„Stroh ist nicht gleich Stroh“
Interview mit Dr. Markus Rarbach von Clariant
Das Spezialchemieunternehmen Clariant hat eine Technologie zur Marktreife entwickelt mit der man Biokraftstoffe, genauer: Cellulose-Ethanol, aus Agrarreststoffen wie Stroh herstellen kann. Das sunliquid®-Verfahren verwandelt Lignocellulose, eines der am häufigsten vorkommenden Moleküle in der Natur, in Ethanol. Es wurde kürzlich mit dem Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt 2015 in der Kategorie Prozessinnovationen ausgezeichnet. Pflanzenforschung.de sprach mit Dr. Markus Rarbach, Head of Start-up Business Project Biofuels & Derivatives, Group Biotechnology, Clariant Produkte (Deutschland) GmbH über das Verfahren und zukünftige Entwicklungen.
Pflanzenforschung.de: Können Sie kurz beschreiben, was das Besondere an ihrem Verfahren ist?
Dr. Rarbach: Es ist uns gelungen, einen Weg aufzuzeigen und technisch zu demonstrieren, wie Cellulose-Ethanol wirtschaftlich hergestellt werden kann.
Dank optimierter Enzyme, die spezifisch auf den jeweils verwendeten Rohstoff und die Prozessbedingungen abgestimmt sind erreichen wir eine deutlich effizientere Produktausbeute. Durch die prozessintegrierte Enzymproduktion werden die Enzymkosten auf ein Minimum reduziert.
Pflanzenforschung.de: Wie genau?
Dr. Rarbach: Ein geringer Teil des vorbehandelten Rohstoffs wird vom Hauptteil abgezweigt und dient speziellen Mikroorganismen als Nahrungsgrundlage für die Produktion der Enzyme. Die Enzyme werden also an dem Ort und zu dem Zeitpunkt hergestellt, wo sie benötigt werden. So entfallen Kosten für Transport, Lagerung und Aufbereitung und es entsteht keine Abhängigkeit von Enzymlieferanten. Dies ist ein besonderer Vorteil in infrastrukturschwachen Regionen.
Die prozessspezifischen Fermentationsorganismen vergären sowohl C5 als auch C6 Zucker zu Ethanol. Das sorgt für eine optimale Ausbeute der Fermentation. Die mechanische und thermische Vorbehandlung ohne Verwendung von Chemikalien ermöglicht eine optimale enzymatische Hydrolyse direkt im Anschluss. Aufreinigungsschritte werden überflüssig, man spart Kosten für Chemikalien und macht den Prozess sicherer und umweltschonender. Zudem läuft der Prozess energieautark ab, denn das Nebenprodukt Lignin wird zur Gewinnung der Prozessenergie genutzt.
Pflanzenforschung.de: Wie sieht die Produktion derzeit aus?
Dr. Rarbach: Mittlerweile betreiben wir unsere vorkommerzielle sunliquid®-Anlage in Straubing bereits seit knapp 4 Jahren und das sehr erfolgreich. In der Anlage können bis zu 1000 Tonnen Ethanol pro Jahr produziert werden.
Pflanzenforschung.de: Ist Stroh gleich Stroh oder gibt es Vorlieben für bestimmte Getreidearten?
Dr. Rarbach: Nein, Stroh ist nicht gleich Stroh. So hat Getreidestroh eine andere Zusammensetzung als Maisstroh. Aufgrund langjähriger Tests in unserer vorkommerziellen Anlage, konnten wir verschiedenste Szenarien mit unterschiedlicher Rohstoffbeschaffenheit durchspielen und den Prozess und die eingesetzten Enzyme so abstimmen, dass wir die jeweils optimale Ausbeute für den jeweiligen Rohstoff erzielen können.
Neben Getreidestroh wie Weizen- oder Gerstenstroh, wurde in unserer Anlage in großem Maßstab auch die effiziente Umwandlung von Maisstroh und Zuckerrohr-Bagasse in Cellulose-Ethanol mithilfe des sunliquid®-Verfahrens bestätigt.
Pflanzenforschung.de: Stroh wird derzeit schon für andere Zwecke wie zum Erhalt der Bodenqualität oder zur Einstreu verwandt. Wenn in Zukunft Agrarreststoffe gewinnbringender genutzt werden können, besteht dann nicht die Gefahr, dass die Prioritäten sich verschieben?
Dr. Rarbach: Die USA, Asien und die Europäische Union gehören zu den führenden Herstellern von landwirtschaftlichen Produkten, hier fallen auch große Mengen an bisher unzureichend genutzten Nebenprodukten an. Wichtigster Agrarreststoff in der EU ist Getreidestroh. Davon fallen in den 27 Mitgliedsstaaten der EU jährlich etwa 240 Millionen Tonnen an. Nur ein kleiner Teil davon wird derzeit für die Rückführung aufs Land oder für die Tierhaltung genutzt. Es ist daher keine Gefahr, sondern eine Chance. Und zwar für mehr nachhaltige Produkte und umweltschonende Prozesse.
