Vielfalt statt Einfalt -

so lautet das Motto der Weleda AG

16.09.2013 | von Redaktion Pflanzenforschung.de

Ursula Hofmann erntet die violetten Blüten des Bittersüssen Nachtschatten (Dulcamara) für die Naturheilmittel- und Naturkosmetik-Herstellung bei der Weleda AG Schweiz, Arlesheim. (Quelle: © Weleda AG)

Ursula Hofmann erntet die violetten Blüten des Bittersüssen Nachtschatten (Dulcamara) für die Naturheilmittel- und Naturkosmetik-Herstellung bei der Weleda AG Schweiz, Arlesheim. (Quelle: © Weleda AG)

Die Weleda AG will als weltweit tätige Unternehmensgruppe den Menschen zur Wiedererlangung und Erhaltung ihrer Gesundheit dienen. Dies geschieht gemäß dem durch Anthroposophie erweiterten Menschen- und Naturverständnis. Weleda entwickelt und vertreibt dafür Arzneimittel, Nahrungsergänzungsmittel und Naturkosmetik. Für die Herstellung der Präparate werden ausschließlich natürliche Substanzen verwendet, einen erheblichen Anteil an den Ausgangsstoffen haben Pflanzen, Pflanzenteile und ihre Extrakte. Dipl.-Ing.agr. Michael Straub, Leiter des Heilpflanzenanbaus und von Anbauprojekten, erklärte Pflanzenforschung.de, warum Weleda großen Wert auf die Herkunft und Vielfalt der  Heilpflanzen legt und warum das Unternehmen Artenschutz nicht nur aus Imagegründen betreibt.

Pflanzenforschung.de: Weleda besitzt in seinem Werk in Schwäbisch Gmünd einen eigenen Heilpflanzengarten. Welche Artenvielfalt steht Ihnen dort zu Verfügung?

Michael Straub: Wir folgen bei Weleda dem Prinzip „Vielfalt statt Einfalt“. Auf 23 Hektar gibt es im Heilpflanzengarten von Weleda unzählige Arten, ich schätze etwa 2.000 bis 3.000. Je vielfältiger ein System ist, desto mehr Möglichkeiten zur Selbstregulation stehen ihm zur Verfügung. Alle Lebewesen dieser Erde sind symbiontisch miteinander vernetzt. Jede Art, die ausstirbt, ist ein Verlust für das Gesamtsystem und ihre Stabilität.

Neben 6 km Hecken mit Frühblühern wie z. B. der Saalweide, die wiederum Nutzinsekten anziehen, gibt es in unserem Heilpflanzengarten auch drei Teiche für Wassertiere und als Trinkquelle für Vögel, Insekten und andere Lebewesen. Aus dem Heilpflanzengarten ernten wir nahezu alles. Gerade für die Herstellung homöopathischer Arzneimittel haben wir relativ viele aber kleine Beete die für unseren firmeneigenen Standort ausreichend sind, denn dazu benötigen wir keine großen Mengen an pflanzlichem Ausgangsmaterial.

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Michael Straub ist Leiter des 23 Hektar großen Heilpflanzengartens des Weleda Standortes in Schwäbisch Gmünd. Dort wachsen grob 260 verschiedene Pflanzenarten, von denen 180 sozusagen direkt vom Feld in die Tube kommen.

Michael Straub ist Leiter des 23 Hektar großen Heilpflanzengartens des Weleda Standortes in Schwäbisch Gmünd. Dort wachsen grob 260 verschiedene Pflanzenarten, von denen 180 sozusagen direkt vom Feld in die Tube kommen.

Bildquelle: © Weleda AG

Pflanzenforschung.de: Nutzen Sie darüber hinaus auch Ressourcen aus Genbanken? Wenn ja, welche Genbanken oder botanischen Gärten sind für Sie die relevantesten?

Michael Straub: Samen aus Genbanken nutzen wir bei Weleda nicht, weil alle unsere Pflanzen in der Natur vorkommen. Außerdem stehen wir im engen Kontakt mit anderen Firmen, die nach naturheilkundlichen Prinzipien arbeiten. Mit ihnen tauschen wir Samen untereinander aus. Außerdem sind wir Mitglied im Samentauschnetzwerk der botanischen Gärten in Deutschland und beziehen natürlich auch Samen aus anderen Heilpflanzengärten von Weleda weltweit.

Zudem bin ich Vorstandsmitglied im Verein „Hortus officinarum“. Dort haben wir uns zur Aufgabe gemacht, Heilpflanzen zu selektieren und zu beurteilen und allen Unternehmen, die in der Komplementärmedizin tätig sind, zur Verfügung zu stellen.

Pflanzenforschung.de: Wie sehen Sie das internationale Engagement zur Arterhaltung?

Michael Straub: Das dramatische Artensterben weltweit macht mir große Sorgen. Das Engagement zum Artenschutz reicht meiner Meinung nach nicht aus. Die Auswirkungen werden wir in den nächsten Jahren dramatisch spüren, da bin ich mir sicher. Wie ich es empfinde leben wir bereits heute in einer Agrarwüste. Da ist von Artenvielfalt nicht mehr viel zu spüren.

