Cry1F und Cry1Ac zusammengesetzte Cry1A.105 enthält. Im Freiland konnten auch bei diesem Bt-Mais keine schädigenden Auswirkungen auf Arthropoden oder Bodenorganismen wie Nematoden, Regenwürmer und Bakterien festgestellt werden. Die Vermutung, die Wirkungen der Bt-Proteine könnten sich überlagern oder gar verstärken, wurde in keinem der Forschungsprojekte bestätigt.

Zucht der Schmetterlingsart  Kleiner Fuchs an der RWTH Aachen

Schmetterlinge: Aufnahme von Maispollen unter Feldbedingungen ermittelt

Behauptung BÖLW-Studie: Die Risikoabschätzung für europäische Schmetterlinge, von denen bekannt ist, dass ihre Raupen gegenüber dem Gift empfindlich sind, beruht weitgehend auf Computermodellen und nicht auf empirischen Untersuchungen.

Aktueller Forschungs- und Erkenntnisstand: Neben mehreren internationalen Studien wurden auch in Deutschland praktische Experimente unter Freilandbedingungen mit verschiedenen Bt-Maissorten durchgeführt. Ein wesentliches Ergebnis dabei war, dass auf den Futterpflanzen der Schmetterlinge selbst in unmittelbarer Nähe zu einem Bt-Maisfeld nur geringe Pollenmengen gefunden werden. Die Pollenmengen, die im Labor zu einer erhöhten Sterblichkeit der Larven führten, konnten im Freiland auf keiner Futterpflanze gefunden werden. Zudem konnten die Projekte zeigen, dass nur ein Teil der Schmetterlingslarven in der Nähe von Maisfeldern vorkommt und die Populationen von daher nicht gefährdet sind. Insgesamt kann durch die empirischen Ergebnisse das Risiko für Schmetterlinge als vernachlässigbar gering eingestuft werden.