Ein Feind wird zum Freund

Wie Tabakschwärmer von Nahrungskonkurrenten profitieren

28.01.2022 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Tabakschwärmer bei der Eiablage. Der Falter biegt seinen Hinterleib an die Blattunterseite, um ein Ei abzulegen. Am Blatt ganz oben ist bereits an der linken Kante ein abgelegtes Ei zu sehen. (Bildquelle: © Danny Kessler, Max-Planck-Institut für chemische

Tabakschwärmer bei der Eiablage. Der Falter biegt seinen Hinterleib an die Blattunterseite, um ein Ei abzulegen. Am Blatt ganz oben ist bereits an der linken Kante ein abgelegtes Ei zu sehen. (Bildquelle: © Danny Kessler, Max-Planck-Institut für chemische

Von Käfern befallene Stechäpfel sind der bevorzugte Ort der Eiablage bei Tabakschwärmern – obwohl die Käfer Nahrungskonkurrenten für die Larven sind. Der Grund: Die befallenen Pflanzen sondern Duftstoffe ab, die Feinde des Tabakschwärmers abschrecken.

Die Interaktionen zwischen Pflanzen und Insekten sind oftmals viel komplexer als es zunächst den Anschein hat. Statt einer „Zweierbeziehung“ spielen oftmals mehrere Parteien eine Rolle, auch wenn das auf den ersten Blick keinen Sinn zu ergeben scheint. In einer neuen Studie haben Forscher:innen unter Leitung des Max-Planck-Institutes für Chemische Ökologie in Jena eine komplexe Beziehung zwischen einer Pflanzenart und drei Insektenarten entschlüsselt.

Eine seltsame Wahl

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Der Kalifornische Stechapfel (Datura wrightii) als Kinderstube für Mottenlarven.

Der Kalifornische Stechapfel (Datura wrightii) als Kinderstube für Mottenlarven.

Bildquelle: © NPS / Emily Hassell; public domain

Die Weibchen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) legen ihre Eier bevorzugt auf Pflanzen des Kalifornischen Stechapfels (Datura wrightii) ab. Haben dort zuvor schon Artgenossen dieser Motte ihre Eier abgelegt, suchen sie sich lieber eine andere Pflanze. So wird eine allzu große Nahrungskonkurrenz unter den Larven verhindert.

Aber seltsamerweise haben die Weibchen des Tabakschwärmers eine Vorliebe für Pflanzen, die bereits von der herbivoren Kartoffelkäferart Lema daturaphila befallen wurden. Diese Tiere sind auch ernste Nahrungskonkurrenten für die bald schlüpfenden Motten-Larven. In Experimenten zeigte sich, dass 17 von 21 Mottenweibchen sich für die „Käfer-Pflanzen“ entschieden. Wie lässt sich das erklären?

Um diesem Rätsel auf die Spur zu kommen, führten die Forscher:innen weitere Experimente durch. So zeigte sich, dass auch nach dem Entfernen der Käfer diese Pflanzen gezielt von den Motten angeflogen wurden. Wichtig war nur, dass die Käfer bereits deutliche Fraßschäden an den Pflanzen verursacht hatten. Jedoch waren Pflanzen, die gerade erst von Käfern befallen wurden und noch kaum Fraßschäden aufwiesen, nicht attraktiv für die Motten.

Duftstoffe durch Anknabbern

Es ist durch frühere Forschungen bekannt, dass weibliche Tabakschwärmer den Platz für die Eiablage nach bestimmten Duftstoffen auswählen. Daher vermuteten die Forscher:innen, dass auch hier Duftstoffe der Pflanzen, sogenannten Herbivore Induced Plant Volatiles oder HIPVs, ausschlaggebend sind.

Die Forscher:innen entdeckten, dass die von den Käfern angeknabberten Pflanzen ein größeres Spektrum an volatilen Substanzen abgaben als die anderen Pflanzengruppen. Besonders das verstärkt freigesetzte α-Copaen lockte die Mottenweibchen an.

Für die Geruchswahrnehmung nutzen die Motten zwei verschiedene Rezeptorenarten: Ionotrophe und olfaktorische Rezeptoren. Um den entscheidenden Rezeptor zu ermitteln, setzten die Forscher:innen Mutanten der Motten ein, die jeweils nur eine der beiden Rezeptorenarten besaßen. Sie konnten schließlich den olfaktorischen Rezeptor Or35 identifizieren, der durch α-Copaen aktiviert wird und möglicherweise auch in die Induktion der Eiablage involviert ist.

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Die Larve des Tabakschwärmers (Manduca sexta) ist ein Parasit, der selbst oft von Parasiten befallen wird.

Die Larve des Tabakschwärmers (Manduca sexta) ist ein Parasit, der selbst oft von Parasiten befallen wird.

Bildquelle: © Pat Morgan / Pixabay

Langsamere Entwicklung der Motten-Larven

In weiteren Untersuchungen stellten die Forscher:innen auch fest, dass in den von den Käfern befallenen Stechäpfeln die Konzentrationen der Alkaloide Atropin und Scopolamin – beide dienen der Pflanze zur Abwehr von Fressfeinden – deutlich reduziert waren. Die Käferpflanzen „dufteten“ für die Motten also nicht nur gut, sondern schmeckten offenbar auch noch besser.

Trotzdem verzögerte sich die Entwicklung der Mottenlarven um vier bis fünf Tage im Vergleich zu den Larven auf Pflanzen ohne Käferbefall. Die geringere Konzentration der Alkaloide ergab also keinen direkten Vorteil für die Mottenlarven. Im Gegenteil: Die Forscher:innen fanden in den befallenen Pflanzen einen hohen Gehalt der Aminosäure Threonin, die das Wachstum der Mottenlarven verlangsamte.

Indirekter Schutz

Des Rätsels Lösung ergab sich erst, als auch die Fressfeinde der Mottenlarven mit in die Betrachtung einbezogen wurden. Die parasitierende Wespenart Cotesia congregata sucht gezielt Pflanzen des Stechapfels auf und legt ihre Eier in die Larven der Tabakschwärmer – die letztendlich dadurch absterben. 50-90 Prozent der Larven kann dieses Schicksal ereilen. Aber sobald auch der Kartoffelkäfer den Stechapfel besiedelt, steigen die Überlebenschancen der Mottenlarven. Im Experiment reduzierte sich der Anteil parasitierter Larven von 23 auf neun Prozent. Aber nicht nur das: Auch die Larven der Wespen entwickelten sich schlechter auf den „Käferpflanzen“.

Der Schutz vor Parasiten wiegt also die langsamere Entwicklung der Mottenlarven und die Nahrungskonkurrenz zu den Käfern mehr als auf. Die Forscher:innen betonen, dass einfache Antworten bei solchen Interaktionen oft zu kurz greifen und dass die genaue Abwägung von Vor- und Nachteilen eine große Rolle spielt. Um dieses komplexe Beziehungsgeflecht noch besser zu verstehen, sollen weitere Untersuchungen folgen, so die Forscher:innen.


Quelle:
Zhang, J. et al. (2022): Competing beetles attract egg laying in a hawkmoth. In: Current Biology, (10. Januar 2022), doi: 10.1016/j.cub.2021.12.021.

Zum Weiterlesen:

Titelbild: Tabakschwärmer bei der Eiablage. Der Falter biegt seinen Hinterleib an die Blattunterseite, um ein Ei abzulegen. Am Blatt ganz oben ist bereits an der linken Kante ein abgelegtes Ei zu sehen. (Bildquelle: © Danny Kessler, Max-Planck-Institut für chemische Ökologie)