Die Frage ist, wie viel Stroh in welcher Region ohne Konkurrenz zu existierenden Nutzen verwandt werden kann. Stroh wird auf dem Feld gelassen, um organische Bodensubstanz (Kohlenstoff) zu bilden. Langzeitstudien belegen, dass bis zu 60 Prozent des anfallenden Strohs vom Acker gefahren werden kann, ohne die Bodenqualität zu beinträchtigen.
Darüber hinaus ist das sogenannte Intercropping - der gleichzeitige Anbau mehrerer Nutzpflanzenarten auf gleicher Fläche - heutzutage gängige Praxis, um dem Boden zusätzliche organische Substanzen zurückzuführen. Wie viel Stroh genau vom Acker gefahren werden kann, ist von Region zu Region unterschiedlich und muss daher immer regionalspezifisch und in Hinblick auf Klima, Bodentyp, Wechselwirtschaft und Landwirtschaftsmethoden betrachtet werden.
Clariant achtet bei der Projektentwicklung sehr stark auf diese Nachhaltigkeitsaspekte, aus ökonomischen und ökologischen Gründen. Wir unterstützen die Landwirtschaft zielgerichtet bei der standortspezifischen Bewertung, um das sicherzustellen.
Eine erst kürzlich veröffentlichte Studie, die gemeinsam von Umweltverbänden und Industrie in Auftrag gegeben wurde, kommt zu dem Ergebnis, dass bis 2030 europaweit 16 Prozent des Kraftstoffverbrauchs von Biokraftstoffen aus Reststoffen gedeckt werden könnten. Dadurch würden 15 Milliarden € Mehreinnahmen generiert und 300.000 neue Arbeitsplätze in Europa geschaffen.
Pflanzenforschung.de: Die Firma DuPont eröffnete kürzlich eine großtechnische Anlage zur Erzeugung von Biokraftstoffen der zweiten Generation in den USA. Drohen wir in Europa den Anschluss zu verlieren?
Dr. Rarbach: Ja, da ist eine Gefahr. In der Umsetzung neuer Technologien aus dem Labor in den Produktionsmaßstab sind die Randbedingungen schon seit langem in den USA besser, hier hat sich in Europa schon viel getan, wir müssen aber immer noch aufholen.
Zusätzlich wird ein so stark regulierter Markt wie der Energiemarkt insbesondere durch die politischen Rahmenbedingungen beeinflusst. Um Investitionen für die Herstellung von Cellulose-Ethanol zu sichern, müssen die Spielregeln klar sein. Wenn wir uns Deutschland anschauen, dann ist das leider nicht der Fall. Es fehlt derzeit in Deutschland an einer verlässlichen Umweltpolitik, die Innovationen fördert, den Industriestandort stärkt und die Markteinführung neuer Produkte und Prozesse unterstützt.
In der Biokraftstoffpolitik wird dies besonders deutlich: Seit der Umstellung auf die Treibhausgasminderungsquote und dem Wegfall der Steuerbegünstigung für Cellulose-Ethanol gibt es de facto in Deutschland keine Förderung von innovativen Biokraftstoffen mehr. Im Zuge der anstehenden Umsetzung der EU-Richtlinien sollte Deutschland daher ein verbindliches Ziel für fortschrittliche Biokraftstoffe einführen.
Das Risiko besteht, dass Europa von den USA abgehängt wird. Und das obwohl, die Technologien in Europa entwickelt werden. Hier muss in der Politik ein Umdenken stattfinden: Biokraftstoffpolitik ist nicht nur Umweltpolitik, sondern auch Industrie-, Energie und Verkehrspolitik.
Pflanzenforschung.de: Das sunliquid®-Verfahren wurde kürzlich mit dem Deutschen Innovationspreis für Klima und Umwelt 2015 ausgezeichnet. Was bedeutet der Preis für Sie?
Dr. Rarbach: Wir haben uns sehr über diese Auszeichnung gefreut! Sie bedeutet für uns die Anerkennung jahrelanger Entwicklungsarbeit. Schon seit 2006 arbeiten unsere engagierten Mitarbeiter an der Entwicklung und Kommerzialisierung der sunliquid®-Technologie. In den vergangenen knapp 10 Jahren haben wir bereits wichtige Meilensteine erreicht, zu denen sowohl die Inbetriebnahme unserer sunliquid®-Anlage in Straubing als auch der erfolgreiche Flottentest mit Mercedes-Benz Serienfahrzeugen gehören.
Biokraftstoffe aus Agrarreststoffen spielen eine Schlüsselrolle, um Mobilität weltweit nachhaltiger zu gestalten. Verglichen mit fossilen Kraftstoffen können Treibhausgasemissionen bis zu 95 Prozent reduziert werden.
