Neues Gentechnik-Gesetz

Wenig Spielraum für nationale Sonderwege 

(02.02. / 11.02.) Nach langen Verhandlungen haben sich die streitenden Bundesministerien auf ein neues Gentechnik-Gesetz geeinigt. Damit hat die zuständige Verbraucherministerin Renate Künast den ersten Schritt gemacht, um der längst überfälligen Umsetzung von EU-Richtlinien in deutsches Recht nachzukommen. Nachdem am 11. Februar auch das Bundeskabinett dem Entwurf zugestimmt hat, beginnen die Beratungen in Bundestag und Bundesrat. Doch nicht nur dort liegen die Positionen weit auseinander.

Gerhard Sonnleitner, Vorsitzender des Deutschen Bauernverbandes (DBV). „Für den DBV ist die im Entwurf des Gentechnikgesetzes vorgesehene Haftung nicht akzeptabel, da eine verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung für den Landwirt eingeführt werden soll, der gentechnisch veränderte Pflanzen anbaut.“

Felix Prinz zu Löwenstein, Vorsitzender des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW). „Das von Verbraucherministerin Künast vorgelegte Gentechnik-Gesetz kann den Schutz einer gentechnikfreien Landwirtschaft nicht gewährleisten.“ Der Entwurf regelt nicht, wer haftet, wenn Umweltschäden entstehen.

Anlass, das seit 1990 mehrfach novellierte Gentechnik-Gesetz noch einmal gründlich zu überarbeiten, war die neue, im März 2001 beschlossene EU-Freisetzungsrichtlinie. Diese regelt die „absichtliche“ Freisetzung von gentechnisch veränderten Organismen

(GVO) in die Umwelt: etwa bei Freilandversuchen, aber auch als Folge von Produktzulassungen (Inverkehrbringen). Bereits im Oktober 2002 lief die Umsetzungsfrist dafür ab. Ähnliches trifft für eine weitere EU-Richtlinie zu - die über „gentechnische Arbeiten in geschlossenen Systemen“. Erneut werden Anzeige- und Genehmigungspflichten für gentechnische Labor- und Produktionsanlagen der Sicherheitsstufen 1 und 2 (kein oder geringes Risiko) zurückgenommen - ohne größere öffentliche Diskussionen.

Während die Anwendung der Gentechnik in der Forschung, Diagnostik und bei der Produktion von Arzneimitteln weitgehend akzeptiert ist, wird um die Grüne Gentechnik weiter erbittert gestritten. Nun ist der Entwurf des Gentechnik-Gesetzes das Feld, auf dem der Konflikt ausgetragen wird. Oft hat es den Anschein, als ginge es um ein letztes, entscheidendes „Ja“ oder „Nein“.

  • Dabei setzen die meisten aktuellen Änderungen des Gentechnik-Gesetzes bereits beschlossene europäische Vorgaben um, etwa die eingeschränkte Verwendung von Antibiotikaresistenz- Genen in gv-Pflanzen, die Pflicht zu einem Nachzulassungs-Monitoring, auf zehn Jahre begrenzte Zulassung und erweiterte Transparenz- und Mitwirkungsmöglichkeiten.
  • Auch die Zulassung, Kennzeichnung und Rückverfolgbarkeit von GVO-Lebens- und Futtermitteln sind längst EU-weit einheitlich geregelt. Am 18. April 2004 werden die dazu beschlossenen Verordnungen wirksam, eine Umsetzung in nationales Recht ist nicht erforderlich.
  • Viele der neu ins Gentechnik-Gesetz eingefügten Passagen sind in ihren Grundaussagen nicht mehr verhandelbar. Sie überführen lediglich gültige, von den EU-Institutionen mehrheitlich beschlossene Regelungen in deutsches Recht. Weder Bundestag noch Bundesrat können bei den bevorstehenden Beratungen des Gentechnik-Gesetzes daran etwas ändern.

Doch nicht alles ist durch verbindliche europäische Vorgaben geregelt. Diese „Lücken“ sollen durch das neue Gentechnik-Gesetz geschlossen werden: Das betrifft den Vollzug des Gesetzes, etwa eine Neuverteilung der Zuständigkeiten auf verschiedene Bundesbehörden oder die Kommission für Biologische Sicherheit. Dieses beratende Expertengremium soll künftig aus zwei Kommissionen bestehen: eine für gentechnische Anlagen und eine weitere für Freisetzung und Inverkehrbringen. Ein nationaler Gestaltungsspielraum besteht vor allem bei Koexistenz und Haftung - und genau das sind die Themen, an denen der gesellschaftliche Konflikt ausgetragen wird.

