Zugriff auf die Quantenwelt der Pflanzen

Forscher geben Elektronen die Richtung vor

07.03.2016 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Schematische Darstellung des Experiments: Die Laserpulse (rote Wellen) kontrollieren die Elektronen (grün), die von Atomen (pink) abgegeben werden. (Bildquelle: © Maurizio Contran / Politechnikum Mailand)

Schematische Darstellung des Experiments: Die Laserpulse (rote Wellen) kontrollieren die Elektronen (grün), die von Atomen (pink) abgegeben werden. (Bildquelle: © Maurizio Contran / Politechnikum Mailand)

Im Rahmen eines internationalen Projekts ist es mit Beteiligung aus Deutschland gelungen, die Bewegungsrichtung von Elektronen mit einem Freie-Elektronen-Laser zu kontrollieren. Dies führt zu völlig neuen Möglichkeiten für den Zugriff und die Steuerung chemischer, physischer und biologischer Prozesse im subatomaren Bereich. Weit oben auf der Wunschliste der Forscher steht die Photosynthese.

Jeder hat es in der Schule gelernt: die Welt besteht aus Atomen. Doch sind es die Elektronen, die sie zusammenhalten. Die Geschwindigkeiten, in denen Prozesse auf atomarer Ebene ablaufen, nehmen daher unvorstellbare Dimensionen an. Hierzu zählen sämtliche chemischen, biologischen und physischen Prozesse und somit auch die Photosynthese. Die Anregung von Elektronen ermöglicht dort die Umwandlung von Lichtenergie in chemische Energie.

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Man kennt es vom Fotoapparat: Je länger die Belichtungszeit, desto eher verwackeln die Aufnahmen. Beim Freie-Elektronen-Laser versucht man daher, die Belichtungszeit zu minimieren.

Man kennt es vom Fotoapparat: Je länger die Belichtungszeit, desto eher verwackeln die Aufnahmen. Beim Freie-Elektronen-Laser versucht man daher, die Belichtungszeit zu minimieren.

Bildquelle: © China Crisis/ wikimedia.org/ CC BY-SA 3.0

Sekunden im Zeitraum von Milliarden Jahren

Forschern ist es mit einem Freie-Elektronen-Laser gelungen, in diese schnelllebige Welt einzutauchen und Elektronen über drei Attosekunden unter Kontrolle zu bringen. Hier Schritt zu halten, zu beobachten, sogar einzugreifen ist ein Geniestreich und eröffnet der Wissenschaft völlig neue Möglichkeiten. Zum Vergleich: Das Verhältnis einer Attosekunde zu einer Sekunde entspricht dem einer Sekunde zu über 30 Milliarden Jahren.

Neue Wege und Perspektiven

Der aus Japan beteiligte Forscher Kiyoshi Ueda hat bereits konkrete Vorstellungen, wohin die Reise gehen könnte: „Vor uns liegen völlig neue Wege, um ultraschnelle Elektronen besser studieren und letztlich auch kontrollieren zu können. Wir alle träumen davon, komplexe Prozesse wie z.B. photokatalytische Reaktionen gezielt zu steuern.“ Gemeint sind allgemein durch Licht ausgelöste Reaktionen und Prozesse, zu denen auch die Photosynthese gehört, der wichtigste photokatalytische Prozess der Erde.

Die Leistung der Physiker ist das Ergebnis jahrelanger Arbeit, die in die Entwicklung eines Forschungsgerätes namens „Low Density Matter Beamline“ gesteckt worden ist. Ein Tool zur Erweiterung eines Freie-Elektronen-Lasers, um Experimente an isolierten Atomen und Molekülen durchführen zu können. Erstautor Kevin Prince fasst zusammen: „Wie so häufig wurde viele Jahre an der Entwicklung innovativer Verfahren und Methoden gearbeitet, um in den Attosekundenbereich vorzudringen, diesen unter menschliche Kontrolle zu bringen. Mit Blick auf unsere Forschungsergebnisse können wir nun mit Fug und Recht sagen: Wir haben das Ziel erreicht.“

Ein Meilenstein der modernen Physik

Prince und seinen Kollegen ist es mit dem „Low Density Matter Beamline“ gelungen, einen hochkonzentrierten, extrem kurzwelligen Lichtstrahl mit einer nie zuvor erreichten Intensität, Schärfe und zeitlichen Genauigkeit zu erzeugen, diesen auf einen dünnen Strahl aus Neongas zu lenken und die Elektronen der Neonatome kurzzeitig unter Kontrolle zu bringen bzw. vom Kurs abzubringen.