Die Auszeichnung des Ministeriums bestätigt unseren Ansatz und bekräftigt uns in unserem Vorhaben, unsere Aktivitäten im Bereich der Biotechnologie weiter auszubauen.
Pflanzenforschung.de: Mit dem Verfahren können neben Biokraftstoffen der zweiten Generation auch biobasierte Chemikalien produziert werden. Wie sehen Sie die Balance zwischen einer energetischen und einer stofflichen Nutzung?
Dr. Rarbach: Das ist richtig, neben Biokraftstoffen der zweiten Generation erschließt die sunliquid®-Technologie darüber hinaus eine Zuckerplattform der zweiten Generation, mit der sich eine große Bandbreite an biobasierten Chemikalien herstellen lässt, die zum Beispiel in der Kunststoff-, Konsumgüter- oder Nahrungsmittelindustrie zum Einsatz kommen.
Heute werden bereits neue Anwendungsfelder für den stofflichen Einsatz nachwachsender Rohstoffe in der chemischen Industrie realisiert. Beim Ausbau der sunliquid® Technologie geht es uns in erster Linie darum, mit innovativen Produkten und Prozessen die Bedürfnisse unserer Kunden zu erfüllen und dies auf nachhaltige und kosteneffiziente Art und Weise zu tun.
Pflanzenforschung.de: Gibt es praktische Beispiele?
Dr. Rarbach: Ein gutes Beispiel hierfür ist unsere Kooperation mit Werner & Mertz, dem Herstellerunternehmen von Frosch-Produkten. Seit Anfang des Jahres wird sunliquid® Bio-Ethanol im Frosch Bio-Spiritus Multiflächen-Reiniger eingesetzt. Dafür lieferten wir Ende 2015 den Cellulose-Ethanol, sprich Bio-Spiritus, aus unserer Anlage in Straubing.
Das belegt: Produkte auf reiner Agrarreststoffbasis gewinnen auch in der Konsumgüterbranche an Relevanz. Für den Kunden ist es wichtig, solche nachhaltig produzierten Produkte im Angebot zu finden und für uns ist es wichtig, nachhaltige Rohstoffe und Prozesse dort einzusetzen, wo sie den größten Mehrwert schaffen.
Pflanzenforschung.de: Wann wird es soweit sein, dass die Autos auf unseren Straßen zu 100 Prozent mit nachhaltig erzeugter Energie fahren und welche Rolle wird der Cellulose-Ethanol Ihrer Meinung nach spielen? Welche Schritte, Veränderungen, sind dafür nötig?
Dr. Rarbach: Technologisch schaffen wir dafür gerade die Instrumente. Die globale Energielandschaft verändert sich ständig. Sunliquid® ist eine Schlüsseltechnologie, um umweltfreundliche Biokraftstoffe im industriellen Maßstab herzustellen. Fortschrittliche Biokraftstoffe aus heimischen Agrarreststoffen könnten wesentlich dazu beitragen, Mobilität auch in Deutschland nachhaltiger zu gestalten.
Und auch andere Industriezweige ziehen mit: Clariant hat gemeinsam mit Daimler Benz und Haltermann ein Pilotprojekt zu E20 (20 % Cellulose-Ethanol in Benzin) durchgeführt. Die Ergebnisse belegen eindrucksvoll, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Nicht nur konnten wir einen hoch nachhaltigen und klimagasschonenden Kraftstoff zur Verfügung stellen, wir konnten auch gleichzeitig die Fahrzeugemissionen mit einer Senkung der Partikelemission von 50 Prozent weiter verbessern.
Allerdings sind für eine Energiewende im Verkehr stabile politische Rahmenbedingungen ausschlaggebend. Aufgrund der notwendigen Neuinvestitionen in Erstanlagen ist für neue Technologien eine besondere Unterstützung während der Markteinführungsphase notwendig. Letztendlich konkurrieren fortschrittliche Biokraftstoffe hier mit etablierten Technologien und bereits abgeschriebenen Anlagen (Benzin, Diesel und konventionelle Biokraftstoffe der ersten Generation).
Ein klares politisches Signal ist daher unerlässlich. Darum sollte ein Mindestziel für die Beimischung von fortschrittlichen Biokraftstoffe wie Cellulose-Ethanol gesetzt werden. In Deutschland und in Europa, wo gerade die Beratungen zu einem politischen Klima- und Umweltpaket für 2030 beginnen. Dies würde einen zeitlich begrenzten aber klaren Marktanreiz schaffen.
Pflanzenforschung.de: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Lesen Sie mehr darüber, wie das Verfahren funktioniert unter: „Innovatives Verfahren zur Biokraftstoffproduktion ausgezeichnet“
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Titelbild: Bei der landwirtschaftlichen Produktion fallen auch große Mengen an Nebenprodukten wie zum Beispiel Stroh an. (Bildquelle: © Ruud Morijn/Fotolia.com)