Gute fachliche Praxis: Genaue Regeln später

Der derzeit am heftigsten diskutierte Streitpunkt bei der Grünen Gentechnik ist die Frage der Koexistenz. Dabei geht es um Regeln und Vorschriften, wie verschiedene landwirtschaftliche Anbausysteme mit und ohne Gentechnik auf Dauer nebeneinander bestehen können. Ausgerechnet hier hatte die EU-Kommission auf verbindliche, EU-einheitliche Regelungen verzichtet und lediglich Leitlinien vorgegeben.

Auch das Gentechnik-Gesetz bleibt hier nebulös, obwohl es die Sicherung der Koexistenz in den Rang eines Gesetzeszwecks aufgewertet hat.

  • Wer etwa gv-Pflanzen anbaut oder verarbeitet, soll künftig dafür sorgen, dass durch Auskreuzung oder Vermischungen Schutzgüter - Umwelt oder menschliche Gesundheit - „nicht wesentlich beeinträchtigt werden“. Dazu soll es für Anbau und Umgang mit GVOs „Regeln guter fachlicher Praxis“ geben, in denen etwa Abstandsflächen oder Pollenbarrieren vorgeschrieben werden oder die Reinigung von Transportbehältern und Maschinen. Außerdem sollen Personen, die erwerbsmäßig mit GVOs umgehen, ihre Befähigung und Zuverlässigkeit dazu nachweisen.
  • Was das jedoch praktisch bedeutet, bleibt einer späteren Verordnung vorbehalten. Doch auch hier muss der Bundesrat zustimmen.

Haftung nach dem Nachbarschaftsrecht

Der zweite Hauptstreitpunkt betrifft die Haftung für Schäden und Beeinträchtigungen, die durch die Nutzung von GVOs entstehen können. Anders als von vielen Gentechnik-Kritikern gefordert, enthält das Gentechnik-Gesetz dazu keine grundsätzlich neuen Vorschriften. Konflikte sollen im Rahmen des bestehenden Nachbarschaftsrechts geregelt werden.

  • Danach liegt ein entschädigungspflichtiger Schaden dann vor, wenn jemand als Folge von GVO-Auskreuzungen oder Vermischungen wirtschaftliche Nachteile hat. Ein Beispiel: Muss ein „gentechnikfrei“ produzierender Landwirt seine Produkte als „gentechnisch verändert“ kennzeichnen und damit zu einem geringeren Preis verkaufen, kann er für die entgangenen Einnahmen beim Verursacher Entschädigung verlangen.
  • Nachbarschaftskonflikte werden nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§906) geregelt. Danach muss der Geschädigte seinen Schaden nachweisen. Gibt es zwar einen Schaden, jedoch mehre mögliche Verursacher in der Nachbarschaft, haften alle gesamtschuldnerisch.
  • Landwirte, die gv-Pflanzen anbauen, müssen für die Mehrkosten, die sich aus den Regeln zur „guten fachlichen Praxis“ ergeben, selbst aufkommen.

Register und Anbau in Naturschutzgebieten

Umstritten sind auch zwei weitere Neuregelungen, die im Entwurf des Gentechnik-Gesetzes vorgesehen sind.

  • Es wird ein Standortregister geführt, in dem alle Anbauflächen mit gv-Pflanzen verzeichnet sind. Ein Teil der dort gesammelten Daten soll allgemein öffentlich zugänglich sein. Genaue Auskünfte über die jeweiligen Flurstücke sollen nur dann erteilt werden, wenn ein „berechtigtes Interesse“ vorliegt. Dies ist der Fall bei möglichen Nutzungs- und Nachbarschaftskonflikten.
  • In „ökologisch sensiblen Gebieten“ - etwa Naturschutzflächen - soll der Anbau von gv-Pflanzen der zuständigen Behörde angezeigt werden.

Verbände: Nur Kritik

Auf der Verbände-Anhörung am 2. Februar in Bonn hagelte es Kritik von allen Seiten. Den einen geht es zu weit, den anderen nicht weit genug. Züchter und Unternehmen beklagen die „abschreckende Wirkung“ der Haftungsregelungen, welche den GVO-Anbau verhinderten; Umwelt- und Verbraucherverbände beschwören das Ende der „gentechnikfreien“ Landwirtschaft.

Noch hat das neue Gentechnik-Gesetz einen langen Weg vor sich. Nicht nur der Bundestag muss zustimmen, sondern auch der Bundesrat. Dort liegen die Positionen der Bundesländer weit auseinander. Schon zeichnet sich ein langwieriges Vermittlungsverfahren ab. Verbraucherministerin Künast ist dennoch optimistisch, dass das Gesetz nach der Sommerpause verabschiedet wird.