Nehmen wir das Beispiel des Eichenprozessionsspinners, der in diesem Frühjahr so drastisch bekämpft wurde. Diese Maßnahme halte ich für fragwürdig, denn von den Larven des Eichenprozessionsspinners ernähren sich Vögel. Im nächsten Jahr wird es dann noch mehr Eichenprozessionsspinner geben, da die Vögel verhungert sind, die ihn eigentlich fressen sollten. Derartige Maßnahmen zeugen in meinen Augen von einem völligen Unverständnis von ökologischen Zusammenhängen. Die Leute, die etwas von Ökologie verstehen, haben meist nicht die Gelegenheit, ihr Wissen praktisch umzusetzen. Das ist bei Weleda zum Glück anders. Ich hoffe, dass sich noch viele weitere Unternehmen am Artenschutz beteiligen werden. Alleine schaffen wir das nicht.

Pflanzenforschung.de: Warum wird bei Heilpflanzen immer noch sehr häufig auf Wildpflanzensammlungen zurückgegriffen? Nimmt Weleda selbst an solchen Sammlungen teil?

Michael Straub: Eigentlich gibt es in ganz Europa keine wirklichen Wildpflanzen mehr, denn wir leben in einer ausgesprochenen Kulturlandschaft. Auch eine Bergwiese ist in unseren Breiten eine Kulturlandschaft. Die Frage ist eher, wie stark der Mensch in die Natur eingreift. Hier sind die Übergänge zwischen Wildsammlungen und kultivierten Pflanzen oft fließend. Wenn man Pflanzen kultiviert, selektiert man ganz automatisch. Das fängt schon bei der Keimfähigkeit an.

Wir verfolgen bei Weleda das Konzept „Schutz durch Nutzung“. Wir fördern Wildpflanzensammlungen in bestimmten Gebieten, finanzieren aber gleichzeitig ein Monitoring, das uns zeigt, ob die gesammelte Art in diesem Gebiet zu- oder abnimmt. Dementsprechend passen wir unsere Maßnahmen an, um die Art zu erhalten.

Um die Wildstandorte zu entlasten, bauen wir bestimmte Arten auch selbst in Weleda-Gärten an.

Wir legen Wert darauf, dass unsere Pflanzen nicht durch Düngung in ihrem Wachstum getrieben werden, sondern, wie wir es nennen, harmonisch wachsen. Wir brauchen keinen riesigen Ernteertrag, sondern Pflanzen mit wertvollen Inhaltsstoffen. Nebenbei bemerkt sind solche Pflanzen auch weniger anfällig für Krankheiten.

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Pflanzen der Gattung Augentrost (Euphrasia) sind schwierig zu kultivieren. Hier: Der Gemeine Augentrost (Euphrasia officinalis).

Pflanzen der Gattung Augentrost (Euphrasia) sind schwierig zu kultivieren. Hier: Der Gemeine Augentrost (Euphrasia officinalis).

Bildquelle: © Walter Eberl / pixelio.de

Pflanzenforschung.de: Welche Wildpflanzen sind besonders schwer zu kultivieren?

Michael Straub: Euphrasia, der Augentrost, ist recht schwierig zu kultivieren. Als Halbparasit braucht Euphrasia Partner, die sie anzapfen kann. Hier mussten wir erst herausfinden, welche Partner sich besonders gut eignen, denn manche Partner überwachsen die Euphrasia einfach.

Auch die kanadische Gelbwurz war eine Herausforderung. Diese Pflanze ist geschützt und wurde deshalb von uns in Kultur genommen. Erst durch ausgiebige Literaturrecherche stellten wir fest, dass die Samen der kanadischen Gelbwurz immer feucht bleiben müssen, sonst keimen sie nicht. Dann mussten wir jemanden finden, der uns diese Pflanzensamen feucht aus Nordamerika anliefern konnte. Wie der perfekte Lebensraum für die kanadische Gelbwurz aussieht, haben wir in den letzten drei Jahren herausgefunden. Nun sind wir in der Lage, sie in unserem Heilpflanzengarten gemäß ihrer natürlichen Umgebung zu kultivieren und sie entsprechend ihrer traditionellen Verwendung in einem Augenpräparat einzusetzen.

Pflanzenforschung.de: Woher beziehen Sie Ihre Heilpflanzen?

Michael Straub: Eigentlich von überall auf der Welt – von Lieferanten oder aus unseren eigenen Gärten. Wir unterhalten in verschiedenen Klimazonen eigene Heilpflanzengärten, so z.B. im tropischen Brasilien oder auch in Neuseeland, Argentinien, England, Schweiz, Frankreich und Deutschland.

Pflanzenforschung.de: Wie unterstützen Sie den nachhaltigen Anbau?

Michael Straub: In unseren eigenen Gärten können wir den nachhaltigen bzw. biologisch-dynamischen Anbau leicht kontrollieren. Wir lassen unsere Pflanzen dort anbauen, wo sie ideale Wachstumsbedingungen haben. Wenn man diese Bedingungen in einem unserer Heilpflanzengärten nicht nachbauen kann, suchen wir einen Standort, an dem die betreffende Pflanze bereits traditionell kultiviert wird. Unsere Rosen lassen wir in der Türkei anbauen. Dort habe ich die Bauern zunächst beraten, wie man Rosen nach den Prinzipien eines biologischen Anbaus kultiviert. Das funktioniert prima.