Für Koautor Alexei Grum-Grzhimailo ist dies nicht nur der Anfang einer großen Untersuchungsreihe von komplexeren Objekten als Neon (Ne), z.B. weitere chemische Elemente bis hin zu chemischen Prozessen, sondern mehr: „Da die Kontrollmöglichkeit der Quantenwelt ein bisher ungelöstes Problem war, betrachte ich unsere Arbeit als Meilenstein der modernen Physik. Denn sie beweist, dass es möglich ist, Prozesse in der Quantenwelt präzise zu steuern.“

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Phänomene aus der Quantenwelt sorgen dafür, dass die Umwandlung und Weiterleitung der Sonnenenergie reibungslos und effizient abläuft.

Phänomene aus der Quantenwelt sorgen dafür, dass die Umwandlung und Weiterleitung der Sonnenenergie reibungslos und effizient abläuft.

Bildquelle: © Rainer Sturm/ pixelio.de

Leben in der Quantenwelt

Dass quantenmechanische Effekte überhaupt eine relevante Rolle in biologischen Prozessen spielen, ist eine noch junge Erkenntnis und wurde in der Vergangenheit oft nicht einmal in Erwägung gezogen. Schließlich würden sich Quantenphänome nur auf subatomarer Ebene abspielen, die Effekte in größeren Maßstäben, auf der Makroebene wie einer Zelle, verschwinden, hieß es häufig. Seit einigen Jahren verdichten sich jedoch die Anzeichen, dass quantenphysikalische Phänomene nicht mehr kategorisch ausgeschlossen werden können, wenn es um die Erklärung physikalischer, chemischer und biologischer Prozesse geht.

Quantenphänome in Pflanzen

2014 fanden Forscher beispielsweise heraus, dass die wellenartige Weiterleitung des eingefangenen Sonnenlichts durch lichtsammelnde Makromoleküle, die größtenteils aus für die Färbung zuständigen Chromophoren bestehen, nur mit Hilfe der Quantenphysik erklärt werden kann. Ein nicht nur für die Pflanzenforschung wegweisender Beitrag, sondern für die Quantenphysik selbst. Denn vorher waren quantenmechanische Phänomene nur bei äußerst niedrigen Temperaturen beobachtet worden, nicht aber in biologischen Systemen bei viel höheren Temperaturen.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Forschungsarbeit zum richtigen Zeitpunkt: Sie ermöglicht es, jenen bisher verborgenen Mikrokosmos besser zu erforschen und zu verstehen, zu kontrollieren und eventuell sogar nutzbar zu machen. Höchstwahrscheinlich wird dies im Schulterschluss mit der Pflanzenforschung geschehen. Schließlich trug sie maßgeblich zur Erkenntnis bei, dass die Quantenphysik stärker als gedacht an biologischen Prozessen beteiligt ist.


Quellen:

  • Prince, K. et al. (2016): Coherent control with a short-wavelenght free electron laser. In: Nature Photonics, Vol. 10, (22. Februar 2016), doi:10.1038/nphoton.2016.13
  • O’Reilly, et al. (2014): Non-classicality of the molecular vibrations assisting exciton energy transfer at room temperature. In: Nature Communications 5 (3012), (9. Januar 2014), doi:10.1038/ncomms4012

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Titelbild: Schematische Darstellung des Experiments: Die Laserpulse (rote Wellen) kontrollieren die Elektronen (grün), die von Atomen (pink) abgegeben werden. (Bildquelle: © Maurizio Contran / Politechnikum Mailand)