Pflanzenforschung.de: Wie kommen die Pflanzen aus weit entfernten Anbaugebieten zu Weleda oder werden sie bereits am Ernteort verarbeitet?

Michael Straub: Unsere Rosen beispielsweise werden vor Ort in der Türkei destilliert. Wir legen Wert auf möglichst viel Wertschöpfung am Kultivierungsort, damit sich die Region mitentwickeln kann. Das ätherische Öl wird dann an Weleda geliefert.

Einen Teil unserer Arnikapflanzen lassen wir in Rumänien sammeln. Unsere Lieferanten beziehen wir gerne in Projekte ein. Dort wurde die Trocknungsanlage aus rumänischem Holz von rumänischen Handwerkern gebaut. Die Menschen aus den nahe liegenden Dörfern arbeiten in der Trocknungsanlage die wir vorfinanziert haben. Auf diese Weise versuchen wir, Wertschöpfung in der Region zu generieren. Parallel dazu engagieren wir uns auch in direkten sozialen Projekten in den Regionen. Zum Beispiel unterstützen wir Kindergärten in der Türkei und in Rumänien.

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Im Heilpflanzengarten der Weleda AG in Schwäbisch Gmünd wachsen Calendulapflanzen gemäß den Richtlinien des biologisch-dynamischen Landbaus. Daraus stellt das Unternehmen Urtinkturen her, die vor allem in der Weleda Babypflege und in verschiedenen Arzneimitteln eingesetzt werden.

Im Heilpflanzengarten der Weleda AG in Schwäbisch Gmünd wachsen Calendulapflanzen gemäß den Richtlinien des biologisch-dynamischen Landbaus. Daraus stellt das Unternehmen Urtinkturen her, die vor allem in der Weleda Babypflege und in verschiedenen Arzneimitteln eingesetzt werden.

Bildquelle: © Weleda AG

Pflanzenforschung.de: Pflanzen unterliegen in ihrem Wachstum natürlichen Schwankungen. Wie erreichen Sie eine gleichmäßige Wirkstoffverteilung in Ihren Arzneimitteln und Produkten?

Michael Straub: Wir versuchen, die gesamte Produktionskette zu verfolgen. Damit kennen wir die Biographie unserer Pflanzen vom Acker bzw. Wildstandort bis zu uns. Wenn wir dauerhaft Probleme mit einem Rohstoff haben, kümmern wir uns selbst um den Anbau und versuchen die Pflanzen selbst in Kultur zu nehmen. So vermeiden wir Wirkstoffschwankungen in unseren Pflanzen weitgehend. Falls es doch einmal dazu kommen sollte, lassen sich Chargen ggf. auch mischen, um die gewünschten Wirkstoffkonzentrationen zu erreichen.

Pflanzenforschung.de: Ist Weleda ein aktiv forschendes Unternehmen oder transferieren sie primär Ergebnisse aus anderen Einrichtungen in Ihre Produkte?

Michael Straub: Wir betreiben bei Weleda eigene Forschung zur Inkulturnahme von Heilpflanzen und arbeiten stets an produktionstechnischen Verbesserungen, dabei arbeiten wir mit privaten und staatlichen Forschungseinrichtungen zusammen. Bei antroprosophischen Fragestellungen unterstützt uns die naturwissenschaftliche Sektion der freien Hochschule am Goetheanum in Dornach in der Schweiz. Da die Heilpflanzenkunde einen ganzheitlichen Ansatz verfolgt, sind wir bei Weleda nicht so sehr an einzelnen Wirkstoffen interessiert, sondern an der Pflanze als Ganzes.

Weleda setzt auf das Prinzip der Gesunderhaltung oder Salutogenese. Um eine möglichst individuelle Therapie ermöglichen zu können, haben wir etwa 1.400 Arzneimittel im Sortiment.

Pflanzenforschung.de: Welche Forschungsschwerpunkte an öffentlichen Forschungseinrichtungen würden Sie für Weleda gerne realisiert sehen?

Michael Straub: Ich wünsche mir für die Zukunft eine Forschung, die sich stärker an Erfahrungen orientiert. Heilpflanzenkunde ist eine Erfahrungsmedizin. Es gibt Jahrtausende alte Dokumente und viele Fallbeispiele, die nicht ernst genug genommen werden. Nicht alles lässt sich in randomisierten Kohortenstudien erfassen. Man sollte der Komplementärmedizin angepasste Methoden entwickeln, die einen ganzheitlichen Ansatz haben.

Pflanzenforschung.de: Vielen Dank für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg!


Zum Weiterlesen:

Titelbild: Ursula Hofmann erntet die violetten Blüten des Bittersüssen Nachtschatten (Dulcamara) für die Naturheilmittel- und Naturkosmetik-Herstellung bei der Weleda AG Schweiz, Arlesheim. (Quelle: © Weleda AG)